11-04-2010, 14:36
Zitat:09-04-2010, 21:24 Beitrag: #262
Ekkard
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RE: Christianentum
Hallo Volker,
wenn ich deine Texte so lese, dann zeigt sich mir eines deutlich: Du findest dich nicht in einem pragmatischen, endlichen Leben, sondern in einem idealistischen Alptraum.
Der Mensch macht nun mal Fehler. Und das einfach, weil eine ideale Handlungsweise einen unendlichen Regress an Kontrollmethoden und -Mechanismen erfordert. Das kann kein Mensch leisten. Richtig: Man sollte die Fehlerquote nicht durch Drogengebrauch auch noch erhöhen!
Lieber Ekkard,
erstmal möchte ich mich bei Dir bedanken, daß Du mich immer noch anschaust, obwohl ich Dir immer fremder erscheinen mag.
Warum habe ich so ein starkes Gefühl, daß uns nur ein großes Mißverständnis trennt ?
Du sagst, daß ich mich nicht in einem pragmatischen, endlichen Leben finde, sondern in einem idealistischen Alptraum.
Das Gegenteil ist meine ganze Sehnsucht. Ich sehne mich nach einer pragmatischen und endlichen Religion und hasse idealistische Träume, die wie im Kommunismus leicht zum Alptraum werden können.
Du sagst, daß der Mensch nun mal Fehler macht. Gibt es im Christianentum nur eine einzige These, die diese Tatsache leugnet ?
Das Christianentum möchte verstehen lernen und gibt es eine Haltung, die pragmatischer ist, als die ewige Frage nach dem Warum ?
Was kann pragmatischer sein, als der Gedanke, daß das Vertrauen in Gott begrenzt wird durch das Vertrauen in den Piloten ?
Was kann pragmatischer sein, als der Verzicht auf die Frage nach dem Glauben oder dem Nichtglauben des Piloten, wenn er nur die Gesetze Gottes befolgt und das Flugzeug sicher landet ?
Was kann pragmatischer sein, als die Feststellung, daß die Überheblichkeit eines Piloten zum Absturz eines Flugzeugs mit 250 Menschen über Queens bei New York geführt hat ?
Was kann pragmatischer sein, als die Feststellung des Christianentums, daß die Überheblichkeit des Piloten zum Absturz der Maschine des polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski mit 97 Toten geführt hat ?
Ist diese Ursachenermittlung ein idealistischer Alptraum ?
Ist an dieser Stelle nicht eher die Wirklichkeit des Lebens ein Alptraum ?
Ist die Frage nach dem Geschenk der Bescheidenheit oder nach dem Geschenk der Vorsicht, die diese unmenschliche Überheblichkeit verhindert hätte, ist diese Frage ein idealistischer Alptraum ?
Liegt hier vielleicht eine Verwechslung vor ?
Wird hier an den Stellen, an denen das Leben zum Alptraum wird, die pragmatische Frage nach der Ursache als idealistischer Alptraum diffamiert ?
Niemals und an keiner Stelle wird im Christianentum geleugnet, daß der Mensch Fehler macht. Es irrt der Mensch, solang er lebt. Aber an dieser Stelle, an der sich das pragmatische Denken in einer Sackgasse befindet, weil es nicht weiß, wie eine Lösung aussehen könnte, setzt das Christianentum zum Sprung in ein unbekanntes Gebiet an: Auch Gott kann sich irren.
Was ist idealistischer, entweder anzunehmen, daß Gott unfehlbar sein muß oder die pragmatische Vermutung, daß auch die Natur Fehler machen kann ?
Sie liebte und beschützte in Hunderttausenden von Jahren den Neandertaler und konnte ihn aufgrund eines anatomischen Irrtums doch nicht vor der endgültigen Vernichtung retten.
Was ist pragmatischer, als mit dem Christianentum nach den Ursachen zu fragen oder , wie im Christentum, das als den unerforschlichen Willen Gottes unzulässig zu vereinfachen ?
Dabei begeht auch das Christianentum eine Sünde wider den Geist der Ratio durch eine unzulässige Vereinfachung. Was ist mit der christianischen Feststellung, daß Gott oder die Natur sich irren kann, gewonnen ? Fast nichts. Der Begriff "Irrtum" öffnet eine Tür, aber erklärt nichts. Das Christianentum steht hier ganz am Anfang einer Evolution des Denkens. Es deutet einen Quantensprung an, kann ihn aber nicht vollziehen.
Es bleibt noch viel zu tun. Die Zeit, daß der Religion ein Ghetto zugewiesen wurde, ist vorbei. Was ist pragmatischer als die Feststellung, daß das Christianentum das Leben aufsaugen und durchdringen möchte als Oxidationshilfe des Denkens und Verstehens ?
Der Mensch macht nun mal Fehler, sagst Du. Aber darum geht es doch gar nicht. Es geht um die Ursachenforschung, wie es zu diesen Fehlern kommen kann. Das Christianentum ist eine Fragereligion, keine Verkündigungs- und Schriftreligion. Es ist eine Forschungsreligion, die mit ihrem Wunschpartner Wissenschaft Ursachenforschung betreiben will. Und das soll nicht pragmatisch sein ? Das soll ein idealistischer Alptraum sein ? Ist Sprache hier die unüberwindliche Barriere des Verstehens ?
Ich fühle mich mit dem mir allmählich entwachsenden Kind Christianentum so unendlich mißverstanden, daß mir die Worte fehlen.
Volker

