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Gathas des Awesta
#1
Für Lhiannon

Gathas des Awesta
Urtext der Heiligen Schrift
Aus dem Persischen ins Deutsche übersetzt und ausgelegt
von H. K. Iranschähr (1884–1962)

Das Wort Gatha wie auch das Sanskritwort Gita bedeuten Lied und Gesang.
Die Gathas bilden den ältesten Teil des Awesta, der Heiligen Schrift Zarathustras, des Propheten der alten Perser und der heutigen Parsis. Alle Orientalisten und Philologen, zu deren Bemühungen und Forschungen die Entzifferung und Übersetzung des Awesta gehört, stimmen darin überein, dass die Gathas Worte von Zarathustra selbst sind.
Die Gathas enthalten in kurzen Gesängen die Berufung Zarathustras für seine prophetische Mission, die Verkündigung und die Verbreitung der neuen Religion, einige Anrufungen, Gebete und Predigten.
Die Gathas unterscheiden sich von den anderen Teilen des Awesta durch ihre besondere Metrik, ihre dialektische Sprache und ihren philosophischen Inhalt, daher ihre Originalität und Wichtigkeit.
Im Jahre 1927 hat mein lieber Freund, der persische Gelehrte und Dichter, Poure Davoud, die Gathas aus der Awesta-Sprache unter Zuhilfenahme der in europäischen Sprachen vorhandenen Übersetzungen, besonders der von Professor Chr. Bartholomae, Heidelberg, die als die beste anerkannt ist, ins Persische übersetzt.
So wurde dreizehn Jahrhunderte, nach der Eroberung Persiens durch den Islam, die Heilige Schrift Zarathustras den Bewohnern des Landes wieder verständlich gemacht, wie sie bereits vor Tausenden von Jahren verkündet wurde.
Als ich die Übersetzung las und die Erhabenheit von Zarathustras Weltanschauung und die Wichtigkeit seiner Botschaft gerade für die heutige Zeit erkannte, habe ich mir die Aufgabe gestellt, die Gathas allgemeinverständlich ins Deutsche zu übersetzen.
Da die wenigen europäischen Übersetzungen nur die sprachliche Seite der Gathas erforscht und damit nur das Interesse der Studenten der Philologie erfasst haben, sind diese Übersetzungen für die Allgemeinheit, die nur in die Gedankenwelt Zarathustras eindringen möchte, unverständlich und unbrauchbar.
Darum habe ich mir in meiner Übersetzung zwei Abweichungen oder Neuerungen erlaubt.
1. Bekanntlich sind diese Gesänge nicht nur an verschiedenen Stellen der Yasnas eingesetzt, sondern sie sind auch nicht nach der Reihe der in ihnen ausgedrückten Gedanken angeordnet, z. B. befindet sich oft ein Teil einer Predigt oder einer Anrufung in einem anderen Lied, und dadurch ist der Zusammenhang der Gedanken unterbrochen.
Bei einigen Strophen gehören der erste und zweite Satz nicht zueinander. Man hat die Gathas nur nach ihrem Versmaß geordnet.
Darum habe ich mich bemüht, die Gesänge nach ihrem Inhalt zu ordnen und möglichst auch die Reihenfolge des Originals zu wahren.
Wie man aus dem Inhalt der Gathas erkennen wird, stellen diese Gesänge zusammengefasst die ganze Periode in Zarathustras Mission dar, d. h. seinen Lebenslauf vor und nach der Offenbarung der neuen Religion. Aber er verkündet hier nur Allgemeines und gibt noch keine festen Gesetze.
Daher glaubt man, dass die Gathas aus den Gesängen bestehen, die Zarathustra am Ende seiner Predigten als Zusammenfassung hinzugefügt hat, damit die Zuhörer diese leicht im Gedächtnis behalten konnten.
Um Klarheit über seine Lehre zu schaffen, habe ich den Werdegang und die Entwicklung seiner Mission in Betracht gezogen und die fünf Gathas ihrem Inhalt nach zu folgenden Kapiteln geordnet:
I. Die Klage der Weltseele und ihre Bitte um einen Richter und Erlöser
II. Die Offenbarung Gottes vor Zarathustra und seine Erleuchtung als Prophet
III. Die erste Predigt Zarathustras. Er verkündet seine neue Religion
IV. Zarathustras Verlangen nach weiterer Erleuchtung
V. Die Klage Zarathustras gegen seine Feinde und die Schwierigkeiten in der Verbreitung seiner Religion
VI. Zarathustras zweite Predigt. Die Verheißungen und die Bedrohungen
VII. Die Bekehrung des Königs Gushtasp und seines Ministers und der Sieg Zarathustras
VIII. Zarathustras Rede bei der Hochzeit seiner Tochter
IX. Der Heilige Geist
X. Zarathustras Gottanrufung
Bei dieser Einteilung habe ich überall vor jeder Strophe die Originalnummer des Yasna angegeben, damit das Vergleichen mit dem Text sowie mit den vorhandenen Übersetzungen leicht und möglich wird.
2. Bei der Erwähnung der Namen der Engel (Amschaspands) habe ich den Gebrauch der fremden (awestischen) Worte vermieden, denn jeder Name stellt gleichzeitig eine Eigenschaft Gottes oder einen abstrakten Begriff wie Reinheit und Herrlichkeit dar. Daher habe ich an Stelle der awestischen Wörter wie z. B. Wohumanah, Ascha, Armaiti usw., dieselben entweder als Engel der Reinheit, der Wahrheit usw. oder nur als Reinheit, Wahrheit usw. angemerkt.
Auch bei der Umbildung des Satzes hat meine Übersetzung einige Abweichungen; aber den Gedanken Zarathustras bin ich überall treu geblieben.
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir durch diese Gathas nur einen kurzen Überblick über die Religion und Weltanschauung Zarathustras erhalten können, denn, wie bereits gesagt, bilden diese Gathas nur einen kleinen Teil der Schrift Zarathustras. Daher habe ich die wichtigsten Punkte seiner Lehre nach Möglichkeit erläutert und erklärt und jedem Kapitel eine Erläuterung vorausgeschickt.
Über die Zeit, in der Zarathustra gelebt hat, kann ich nicht berichten, denn die steht nicht eindeutig fest. Die Orientalisten haben dazu verschiedene Meinungen. Manche glauben, in Übereinstimmung mit den noch heute bei den Zoroastern geltenden Überlieferungen, dass Zarathustra ca. 6 bis 7 Jahrhunderte vor Christi gelebt hat, andere dagegen gehen auf 8 bis 15 Jahrhunderte zurück. Nach meiner Überzeugung muss, wie einige griechische Historiker meinen, Zarathustra etwa 2200 Jahre vor Christi gelebt haben.
Zum Vergleich habe ich auch aus den anderen heiligen Schriften und aus den Werken der bekannten Denker Beispiele zitiert, damit es klar werde, dass die Wahrheit und die Weisheit überall und zu jeder Zeit dieselben sind, und dass alle Religionen eine gemeinschaftliche Grundlage haben.

