28-12-2010, 12:33
(28-12-2010, 11:24)Bion schrieb: Weniges aus dem Koran wird (auch unter Muslimen) so unterschiedlich interpretiert, wie die Verse 2,190-193.
Manche legen diese Versen als Auftrag aus, gegen Ungläubige rücksichtslos vorgehen zu müssen, andere sehen sie als Gebot der Mäßigung, als Mahnung, die Mordlust im Krieg zu zügeln, nur zu kämpfen, wenn die Gemeinschaft der Muslime bedroht ist.
Diese Verse sind weder eine Anweisung, alle Ungläubigen zu ermorden, noch ein Gebot, das Angriffskriege untersagt. Die Verse sind schlicht und einfach Vorgaben des Propheten, die seine "Gefährten" bei der Rückeroberung Mekkas zu berücksichtigen hatten.
Damit sprichst Du schon ein Grundproblem an. Kann und muss man die koranischen Aussagen als situationsbedingt ansehen, oder handelt es sich um ewig gültige Aussagen Gottes? Kann, darf oder muss man also den Koran historisieren? (Wer das in islamisch beherrschten Ländern tut, riskiert sein Leben.) Ich habe übrigens den Eindruck, dass die friedliebenden Muslime genau das tun, falls sie sich denn mit solchen Stellen überhaupt befassen.
Darf man es nicht, so hat man - wie dies ja auch die gültige Auffassung ist - das unmittelbare und unwandelbare Wort Gottes vor sich. Und wenn man Gott nicht zum mehr oder weniger geschickten Geschichtenerzähler degradieren will, kann man doch wohl nur davon ausgehen, dass er entweder direkte Anweisungen gibt oder Beispiele, aus denen etwas gelernt werden soll.
Zitat:Den Muslimen des ersten Jahrhunderts nach Mohammed war das noch bekannt und für sie somit kein Hindernis, die Expansionskriege zu führen, die sie, wie man weiß, innerhalb kürzester Zeit das persische Sassanidenreich, die östlichen Teile des byzantinischen Reichs, Nordafrika und einen guten Teil Spaniens überrennen ließen.
Offen gesagt, erkenne ich hier nicht den unmittelbaren Zusammenhang. Die Eroberung Mekkas kann man ja vielleicht als halbwegs gerechtfertigt beurteilen: Die Muslime waren aus Mekka vertrieben worden. Sie waren aber weder aus Byzanz, noch aus Persien, noch aus Spanien vertrieben worden.
Zitat:Tilman Nagel beurteilt Sure 2, 190f. folgendermaßen:
T. Nagel schrieb:In Sure 2, in der Mohammed zum ersten Mal ins einzelne gehende rituelle Vorschriften für seine Anhängerschaft erlässt, betrachtet er diese insgesamt als eine Schar, die von ihrem angestammten Kultort vertrieben wurde und daher die Aufgabe hat, mit Waffengewalt die Rückkehr zu erstreiten:
"Kämpft auf dem Pfade Allahs gegen diejenigen, die euch bekämpfen, verübt aber keine Exzesse! Allah liebt nicht diejenigen, die Exzesse begehen. Tötet (eure Feinde), wo immer ihr sie trefft, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben! Die Verführung (zum Abfall vom Islam) ist schlimmer als das Töten! Bekämpft sie aber nicht am geheiligten Gebetsplatz (an der Kaaba), ehe sie ihrerseits euch dort bekämpfen. Und wenn sie euch bekämpfen, dann tötet sie! So vergilt man den Ungläubigen!" (Vers 190 f.).
Das Band, das Mohammed und seine Anhänger vereinen soll, ist die Vertreibung - die neue Umgebung, in der sie leben, Medina, spielt in diesen Versen noch keine Rolle.
Quelle: T. Nagel, Mohammed, 251
Es geht doch offensichtlich nicht nur um die Eroberung eines Ortes, auf den man meint, einen gerechten Anspruch zu haben. Es geht weiter: Es geht darum, dass die Verteidiger von Mekka Polytheisten waren, die von ihrem eigenen Glauben überzeugter waren als von dem, was Muhammad verkündete. Und die - das darf man wohl annehmen - in Diskussionen mit Muslimen auf der Richtigkeit ihrer Ansichten beharrten. Üblicherweise versucht man in solchen Diskussionen, den anderen von der Richtigkeit seiner eigenen Ansichten zu überzeugen, was dann von der anderen Seite her als "Verführung zum Abfall vom Glauben" und hier als ein todeswürdiges Verbrechen, denn das ist "schlimmer als das Töten", angesehen wird.
Gruß
Vitoria
