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Religion und Psychoanalyse
#1
Aus psychoanalytischer Sicht sind alle Bewusstseinsphänomene durch unbewusste Faktoren beeinflusst. Die Höhe des Anteils dieser Faktoren an der Entstehung der Phänomene wird von den diversen psychoanalytischer Schulen unterschiedlich eingeschätzt. Die Lacan-Schule, der ich in diesem und anderen Punkten folge, geht davon aus, dass das Bewusstsein überhaupt keinen Einfluss auf seine Inhalte (jene Phänomene) hat. Aber auch unter der Prämisse eines gewissen Grades der Kontrolle überwiegt der Einfluss unbewusster Faktoren den Einfluss des Bewusstseins bei weitem. Von daher können alle Bewusstseinsphänomene auf ihre unbewussten Quellen hin analysiert werden - auch und ganz besonders die religiösen Vorstellungen.

Freud hat im Hinblick auf Juden- und Christentum schon früh erkannt, dass zwischen Zwangsneurosen und jüdisch-christlichen Vorstellungen signifikante Parallelen bestehen. Für Freud hat die Zwangsneurose Züge einer Privatreligion und Juden- und Christentum Züge einer kollektiven Zwangsneurose. Als strukturelle Basis der monotheistischen Gottesverehrung machte er den Ödipuskomplex aus.

 
Einige Anhänger von Freud, z.B. Theodor Reik, Ernest Jones, Otto Rank und Erich Fromm, arbeiteten Freuds Ansatz unter bestimmten Aspekten weiter aus. Freuds Anwendung des Ö-Komplexes auf die Gottesverehrung übernehmend, sieht Reik in der Gottesverehrung einen unbewussten Hass auf die übermächtige Vaterfigur am Werk. Dieser Hass wird aus Angst vor göttlicher Strafe auf angebliche ´Feinde´ des Vatergottes umgelenkt (projiziert), was den typisch monotheistischen Fanatismus und Hass auf Ungläubige erklärt, der in polytheistischen Kulturen völlig unbekannt war.
 
Die Tatsache, dass in Religionen wichtige Gottheiten eine Vater- oder Mutterfunktion innehaben, berechtigt eine Anwendung psychoanalytischer Kategorien bei der Untersuchung unbewusster Entstehungsfaktoren. Von muslimischer Seite wird zwar gerne betont, dass Allah keine Vaterfigur sei, was aber nicht zutrifft. Allah ist funktionell ganz klar eine Modifikation der Vaterfiguren ´Jahwe´ und ´Christengott´.
 
Da die frühesten (archaischen) Gottheiten zunächst ausschließlich weiblich waren und nach Installation erster männlicher Gottheiten diesen noch lange funktional überlegen waren, spielt natürlich auch weibliche Gottesaspekte (mütterlich und sexuell) eine erhebliche Rolle bei der Analyse religiöser Vorstellungen. Sie sind auch aus der jüdisch-christlichen Phantasiewelt nicht verschwunden, sondern nach dem Prinzip der Wiederkehr des Verdrängten in bestimmten Phänomenen erkennbar. Ganz deutlich ist das bei der Marienfigur, die im Spätmittelalter fast noch inniger verehrt wurde als ihr imaginärer Sohn. Da der maskuline Monotheismus eine Dämonisierung des Weiblichen impliziert (begonnen bei Eva), ist die Marienverehrung als Symptom der Manifestation einer frühkindlichen Bewusstseinsspaltung zu diagnostizieren, welche das Weibliche in das ´Gute´ und das ´Böse´ dissoziiert, was sich im Mittelalter in der Idealisierung der Maria und der gleichzeitigen Verteufelung von als ´Hexen´ verfolgten und extrem sadistisch ermordeten Frauen zeigt (analytisch fassbar als Projektionen der ´guten´ und der ´bösen Brust´im Sinne Melanie Kleins, wie im Apokalypse-Thread von mir vorgestern ausgeführt).
 
Als thematische Einführung soll das reichen.
 
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Nachrichten in diesem Thema
Religion und Psychoanalyse - von Tarkesh - 06-05-2017, 15:12
RE: Religion und Psychoanalyse - von Ekkard - 06-05-2017, 16:26
RE: Religion und Psychoanalyse - von HJS6102 - 06-05-2017, 23:17
RE: Religion und Psychoanalyse - von Mustafa - 07-05-2017, 01:54
RE: Religion und Psychoanalyse - von HJS6102 - 07-05-2017, 15:36
RE: Religion und Psychoanalyse - von Tarkesh - 09-05-2017, 17:37
RE: Religion und Psychoanalyse - von Ekkard - 07-05-2017, 00:53
RE: Religion und Psychoanalyse - von Mustafa - 07-05-2017, 02:31
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RE: Religion und Psychoanalyse - von scilla - 28-06-2017, 18:57
RE: Religion und Psychoanalyse - von Mustafa - 03-07-2017, 15:29
RE: Religion und Psychoanalyse - von scilla - 03-07-2017, 19:11

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