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Markusevangelium 2,1-12 - "Heilung des Gelähmten"
#6
(13-04-2017, 17:14)Tarkesch schrieb:
(05-04-2017, 21:31)Kunigunde Kreuzerin schrieb: Mein Haupteinwand gegen Deine Meinung wäre aber, dass sich m.E. ganz leicht zeigen lässt, dass die angeblich originale Geschichte nach Wortwahl und Thema deutliche Parallelen in anderen Perikopen des Markusevangeliums aufweist. Müsste man darüber entscheiden, was z.B. nach der Wortwahl eher typisch markinisch ist, wäre es m.E. nicht das Streitgespräch, sondern die vermeintlich "originale vormarkinische" Wundergeschichte.

Wie aber widerlegst oder relativierst du die von mir ausgeführten und von den meisten Exegeten vertretenen Argumente für den Einschub des Gespräch?

Hallo Tarkesch,
 
ich verstehe sehr gut, wie man auf den Gedanken kommen könnte, dass es sich um eine spätere Einfügung handelt, und ich empfinde diese Überlegung grundsätzlich auch nicht als fernliegend. Du hast in Deinem Eingangsbeitrag durch die Fettierung ja schön gezeigt, dass es möglich ist (/sein könnte), die Geschichte auch ohne das Streitgespräch zu lesen.
 
Ich sehe aber schon deshalb keine Notwendigkeit, die Argumente zu widerlegen oder zu relativieren, weil Redaktionskritiker wie Rudolf Bultmann ihrerseits die gegen ihre Annahme sprechenden Umstände gar nicht abwägen (bzw. überhaupt kennen).
 
Ausgangspunkt ist doch zunächst einmal nicht mehr als eine durchaus richtige Beobachtung: Die Heilungsgeschichte scheint im Markusevangelium eine Art Rahmen um das Streitgespräch herum zu bilden und könnte möglicherweise auch ohne es gelesen werden. Diese Beobachtung könnte zu einer von mehreren möglichen Hypothesen führen, nämlich der von Dir erwähnten: Die Heilungsgeschichte ist eine ursprüngliche Erzählung über Jesus, die schon lange Zeit vor Markus erzählt wurde und in die nachträglich (von Markus oder einem seiner Vorgänger) das Streitgespräch eingefügt wurde.

Eine zweite mögliche Hypothese wäre, dass Markus bei der Niederschrift seines Evangeliums von Anfang an diese Doppel-Erzählung so beabsichtigte, aber zunächst die Heilungsgeschichte „komponierte“, alsdann das Streitgespräch und schließlich beides miteinander verknüpfte. Wäre nun diese zweite Hypothese an den Haaren herbeigezogen? Ich denke, wenn einer der Evangelisten für eine „literarische Technik“ berühmt ist, dann Markus mit dem, was im deutschen Sprachraum meist als „Schachtelung“ oder „Sandwich-Technik“ und im englischen Sprachraum auch häufig als „intercalation“ bezeichnet wird: Doppelerzählungen, in denen die eine Geschichte einen Rahmen um die andere bildet. Mir scheinen beide Hypothesen deshalb zunächst einmal gleichwertig und in gleichem Maß wahrscheinlich zu sein (ein Punkt, zu dem Redaktionskritiker meist gar nicht gelangen).
 
Die Entscheidung fällt für mich einfach bei einem thematischen Vergleich zwischen einzelnen Versen der vermeintlich vormarkinischen Heilungsgeschichte und übrigen Erzählungen im Markusevangelium. Außerdem findet sich in Mk 2:3 ein historisches Präsens (es heißt dort im griechischen Text nicht „kamen“, sondern „kommen“ (ρχονται), was ebenfalls typisch für Markus ist (hier mal alle 20 Vorkommen des Wortes im NT, 14 davon bei Markus: Mk 2:3, Mk 2:18, Mk 3:19, Mk 3:31, Mk 5:15, Mk 5:35, Mk 5:38, Mk 8:22, Mk 10:46, Mk 11:15, Mk 11:27, Mk 12:18, Mk 14:32, Mk 16:2, Mt 7:15, Mt 25:11, Lk 23:29, Jn 3:26, 1Cor 15:35, Heb 8:8).

thematischer Vergleich
Mk 2:1 Und nach etlichen Tagen ging er wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war.
Mk 7:24 Und er stand auf und ging von dort in das Gebiet von Tyrus. Und er ging in ein Haus und wollte es niemanden wissen lassen und konnte doch nicht verborgen bleiben; 25 sondern alsbald hörte eine Frau von ihm,
 

Mk 2:2 Und es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort.
Mk 1:32 Am Abend aber, da die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen. 33 Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.

 
Mk 2:3 Und es kamen einige, die brachten zu ihm einen Gelähmten, von vieren getragen.
Mk 7:32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte,
Mk 8:22 Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden
 
  
Mk 2:4 Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, gruben es auf und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag.
Mk 6:54 erkannten ihn die Leute alsbald 55 und liefen im ganzen Land umher und fingen an, die Kranken auf Tragen überall dorthin zu bringen, wo sie hörten, dass er war.
(im Griechischen ist das Wort für "Bett" und "Tragen" dasselbe)


Mk 2:11 Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim! 12 Und er stand auf und nahm sogleich sein Bett und ging hinaus vor aller Augen
Mk 6:41 und ergriff das Kind bei der Hand und sprach zu ihm: Talita kum! – das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! 42 Und sogleich stand das Mädchen auf und ging umher
 
Auch wenn Du anderer Meinung bist, kannst Du vielleicht verstehen, warum ich glaube, dass die Heilungsgeschichte ganz typisch „Markus“ ist. So wie sie erzählt wird, gehört sie meines Erachtens nicht zu einer „älteren und tieferen Schicht“, sondern liegt auf einer Ebene mit allen anderen Markusgeschichten und trägt deren markante Züge.
 

Von den sonstigen von Dir genannten Argumenten finde ich folgendes ganz interessant: „Ein weiteres Indiz für die Einfügung des Streitgesprächs ist für Bultmann, dem die meisten Exegeten auch in diesem Punkt folgen, die Spannung zwischen 5b-10 (skeptische Haltung der Schriftgelehrten) und Vs.12 (affirmative Haltung der Zuschauer nach vollbrachter Heilung). Nichts in Vs.12 weist spezifisch auf eine Reaktion der Schriftgelehrten hin, es heißt nur, dass "sie alle erstaunten und Gott priesen", was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Schriftgelehrten aber ausschließt, die im Mk eine durchweg skeptisch-negative Rolle zu spielen haben.
 
Meines Erachtens neigt Markus jedoch sowieso gern zu Generalisierungen wie schon in Mk 1:5: „Und es ging zu ihm hinaus das ganze judäische Land und alle Leute von Jerusalem und ließen sich von ihm taufen im Jordan und bekannten ihre Sünden.“ Dies würde ja die Tempelaristokratie mit einschließen.
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Markusevangelium 2,1-12 - "Heilung des Gelähmten" - von Tarkesch - 04-04-2017, 16:22
RE: Markusevangelium 2,1-12 - "Heilung des Gelähmten" - von Kunigunde Kreuzerin - 16-04-2017, 00:31

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