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Evolutionäre Konvergenz
#4
(08-04-2019, 23:48)Holmes schrieb: Ich finde es auch immer interessant zu lesen, dass dem Menschen gerne die Intelligenz abgesprochen wird. Gibt es dazu auch aktuelle Thesen? Also wie definiert man besser angepasste Lebewesen wie z.B den Menschen? Wird das daran gemessen, wie viele Arten der Mensch ausrotten kann oder wie genau wird hier der Maßstab gesetzt.

Intelligenz und Anpassung sind erst mal Konzepte, die nicht direkt miteinander zu tun haben. Wenn ich hier von "Intelligenz" spreche, so meine ich das, was mit den ueblichen Tests bestimmt wird, also die Faehigkeit, die Anzahl moeglicher Problemloesungen so einzuschraenken, dass nicht auf zufaelliges Ausprobieren zurueckggegriffen werden muss. Tiere habe ich deshalb erwaehnt, weil dort ja viele Daten erhoben wurden. Vor allem einige Voegel (aus der Raben- und der Papgeien-Verwandtschaft) scheinen zu sehr komplexen Problemloesungen faehig zu sein.

Ansonsten muss man immer vorsichtig sein, weil das Absprechen von Intelligenz oft ein durchsichtiges Manoever in der Rhetorik ist, um der eigenen Position etwas mehr Glanz zu verleihen. Da wird oft auch schludrig mit Definitionen gespielt. Hier spielen Interessenkonflikte eine Rolle. Was gut ist fuer die Menschheit als Ganzes ist nicht immer gut fuer die direkte Gemeinschaft, in der man selbst lebt, und erst recht nicht fuer das einzelne Individuum. Um das Thema "Impfgegner" mal als Beispiel zu nehmen, so mag ich da durchaus schon mal geaeussert haben, dass es vom statistischen Gesichtspunkt aus "dumm" ist, diese Impfung fuer die eigenen Kinder zu verweigern. Das ist jetzt aber im Prinzip nicht ins Detail gedacht. Fuer den Fall, dass fast alle Mitglieder einer Gesellschaft sich und ihre Kinder impfen lassen, geht das Risiko der Ansteckung so weit zurueck, dass die Gefahr der Schaedigung durch die Krankheit an einem gewissen Punkt niedriger wird als die extrem niedrige Gefahr von Impfschaeden; an dem Punkt ist die Impfverweigerung zwar egoistisch, aber nicht "dumm". Natuerlich geht die Rechnung nur auf, wenn sich fast jeder konform verhaelt und das Allgemeinwohl im Blick behaelt; und das ist zur Zeit halt nicht mehr der Fall, und die Statistik sieht schlecht aus fuer Impfgegner.

Eine aehnliche Betrachtung gilt fuer die oben besprochene "Kurzsichtigkeit" der Evolution. Das ist kein Zeichen davon, dass da irgendetwas besser sein koennte. Das grundsaetzliche Problem hier ist, dass die meisten Arten gar keine Chance haben, das "lange Spiel" zu spielen. Es nuetzt keiner Art etwas, sich fuer kuenftige Veraenderungen vorzubereiten, wenn das bedeutet, dass man das kurzfristige Rennen verliert. Das Ueberleben des kurzfristigen Filters ist ja erst mal die Voraussetzung, es ueberhaupt in die Zukunft zu schaffen. Dieser Zusammenhang ist nicht zu umgehen.

Ein anderer Aspekt der angeblich mangelnden Intelligenz ist der, dass der Mensch und auch andere Organismen viele Entscheidungen faellen, ohne nachzudenken, weil das effizient ist. Oft genug ist auch gar keine Zeit fuer Ueberlegungen, weshalb es sich wohl als fuer das Ueberleben vorteilhaft herausgestellt hat, fuer bestimmte Entscheidungen das Ueberlegen zu umgehen. Unser Lernen beruht teilweise darauf. Wir schieben ganze kompizierte Bewegungsablaeufe, die wir uns Antrainieren (beim Menschen gehoert schon das einfach Gehen dazu) nach dem Trainingserfolg in einen Bereich des Gehirns, der solche Vorgaenge automatisiert und vom Bewusstsein abkoppelt. Daneben kommt noch der Aspekt zum Tragen, dass viele unserer Entscheidungen triebgesteuert sind, selbst solche, die wir mit scheinbar intelligenten Begruendungen uns selbst gegenueber rechtfertigen. Das wird auch oft negativ besetzt - Religionen befassen sich ja in ihrem Kern mit Triebsteuerung - aber man darf dabei nicht vergessen, dass diese Triebe fuer die Spezies ueberlebenswichtig sind. Ohne Sexualtrieb sterben wir schlicht aus, und er existiert in allen Arten nicht deshalb, weil er gut oder schlecht ist, sondern eine absolut notwendige Voraussetzung dafuer, das Evolutionsspiel ueberhaupt erst mitmachen zu koennen. Auch der Aggressionstrieb ist ueberlebensnotwendig.   

