10-02-2010, 13:37
(09-02-2010, 20:14)VolkersList schrieb: das Zentrum des Christianentums sind nicht die 361 Thesen, sondern die 1000 Gottesgeschenke. Die Thesen sind nur die Praelogien, die zum eigentlichen Glauben führen können, indem man die Geschenke Gottes sucht und anwendet, was zudem der Sinn des Lebens ist.Mit den so formulierten "Gottesgeschenken", die in deinem Büchlein stecken, fangen meine Probleme allerdings erst richtig an.
Beispiele:
347. Das Geschenk der Vermutung, dass alle Wirtschaftsbeziehungen der Menschen untereinander auch Beziehungen zu Gott sind, der in jedem Menschen wohnt.
Ich glaube, dass "347" mehr wäre als eine Vermutung, wenn wir die Wirtschaftsbeziehungen ganz allgemein als eine Beziehung wahr nähmen, die ganz selbstverständlich über unser wahres Menschenbild Auskunft gibt. Viele Miss-Stände sind nur dadurch zu erklären, dass unser Menschenbild eurozentrisch - und damit gruppenzentriert - ist. Diese Art der Beziehung wird gerade im Christentum als ausgesprochen verwerflich angesehen und stellt somit keine neue Forderung nach Besserung dar. In "347" muss man sich die eignetliche Forderung nach Verbesserung der Beziehungen aufgrund des "göttlichen Vermutungsgeschenks" selbst denken.
Sorry Volker, das spiegelt mal wieder das Problem, dass Wahrheiten "verklausuliert" werden, auf dass niemand "vor den Kopf gestoßen" werde.
327. Das Geschenk des Bewusstseins, dass jeder Mensch am Fortschritt der Menschheit beteiligt ist, so winzig er auch sein mag.
Was bitteschön ist "Fortschritt". Noch so eine Verschlüsselung. Im Allgemeinen ist europäischer Fortschritt ein anderer Ausdruck für Wohlergehen und Reichtum in der Hand Weniger (besonders, wenn sie in die ehemaligen britischen Kolonien ausgewandert und dort eigene Staatsgebilde aufgerichtet haben. Ihr eurozentrierter Gruppenegoismus treibt dort die wundersamsten religiösen Verbrämungen, damit niemand auf die Idee komme, es könne sich um Gier handeln).
Was du meinst, mag etwas anderes sein, dann schreib' das auch so!
(09-02-2010, 20:14)VolkersList schrieb: Wenn Gott in jedem Kleinstlebewesen, in jeder Pflanze, in jedem Tier wohnt, dann schaffen wir den Sprung, der uns als Rückschritt erscheint ziemlich ohne Probleme.Lieber Volker,
Wenn Gott aber im Menschen ( wie in jedem Lebewesen) wohnt, scheint es gefährlich zu werden. Warum?
Kommen wir dann unserem Schöpfer und uns selbst zu nahe?
ich glaube einfach nicht, dass Gott in jedem Lebewesen wohnt, auch nicht im Menschen - jedenfalls nicht als Eigenschaft Gottes. Hier tust du einfach das, was die römisch-katholische Kirche auch tut: du ordnest Gott Eigenschaften zu, die man nicht wissen kann. Diese Behauptungen enden bei näherer Analyse in Widersprüchen. Ich weiß, das Christianentum möchte diese Widersprüche zum religiösen Text vermeiden, aber das gelingt nur, wenn man Religion für gruppendynamische Prozesse offen hält. Texte sind nur Projektionsflächen, auf der hier und da kleine Markierungen angebracht sind, damit man weiß, worüber gesprochen wird.
Hinter den "1000 Gottesgeschenken" steckt vielleicht die richtige Idee, aber du bist noch viel zu katholisch, um diese offensiv zu formulieren. Möglicherweise wären weniger Thesen besser, vor allem Thesen, die sich um grundsätzliche Bedürfnisse von Menschen kümmert, sprich um ein Menschenbild, was unsere eurozentrischen Fortschritte aufspießt und endlich sagt, dass wir auf Kosten anderer und der Umwelt leben.
(09-02-2010, 20:14)VolkersList schrieb: Ist das heerensche Christianentum eine gefährliche religiöse Selbstananlyse?Meines Erachtens ist die Heerensche Formulierung einer neuen Religion überhaupt keine "Analyse", sondern es ist bestenfalls der Versuch, sich von der Dogmatik einer bestimmten Kirche zu lösen. Ich sag ja: Anregungen zum Nachdenken gibt es viele. Nur als "neue Religion" taugen sie nichts, weil sie erkennbar gegen etwas sind, das bereits existiert. Und "gegen etwas sein" reicht nicht, um andere mitzureißen, besonders jene, die schon seit 500 Jahren mit jener Institution gebrochen haben.
