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Kritik an Feuerbachs Religionskritik
#22
(07-02-2010, 01:43)Gundi schrieb: Ok, ich denke jetzt verstehe ich dich:icon_cheesygrin: Du hast vollkommen recht, Feuerbach kann streng erkenntnistheoretisch keine Aussage über Gott machen. Aber wie gesagt, die Frage ob Gott existiert oder nicht wird von ihm nicht gestellt (in dem Sinne dass er darüber philosophiert). Er geht einfach von dessen Nichtexistenz aus und versucht aufbauend auf dieser Annahme das Phänomen Gottesbild/Gott zu erklären. Für sich selbst meint er Gott existiert nicht und gründet darauf seine Projektionsüberlegung.
[...]

Ich denke man würde hier einen Fehler machen wenn man Feuerbachs Religionskritik einfach unter dem Stichwort abstempelt er wäre ja von vornherein davon ausgegangen es gäbe Gott nicht und damit vielleicht auch die Bewertung mit einschließt es wäre aus philosophischer und erkenntnistheoretischer Sicht damit gleichwertig mit theologischen Überlegungen.

Denn ohne jetzt näher darüber nachzudenken welche Geisteshaltung und welche Überzeugungen Feuerbach persönlich gehabt haben mag und inwieweit sie nötig sind um etwas wie seine philosphische Arbeit überhaupt erst entwickeln zu können vernachlässigt man meines Erachtens mehrere Unterschiede sofern man Feuerbach tatsächlich auf Deinen kurzen Text eindampft.

Erstens, um eine solche Projektionstheorie überhaupt zu entwickeln muß man nicht Gott verneinen, man muß nicht einmal die Möglichkeit dazu eingestehen. Damit wäre auch ein Gläubiger in der Lage eine solche Theorie aufzustellen. Das ist natürlich relativ unwahrscheinlich da Menschen nicht dazu neigen Arbeiten über etwas zu verfassen woran sie nur als entfernte Möglichkeit glauben. Wir entziehen uns ungern unser eigenes Weltbild, wir stellen es ungern auf eine harte Probe. Aber die Divergenz der Gottesbilder könnte auch einen aufgeschlossenen Theologen zu der prinzipiellen Theorie führen daß die Gottesbilder die wir von Gott erstellen alle falsch und rein auf unserer menschlichen Natur beruhen, während Gott etwas ist worüber wir uns keinerlei Vorstellung machen können die auch nur annähernd zuträfe.
In gewisser Weise ist das auch der übliche Argumentationsweg, vor allem wenn Widersprüche zwischen Glaubensinhalten auftreten, aber auf der Gefühlsorgel wird dafür ausgiebig gespielt, als Qualia sind sie unergründlich genug. Lediglich das Moralisieren wird Theologen heutzutage und hierzulande noch öffentlich zugestanden, was man auch daran erkennt daß fast in jeder Fernsehrunde über Moral oder Ethik ein Theologe rumsitzen darf.

Zweitens, selbst wenn Gott tatsächlich existieren sollte sind Gottesbild und Gott nicht dasselbe. Das erkennt man alleine schon daran daß soviele unterschiedliche Gottesbilder auf der Welt existieren, jeder Gläubige hat im Prinzip sein eigenes, von konfessionellen oder religiösen Unterschieden gar nicht zu reden.
Insofern wird Feuerbachs Arbeit nicht dadurch wertlos daß man annimmt Gott existiere wirklich, während man tatsächlich annehmen müßte daß das Gottesbild das einzig wirklich reale an der ganzen Geschichte wäre wenn man annimmt Gott existiere nicht. Damit wäre dann allerdings ein sehr großer Teil der Theologie wo sie sich nicht direkt mit dem Menschen beschäftigt nahezu wertlos.

Damit ist Feuerbach, unabhängig davon was nun tatsächlich wahr ist bezüglich der Existenz eines Gottes, für die Theologie sehr viel gefährlicher als es die Existenz eines Gottes für Feuerbach wäre.
Das macht es aus erkenntnistheoretischer und allgemein aus philosophischer Sicht sehr attraktiv sich mit dieser Theorie der Projektion zu befassen, da selbst wenn sich das vermutlich ursächliche "Weltbild", der Atheismus, als falsch herausstellen sollte das noch keine vernichtenden Auswirkungen auf diesbezügliche Überlegungen von Feuerbach hätte, während umgekehrt das vom der Theologie bemühte Postulat, die Ausrichtung des Menschen auf Gott wäre die Ursache für seine Affinität zu Glauben selbst bei einer tatsächlichen Existenz dieses Gottes nicht zutreffen muß. Das Sehnen und das Ziel dieses Sehnens müssen nicht notwendigerweise in Verbindung stehen, vor allem wenn das Ziel und die Ausprägungen des Sehnens so unterschiedlich sind. Monotheismus, Polytheismus, Pantheismus, uswusf...
Hier sind nicht einfach andere der Gottheit unterlegte Eigenschaften vorhanden sondern teilweise ganz andere Auffassungen von Übernatürlichem die mit dem einen monotheistischen, oft perfekten und allmächtigen, Gott nichts mehr zu tun haben. Man denke nur an die verwundbaren und mit menschlichen Fehlern behafteten Götter der antiken Griechen.
Das läßt zumindest die Antworten auf die Frage nach der Spiritualität die Feuerbach gibt, auch wenn er als Beispiel dieser Spiritualität seine momentan häufigste Ausprägung, den abrahamitisch-monotheistischen Glauben heranzieht, selbst die Existenz dieses Gottes weitestgehend überleben, während die Theologie den umgekehrten Fall keinesfalls überleben würde, nicht in ihrer heutigen Form. Du hast selbst gesagt daß Du Feuerbachs Überlegungen sogar heute noch in psychologischen Untersuchungen des Phänomens Gottesbild eine Rolle beimisst.

Darin liegt vielleicht auch die Begründung, oder ein Teil davon, für den Nachhall den Feuerbachs religionskritische Arbeit in der Welt nach ihrer Veröffentlichung hatte. Sie ist ungleich mächtiger und gefährlicher für nahezu die ganze bisherige Theologie als es Gott für Feuerbachs eine Arbeit wäre, und das will schon was heißen. Das sollte man nicht vergessen bevor man Feuerbach einfach als Anti-Theologen betrachtet der in erkenntnistheoretischen und ideologischen Zwängen genauso gefangen wie umgekehrt die Theologen sei.
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Kritik an Feuerbachs Religionskritik - von Gundi - 05-02-2010, 02:57
RE: Kritik an Feuerbachs Religionskritik - von Gundi - 05-02-2010, 14:28
RE: Kritik an Feuerbachs Religionskritik - von Gundi - 05-02-2010, 15:18
RE: Kritik an Feuerbachs Religionskritik - von Gundi - 05-02-2010, 20:53
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RE: Kritik an Feuerbachs Religionskritik - von Hikikomori - 12-02-2010, 05:45
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