(08-04-2019, 23:48)Holmes schrieb: Ich finde auch die Ausführungen zu den suboptimalen Anpassungen sehr interessant wie genau funktioniert dieser Mechanismus gibt es dazu irgendwelche Fachbegriffe die man sich genauer anschauen könnte? Mir ist klar, dass der Organismus dann von zu vielen Subsystem abhängt und man hier dann nicht spezifisch an irgendwelchen System neu drehen kann, sodass der ganze Organismus damit zu kämpfen hat, deswegen wird der Mechanismus wahrscheinlich auch so funktionieren, dass er eben physikalisch Ordnungsgemäß funktioniert, weil er eben wahrscheinlich auch nicht "Menschlich" Energieniveaus für die Zukunft abschätzen wird, sondern den direkten Weg nehmen wird und den "Energieverbrauch" niedrig halten will.
Wenn er dann den Weg des "kleinsten Übels" geht, dann kommen eben Subsysteme heraus die Langfristig vielleicht mehr Anpassungsbedarf besitzen, aber genug experimentellen Spielraum gibt es ja dafür, wenn man es so nennen darf. Ich weiß nicht ob meine Ausführungen dazu in irgendeiner Weise zutreffen, deswegen falls du mir wieder etwas aushelfen würdest, dann Danke ich dir.

Ich sehe, mit Deinem Vergleich mit "Energieniveaus" hast Du die Antwort eigentlich schon vor Augen. Wenn man sich ein typisches Katalyse-Diagramm mit seinen lokalen Energie-Minima und -Maxima anschaut, egal ob enzymatisch oder in der anorganischen Chemie, so kann man sich ein aehnliches Bild mit lokalen evolutionaeren "Minima", oder in dem Fall besser "Optima" vorstellen, mit sehr unvorteilhaften Loesungen auf den "Bergen" dazwischen. Jede Entwicklung von einem solchen lokalen Optimum weg geht erst einmal in Territorium, wo es sehr schnell sehr gefaehrlich wird, zumindest bei so absolut essentiellen Problemen wie der Aufrechterhaltung der Sauerstoffversorgung des ganzen Koerpers im Fall der Lungen. Geht jeder Weg weg vom lokalen Optimum in die Todeszone, so bleibt man auf dem lokalen Optimum stecken. Nun, vielleicht koennen wir ja irgendwann selbst Hand anlegen und den Menschen umkonstruieren.

(08-04-2019, 23:48)Holmes schrieb: Nochmal zur Ausgangsfrage. Ich habe immer etwas Probleme mit den Abschätzungen die man Wissenschaften vornehmen muss, die eben nicht genau definiert werden können, weil sie eben aus Werturteilen erfolgen können. Wenn man sich nun den Menschen nimmt und ihn mit anderen Lebensformen vergleicht, anhand welchen Kriterien misst man die Intelligenz dieser Lebensformen? Mir ist klar das es unterschiedliche Problemstellungen zu lösen gibt nur wie wertet man diese, also wie genau wertet man die Lösung von gewissen Problemstellungen oder hält sich die Evolutionsbiologie da völlig raus? Nimmt man den Menschen als Maßstab oder wie setzt man hier überhaupt ein Maß an? Es gibt ja leider nicht wie in der Physik eine Maßeinheit in der man relative oder absolute Intelligenz messen kann.

Das Problem faengt ja schon bei der Definition von "Intelligenz" an; es gibt ja durchaus Forscher verschiedener Disziplinen, die unterschiedliche Formen von Intelligenz postulieren. Der Einfachheit halber koennen wir uns auf das beschraenken, was bei Menschen typische IQ-Tests messen, also das Loesen von Raetselaufgaben, Puzzles etc. Bei Tieren wird das aehnlich gemessen; die muessen meist irgendwelche Puzzles loesen, die zum Futter fuehren. Bei manchen Tieren wird das schon am natuerlichen Verhalten sichtbar. Neuseelaender erzaehlen gerne von ihren Keas, die in Haeuser einbrechen, Container oeffnen und diese Ausraeumen. Hierbei sieht man uebrigens auch, dass wir als "Intelligenz" wahrnehmen, wenn ein Tier seine Extremitaeten (Fuesse, Schnabel, Elefantenruessel, etc.) fuer mehr als Laufen, Essen, Atmen oder Kaempfen verwendet.

Keine dieser Ergebnisse kann man ohne Qualifizierung so akzeptieren. Bei IQ-Tests ist zum Beispiel klar, dass man diese im Prinzip trainieren kann. Ich meine dabei uebrigens nicht, dass die genauen Aufgaben dann bekannt sind, sondern dass man das, was tatsaechlich gemessen werden soll, also die Faehigkeit, unbekannte Aufgaben zu loesen, trainieren kann. Wenn man sich die IQ-Test-Tabellen anschaut, so sieht man, dass die Bewohner Schwarzafrikas und die Afroamerikaner in den USA da besonders schlecht abschneiden, Ostasiaten oder Juden (auch egal ob in den USA oder in der Heimat) dagegen deutlich besser als "Weisse" (Europaeer und Amerikaner europaeischer Abstammung) platzieren. Die Ursachen dafuer sind unklar, aber wenn ich eine Vermutung abgeben sollte, so hat das hauptsaechlich mit der in der Familie tradierten "Lernkultur" zu tun, also inwieweit von den Eltern Ansporn zum Lernen gegeben oder gar Druck auf ihre Kinder ausgeuebt wird, im schulrelevanten Bereich erfolgreich zu sein. Oder anders ausgedrueckt, ich halte auch Intelligenz in der Form, wie wir sie messen, fuer durchaus trainierbar; zumindest in einem gewissen Rahmen.
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