18-12-2010, 11:40
(18-12-2010, 08:28)qilin schrieb: Das Absolute (so es 'existiert') ist, wie Visionaire, Thomas und Karla ja einleuchtend darlegen, gedanklich nicht erfassbar, stimmt also mit unserem Gedankenkonstrukt, der Vorstellung eines 'Absoluten', nicht überein - dazwischen klafft eine unüberbrückbare Lücke.
Da ich hier miterwähnt bin, möchte ich noch einmal betonen, dass ich es gerade gegenteilig sehe. Mit "Gedankenkonstrukt" meinte ich den abstrakten Begriff "das Absolute" - und nicht die Vorstellung.
Das ist eigentlich seit Kant und der Aufklärung, spätestens aber seit Wittgenstein und Carnap und überhaupt seit der Existensz von Sprachwissenschaft - also seit die spekulative Theologie nicht mehr die Dominanz hat - klar.
Beispiel: essen kann ich nur konkrete Äpfel. Von einem konkreten Apfel kann ich auch eine Vorstellung haben: bin ich ausgehungert, kann mir ein Apfel ganz konkret andauernd vorm Gehirn schweben, weil ich so einen jetzt essen möchte.
Der von einzelnen Äpfeln abstrahierte und verallgemeinernde Begriff Apfel gehört in den Bereich Begriffe, ist nicht essbar, nicht einmal anfassbar, sondern dient nur Gedankenoperationen.
Er ist auch nicht vorstellbar. Was immer ich mir vorstelle, ist etwas Konkretes oder Konkretisiertes.
Noch klarer ist das mit Begriffen, die von vornherein Abstrakta sind:
ich kann als Pubertierender - oder noch früher - ein Kribbeln im Bauch oder 'Herzflimmern' kriegen, und jemand sagt mir: sowas nennt man 'Liebe'.
Konkret dabei ist das Gefühl. Dieses ist - konkret - existent. Die Benennung dazu fasst mehrere Gefühle - nämlich alle die, die im Zusammenhang mit diesem Herzflimmern noch auftreten können - Bewunderung, Sehnsucht, Verlangen, Flüchtenwollen etc. - zusammen mit den fünf Buchstaben L-i-e-b-e.
Dieser abstrakte Begriff Liebe ist nicht mehr vorstellbar. Sondern lediglich die Gefühle und Empfindungen, die mit dem Wort zusammengefasst wurden.
Wenn ich liebe, läuft in mir nicht das allgemeine Wort ab, sondern die konkreten und als getrennt wahrnehmbaren Einzelempfindungen. Das Wort ist nur das Etikett.
Existieren im konkreten Sinn ist nur das Gespürte. "Liebe" an sich existiert nicht. Es sei denn, man erweitert den Begriff 'existieren' dahingehend, dass man auch rein sprachliche Existenz dazuzählt.
In der spekulativen Theologie des Mittelalters war das noch anders. Da sagte man: die Begriffe sind von Gott geschaffen, sie waren eher da als die konkreten Dinge.
Also nicht der Mensch hat Alltemeinbegriffe aufgrund von Beobachtung geschaffen - sondern Gott.
Der konkrete Apfel sei ein armseliges Ding gegenüber dem abstrakten Apfel, dem die ganze göttliche Fülle einwohne.
Man ging sogar so weit, dass man dem konkreten essbaren Apfel Scheindasein zusprach, während der abstrakte Apfel die zu erstrebende Wirklichkeit sei.
Diese spekulative Theologie des Mittelalters schien eigentlich rundum im 20. Jahrhundert erledigt.
Kein Mensch - Ausnahmen wird es in religiösen Kreisen mitunter gegeben haben - nahm mehr an, dass "Baum an sich", "Hass an sich", "elektrische Geräte an sich" eine Art göttlicher Realität haben, die mehr Existenzkraft besäße als das konkrete Hassgefühl, das ich haben kann, als die elektrische Küchenmaschine, die ich gekauft habe.
Das ist im Zuge der Neugläubigkeit in den letzten zwanzig Jahren wieder anders geworden - und zwar querbeet, auch bei den Atheisten. Plötzlich unterscheidet man nicht mehr zwischen rein sprachlichen Gedankenoperationen und konkret erfahrbaren Dingen, sondern tut so, als ob die Abstrakta tatsächlich entweder existieren oder in ihrer Existenz mittels Logik als falsch erklärt werden könnten.
'Das Absolute' also ist nicht erfahrbar. Weil von Menschen geprägte Begriffe per se nicht erfahrbar sind.