02-11-2010, 14:38
(02-11-2010, 08:06)qilin schrieb: Dass 'Treue, Eid und Ehre' (vor allem aber auch deren tragische Folgen) in der deutschen (und mindestens ebenso in der japanischen) klassischen Literatur zentrale Themen sind ist unbestreitbar - das hängt wahrscheinlich mit der dort übermäßig gepflegten Betonung
von 'Krieg, Kampf und Tod' als Wert an sich zusammen.
Der Witz ist ja, dass das, was in der Germanisitk als "klassische Literatur" angesehen wird, ja alles auf der Rezeption der griechischen und römischen Antike beruht, und gerade eben nicht auf der germanischen.
Und die Epen des Mittelalters - und andere kennen wir fast gar nicht - sind bereits christianisiert. Der Kmapf gegen den Drachen war der Kampf des Christen gegen den germanischen Heiden.
Selbst die literarischen Romantiker, die anfingen, die einfache Bevölkerung ernst zu nehmen und deren Märchen sammelten und würdigten, stellten sich ihre Zukunftsvision - ein vereintes Europa zum Beispiel - unter der Leitung der katholischen Kirche vor.
Das, was vielleicht einmal wirklich "die germanische Kultur" war, ist von den Christen ausgerottet worden. Es war einfach tabu, überhaupt noch davon zu reden, dass es mal etwas anderes gegeben hat als das Christentum. Das wurde per Gehirnwäsche - Drohung von entsetzlicher Rache des christlichen Gottes - möglichst komplett "gelöscht".
Insofern hat das Christentum den "bekehrten Völkern" das schlechte Gewissen eingepflanzt, das sie gegenüber dem Heidentum zu haben hätten.
Das geschah so tiefgreifend und wirksam, dass man eben selbst dann, wenn man in der Dichtung dem Christentum etwas entgegensetzen wollte - und dabei auf alte Mythen zurückgriff -, das nicht mit deim eigenen, vernichteten, Heidentum tat, sondern mit einem fremden Heidentum: den griechischen und römischen Sagen.
Nur kann man eben nicht auf Dauer eine ganze Nation unter Schach halten und ihnen verbieten, sich mit ihrer ursprünglichen Kultur auseinanderzusetzen.
Aber wie es so ist mit einem künstlich gezüchteten schlechten Gewissen:
Als dann im 19. Jahrhundert das Bedürfnis entstand, das Tabuisierte vom Tabu zu befreien, geschah es krankhaft, überdreht. Der Aufstand gegen die christliche Oberhoheit wurde zur Verherrlichung dessen, was das Christentum einst ausgerottet hatte.
Da man aber wenig wusste über das, was ausgerottet worden war, erzeugte man ein Pseudogermanentum, dessen Tugenden man gegenüber den christlichen Tugenden ausspielen wollte - ohne doch
dem Christentum entrinnen zu können. Das Obrigkeisdenken wurde imitiert.
All das ist eine komplette kulturelle Sackgasse.
Selbst Nichtchristen haben das Tabu, das die Christen gezüchtet haben, übernommen und tabuisier(t)en nun ebenfalls die Auseinandersetzung mit den germanischen Mythen und vor allem deren Akzeptanz. Man hatte sie pfui zu finden.
Es wird wohl der Zukunft vorbehalten bleiben, die gleiche Unbefangenheit gegenüber der germanischen Antike wiederzugewinnen wie gegenüber der griechischen und romischen Antike.
Meines Erachtens garantiert erst eine solche wiedergewonnene Unbefangenheit, dass das krankhafte Pseudogermanentum von alleine zerfällt. Ein Tabu hingegen erzeugt irrationalen Widerstand.
(02-11-2010, 08:06)qilin schrieb: Zur Darstellung Dahns vgl. hier:
.westfr.de/ns-literatur/dahn-wolff.htm
Danke für diesen Link. Ich habe die ganze Abhandlung gefunden, die sich mit dem historischen Roman auseinandersetzt.
Ob da nun aber alles untendenziös beschrieben wird, sollte man prüfen. Manches schien mir beim Überfliegen pauschal. Aber wertvoll ist die Abhandlung auf jeden Fall.