(09-02-2010, 20:14)VolkersList schrieb: Ist es normal und anerkannt zu sagen, in Jesus Christus hat Gott gewohnt, aber ist es Blasphemie zu sagen, daß Gott in 6,8 Milliarden Menschen wohnt ?Nu, es gibt mehr als einen Gläubigen, der auch Jesus und Gott nicht in dieser Form "zusammenbringen". Jesus hat zu Gott gebetet, er hat im Namen Gottes Sünden vergeben, Kranke geheilt und Ausgegrenzte in die Gemeinde zurück geholt.
Weil hier ein theologisches Problem für viele Gläubige besteht, verlagert das Christianentum den unfassbaren Gott der abrahamitischen Religionen ganz konkret "auf Alle" (Menschen). Meiner Meinung nach wird das angesprochene Problem damit nur verschoben, vielleicht im Sinne demokratischer Ansichten eines modernen Mitteleuropäers.
(09-02-2010, 20:14)VolkersList schrieb: Wohnt Gott doch nicht persönlich in jedem Lebewesen, sondern nur seine göttlichen Gesetze?Es steckt eine große Klugheit in der ursprünglich jüdischen Auffassung, dass Gott zwar überall wirkt, aber nirgends einen besonderen Ort in der Welt hat. Jeder "Gerechte" kann die Welt retten, so die jüdische Auffassung. Dazu muss er kein Gott sein.
(09-02-2010, 20:14)VolkersList schrieb: Sind die menschlichen Gipfelerlebnisse der Liebe, aber auch die furchtbaren Konflikte der Menschen untereinander schon der Lebenskampf Gottes mit sich selbst?Volker, du löst das Problem der Theodicee nicht! Ich halte mich auch da an die These: Über Gott und sein Verhalten wissen wir nichts. Gott ist für uns Menschen ein Ordnungsprinzip für unsere Gesellschaften und niemand und nichts, das die Welt lenkt ohne unsere Beiträge.
(09-02-2010, 20:14)VolkersList schrieb: Warum will der Christianer keinen Himmel, der nicht auf Erden ist, warum will er keinen Gott, der irgendwo und nirgends über ihm schwebt, warum will er keinen Gott, der nur die Liebe kennt und mit Hass nichts oder wenig zu tun haben will, warum will er keinen moralin sauberen Alleskönner, warum will er keinen, der sich von Sünde reiner gewaschen hat als Schnee, warum kann er die Moralapostel aller Kirchen nicht mehr ertragen ?Der Witz an der Gottesvorstellung ist doch, sich von den Einflüsterungen der Mächtigen, bestimmter Denkungsarten und Ideologien ein Stück weit lösen zu können. Ein Gott, der im Christianentum gewissermaßen ein Stück des Menschen ist oder umgekehrt, verliert die Kraft, Gott zu sein. Er ist damit in unsere Denkungsarten eingebunden. Gehen die schief, hat er sich halt geirrt. Dumm gelaufen.
Das enthebt den Menschen doch in keiner Weise, seine Denkungsarten ständig auf den Prüfstand zu stellen, meine ich.
(09-02-2010, 20:14)VolkersList schrieb: Ist Gott unser Schatten, dem wir nicht entfliehen können?Verstehe ich nicht: Das Christianentum postuliert einen gelegentlich irrenden Gott, der ständig in uns wohnt und unseren Geist beeinflusst.
Ein Entfliehen ist doch im Christianentum ganau so unmöglich, wie im Judentum (und damit in allen abrahamitischen Religionen). Im Judentum ist Gott das Organisationsprinzip schlechthin - überall. Um unsere Gesellschaften aufrecht zu erhalten, haben wir Christen IHN vorstellungsmäßig als maßgebend (als Maß des "eigentlich" Guten) adaptiert (in den Bundesschlüssen mit IHM).
Ich sehe gegenüber der christlichen Auffassung den Verlust der überindividuellen "Maßgeblichkeit", weil der Gott des Christianentums individuell maßgebend sein kann.
Danke für deine Erläuterungen und Fragen! Sag's rechtzeitig, wenn du keine Lust mehr hast. Ich bin und bleibe ein unbequemer Christ.
Schon ist es wieder Zeit, dass ich mich an der Zubereitung unseres Mittagessens beteilige.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Ekkard