Berlin, den 21. November 1929
H. K. Iranschähr

I. Die Klage der Weltseele und ihre Bitte um einen Richter und Erlöser

"Alle Gedanken, Worte und Taten Zarathustras sind Offenbarungen. Nehmet, o Engel, dieses Gebet an! Seid gesegnet, o heilige Gathas!"
Inhaltserläuterung

In diesem Gesang liegt die Begründung der Mission des Zarathustra. Die Weltseele, die Seele unserer Erde, klagt vor Ahura Mazda (Gott) über die Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten, die unter den Menschen herrschen.
Sie fleht zu Ahura und bittet um ein besseres und fröhlicheres Leben, genau so, wie heute die Seele der Menschheit klagt und um Hilfe fleht.
Ahura fragt seinen Engel der Wahrheit, ob er unter den Menschen jemanden kenne, der als Schützer und Richter geeignet wäre? Der Engel der Wahrheit antwortet, dass es keinen solchen Menschen gäbe.
Nun sagt Ahura der Erdenseele, dass der strebsame Ackersmann, der das Land bearbeitet und das Vieh züchtet, ihr einziger Schutz sei.
Da klagt wieder die Seele der Erde, der Bauer sei ein schwaches Geschöpf und könne sie nicht schützen. Sie brauchte einen gewaltigen Helden und einen machtvollen Richter.
Darauf sagt Ahura, dass es unter ihren Kindern einen Menschen gibt, der für diese Mission beauftragt werden wird. Der Heilige Geist sagt dann zu Ahura: "Ja, Herr, Dein Wille geschehe, denn Du bist allwissend, und Du kennst die Vergangenheit wie auch die Zukunft. Wir, Deine gehorsamen Diener, sind mit dem zufrieden, was Du willst."
Gleichzeitig fleht Zarathustra zu Ahura und bittet um Erschaffung einer Macht, die die Welt retten und regieren sollte. Er sagt: "Fürwahr, o Ahura, Du allein bist fähig, eine solche Macht zu schaffen!"
Die Wahl des Ahura ist getroffen, und Zarathustra ist als Richter und Erlöser auserwählt.
Die Weltseele fragt den Heiligen Geist, ob endlich jemand zu ihrem Schutz beauftragt worden sei.
Er antwortet: "Ja, es ist geschehen, und dieser Erlöser ist der heilige Zarathustra, denn er ist der einzige unter den Menschen gewesen, der das Gesetz des Ahura angenommen hat."
Daraufhin ist die Weltseele beruhigt und zufrieden und erhebt ihren Dank- und Lobgesang zum Throne Ahuras empor.
Zarathustra selbst wendet sich zum Volk und sagt:
Ihr Menschen, ihr sehet, wie die Gerechtigkeit von der Erde verschwindet, wie die Reinheit befleckt und wie die Herrschaft verknechtet worden ist! Darum gehorchet mir, damit wir die neue Lehre in uns aufnehmen und die Welt erneuern können!"
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Gathas des Awesta - von Bion - 26-11-2007, 19:10
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