09-10-2010, 10:38
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 09-10-2010, 10:43 von Franziskus.)
(08-10-2010, 17:15)t.logemann schrieb: ----ich bezweifle mal, dass die Demokratie so wie wir sie heute kennen einzig und alleine auf den Gedankengängen der Humanisten, der Atheisten aufgebaut wurde. Christliche (nicht kirchliche) Werte spielten da ebenso eine Rolle wie alttestamentarisch-jüdische Werte - und nicht zuletzt auch die leidvollen Erfahrungen der Juden mit den wechselnden Progromen im Laufe ihrer Diaspora.
Die europäische Demokratie ist genau so ein Kompromiß wie die konstitutionelle Monarchie einer war, (die einzige Ausnahme im letzteren Falle stellt das Empire dar, aber die Kollegen Europas waren nie darum bemüht, dem Ideale nachzueifern- im Übrigen darf man im Zusammenhange mit dem Empire auch die religiöse Besonderheit nicht vergessen). Ein Kompromiß, der im Laufe der Zeit durch Revolutionen - den Mob, wie er so wunderbar von Ekkard in anderem Zusammenhange gebrandmarkt wurde - diktiert wurde. Die Demokratie, wie wir sie kennen, konnte nur durch "den Mob" entstehen; dieser Mob war von seiner Prägung her eher atheistisch. In jedem Falle waren die Denker, die hinter den Prozessen, die u.a. zu der großen Revolution in Frankreich führten, Menschen, die nichts als gottgegeben akzeptierten und Dinge hinterfragten.
Ohne den "Mob" gäbe es heute weder eine konstitutionelle Monarchie, noch eine Demokratie. Der Klerus hätte genauso viel Macht über die einzelnen europäischen Staaten wie noch vor 300-400 Jahren, und eine Exkommunikation aus Rom wäre ein Casus Belli für alle anständigen, katholischen Staaten. Auch würde es immer wieder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen wahrheitswütiger Evangelen - wahlweise gegeneinander, heißt: Lutheraner gegen Calvinisten und umgekehrt, als auch gegen eine katholische Minorität im Lande geben.
Die im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte voranschreitende Entmachtung sowohl des Klerus', als auch der evangelischen Strömungen, hat sehr viel mit jenen gewaltsamen Revolten zu tun. Ihnen "verdanken" wir dieses System. Hätte es jene Revolten nicht gegeben, gäbe es heute kein demokratisches Europa. Das Christentum, um es so allgemein zu formulieren wie Du, Thomas, hat hier einzig Bremsklötze ins System eingearbeitet, die teilweise bis heute fortbestehen und zu so dämlichen Analogien wie "christliches Abendland" führen. Das christliche Abendland ist tot, und diese Leiche ist keine, der man irgendwelche Tränen nachweinen sollte, wenn man sich objektiv ansieht, was jenes in Europa angerichtet und welche Resultate - bis hin zum antisemitischen Holocaust (christlicher Antisemitismus hat eine Jahrhunderte lange, traurige Tradition im christlichen Europa, durch alle Strömungen hindurch - Luther war, gleich der Päpste, die er verabscheute, ein glühender Judenhasser)- es hervorgebracht hat.
Die Religionsfreiheit, die weitgehende politische Entmachtung der Religion, die Religionsausübung als Privatsache, nicht mehr als Hybris, die auch gegen fremde Republiken sich richtet,- all dies ist nicht das Resultat christlicher Katharsis, sondern revolutionärer Aufstände gegen das aus diesem Unrechte hervorgegangene System. Insofern ist es inkonsequent, nahezu masochistisch, als Nutznießer eines Systems, das nur durch die Gewalt gegen die herrschende religiöse und traditionelle Klasse entstehen konnte, jene Religion, die das hervorgebracht hat, was man heutzutage als überwunden ansieht, als sonderlich prägend für dieses System zu betrachten. Diese Religion, das Christentum, hat weiterhin ihren Einfluß in diesem System; ihr Bruder, der Islam, hat ebenso an Einfluß gewonnen. Aber dies ändert das System nicht, das in Europa grundsätzlich Staat und Kirche trennt - in einigen Ländern weniger (bsplw. Deutschland), in anderen Ländern mehr (bsplw. Frankreich). Aber jene Trennung ist das Wesen dieses Systems, das ohne starke nicht-religiöse Opposition niemals entstanden wäre.
Edit: Um hier noch eine Ergänzung vorzunehmen - meine Ausführungen gelten der europäischen konstitutionellen Monarchie und später der Demokratie, nicht aber der amerikanischen Demokratie. Die amerikanische Demokratie ist weitaus mehr religiös geprägt als die europäische, ist auch in anderen kontextuellen Zusammenhängen zu betrachten.
“I love to play with kids; they’re easy to cheat and fun to beat.” –Fran Lebowitz

