19-08-2010, 12:21
(19-08-2010, 09:05)Der-Einsiedler schrieb: Einmal angenommen, es gäbe "das Böse" (wobei ich der Meinung bin, dass es "das Böse" losgelöst nicht gibt, sondern dass verbrecherisches und/oder "unmoralisches" Handeln immer soziale und/oder soziokulturelle Ursachen hat), warum genügt es dann (vor allem theistisch glaubenden) Menschen nicht, dieses "Böse an sich" zu konstatieren, warum müssen sie es auch noch personalisieren? Vielleicht um Böses besser verstehen zu können? Oder sich selbst leichter (?) abgrenzen zu können? Oder gar, um Verantwortung zu projizieren?
Vielleicht ist dieser Beitrag hier falsch und müsste in den "Luzifer-Thread", aber andererseits geht es mir nicht um "Luzifer", sondern um das Thema "Gut gegen "Böse""
Ich denke nach wie vor, dass ein Grund für die Personalisierung darin liegt, wie ich es auch schon im Luzifer-Thread schrieb: dass unser Unbewusstes mit Bildern arbeitet. Das Unbewusste personalisiert sozusagen. Oder symbolisiert. Erkennbar zum Beispiel an unseren Träumen in der Nacht.
Da das Unterbewusste auch am Tag vorhanden ist, wird, vermute ich, alles und jedesvon uns in (mindestens) zwei Formen gleichzeitig wahrgenommen: individuell und symbolisch bildhaft.
Beispiel: ein Zug (Eisenbahn).
Die individuelle Wahrnehmung: das ist halt ein Zug, der mich nach Garmisch bringen soll.
Symbolisch bildhafte Wahrnehmung: ich träume, dass ich in einen Zug einsteige, der nicht abfährt. Ich steige in den nächsten Zug, der fährt auch nicht ab. Der dritte auch nicht.
Kurz: das Unbewusste nimmt das Bild 'Zug', um eine psychische Schwierigkeit zu bebildern.
Dass dieses Symbolhafte auch am Tag wahrgenommen wird, kann erklären, warum manche bei einem Tunnel, einem Keller, einem Lift ein rational nicht zu erklärendes Grauen empfinden.
Erklärbar ist das nicht allein durch gegebenenfalls negative Erfahrungen.
Menschen, die anderen Menschen überwiegend mit der Vernunft begegnen, personifizieren nicht bestimmte Individuen als 'die Böse' oder 'den Bösen'. Das tun - vermutlich - eher Menschen, die sich von den Mustern des Unbewussten steuern lassen. So ist dann unser Papst 'der Böse', der Antichrist.
Spannend finde ich, dass in den letzten Jahrzehnten dieses Bedürfnis, sich von diesen Mustern so steuern zu lassen, dermaßen wieder aufgebrochen ist. Es fällt sogar hinter das Mittelalter.
Denn das Mittelalter hatte bereits den Prozess hinter sich, 'den' Bösen gegen 'das Böse' auszutauschen:
Es hatte also das Urbild 'der Böse' bereits in einen abstrakten Begriff - 'das Böse' - verwandelt.
Warum man nun neuerdings um mehr als 1000 Jahre zurückfällt in der Bewusstwerdung, ist das große Rätsel. Warum greift man wieder zu vormittelalterlichen Konzepten, die man längst überholt glaubte?
Meine Vermutung geht in diese Richtung: dass die Vernunftkonzepte zu wenig erklären. Schon das Dritte Reich hat nach seinem Zusammenbruch diese Vernunftkonzepte fast als Hohn entlarvt.
Aber was hat man danach getan? Erst recht die Vernunft und den Verstand in den Vordergrund gerückt. Sogar die Kirchen machten da mit, rationalisierten das Urböse und 'den' Bösen.
Und jetzt haben wir eine ganze Volksbewegung - Aufstand der Massen -, die den Urbösen wieder am Werke sehen. Selbst die Kirchen werden davon angesteckt und überlegen sich, ob sie nicht was falsch gemacht haben, als sie allzu rational wurden.
Es ist sicher so, Einsiedler, dass Einzelne dieses Wiederentstehen der Personifizierungen von entweder Urbildern oder abstrakten Begriffen dazu nutzen, um ihre eigene Unzulänglichkeit diesem Urbösen in die Schuhe zu schieben. Ich beobachte das auch an vielen Evangelikalen.
Aber als wirklichen Grund für die Wiedererstarkung dieses mythologischen Weltbildes sehe ich die Tatsache, dass unsere gesamte Welt von der Vernunft nicht ausreichend erklärbar erscheint. Das Geschehen in der Welt wird als irrational, unerklärbar, angstmachend empfunden. Und darum greift man wieder zu mythologischen Konzepten, die ihnen die Welt besser erklären als die Kirchen oder die Philosophen. Oder gar die Politik.