13-01-2010, 00:06
Lieber Volker,
deinem Wunsche nach konzilianterer Formulierung deiner Thesen habe ich entsprochen und den Zettel ins Buch gelegt.
Kleiner Exkurs:
Religion, also die Lehre, formuliert bzw. erzeugt durch Geschichten konsensfähige Vorstellungen zu Fragen nach dem Lebenssinn, nach seelischer Geborgenheit, nach Wertvorstellungen im Hinblick auf Verhalten und Verhältnis zu Mitwelt und Umwelt sowie Gemeinschaft bildenden Elementen. Das alles gilt unabhängig von einer konkreten Lehre. Bei Ideologien kommen zu den Gemeinschaft bildenden Elementen noch solche hinzu, welche die Anhängerschaft gegen fremde Ansichten abgrenzen.
Glaube ist die eigene (positive) Antwort auf die Lehre. Im Glauben geht das Individuum von den Vorstellungen der Lehre als positiv besetzt aus: das Gute.
- Exkurs Ende -
Deshalb verstehe ich das Christianentum (immer noch) nicht. Es geht doch bei den abrahamitischen Religionen nicht ums "unwiderlegbar sein", sondern darum Glauben zu erzeugen. Richtig ist: Gewisse Lehrer und Gemeindeälteste missbrauchen die Religionslehren in einer ganz bestimmten Weise als Instrumente der "Gleichschaltung" und als "Gehirnwäsche".
Religion ist nichts zum Widerlegen weder bei den Großreligionen noch bei den christianischen Thesen und Geschenken!
Die Frage lautet vielmehr: Transportieren sie ein "positives Vertrauen" in die dort vorhandenen Vorstellungen?
Du schriebst: "ich hielt alles, was mit Gott verflochten ist, für so unangreifbar, ..."
Ja, das ist aber trotz der Umformulierungen immer noch so. Meines Erachtens werden die Thesen ihrer Aufgabe nicht gerecht, Liebe, Geborgenheit, Wert usw., kurz Glauben zu erzeugen. Das haben Thesenpapiere so an sich. Thesen definieren den christianischen Gott. Dir mag es darum gehen, Gott besser zu verstehen. Das aber ist Sache der Theologie, nicht die Aufgabe der Religion.
Nehmen wir also deine These 333.
333. Wer glaubt, daß Christianentum spricht in seinen 350 oder mehr Thesen immer die Wahrheit, sollte sich fragen, ob er noch auf dem Wege ist, auf dem er Gott begreifen könnte, denn nichts steht geschrieben, außer ihr findet es in eurem Herzen ohne die Schrift.
Diese These ist dem Sinne nach eine Antithese zur römisch-katholischen Dogmenlehre. Ohne Kenntnis solcher "verbindlicher Dogmen" ist These 333 überhaupt nicht verständlich.
Auch "Gott zu begreifen" ist an sich nichts Erstrebenswertes und führt nicht zum Glauben. Eine Religion muss zuallererst die Gefühlswelt des geplagten und verunsicherten Individuums mit Liebesfähigkeit, Urvertrauen, Sicherheit des Urteilens usw. vertraut machen. Auf intellektueller Ebene könnte man auch an eine Methodenlehre denken, wie man Vertrauen schafft, Aussöhnung, Vergebung, Vermittlung in Konflikten bis hin zur Liebesfähigkeit.
Ich will nicht behaupten, dass dies alles nicht irgendwo in den Thesen vorkommt. Im Allgemeinen setzen die Thesen gewisse römisch-katholische Denkschemata voraus und setzen dagegen einen Kontrapunkt.
Bereits auf einen liberalen evangelischen Christen, wirken manche der Thesen antiquiert. Sie richten sich gegen Lehren, die bei uns schon seit über dreißig Jahren nicht mehr vertreten werden.
Beispiel:
Richtig ist: Man kann auch nicht behaupten, ER sei unvollkommen. Man muss nur aufpassen: Eine Aussage nicht zu machen, bedeutet nicht, ihre Umkehrung sei wahr.
Was darüber hinaus Vollkommenheit bedeutet, hast du zwar ein Wenig aufgezählt. Ich bin aber nicht mit all dem einverstanden, zumal sich gewisse begriffliche Unschärfen einschleichen, die man zuerst klären müsste. Beispielsweise ist "tote Materie" (du meinst anorganisches Material?) nicht einfach "vollkommen", wie du unterstellst, weil sie nur den Naturgesetzen unterliegt.
"Vollkommenheit" ist ein menschliches Urteil, das nur begrenzt gilt. Auch Leben ist in dem Sinne des anorganischen Materials "vollkommen". Aber beide Materialarten tot oder lebendig erreichen im nächsten Moment erneut eine (weiter gehende) Vollkommenheit.
Erst der Ziele definierende Mensch durchbricht dieses Werden, indem er urteilt: Mein Werkstück ist oder ist noch nicht vollkommen, wenn mein Ziel noch nicht erreicht wurde.
Wie willst du das auf Gott anwenden - christlich hin, christianisch her? Man muss überhaupt vorsichtig sein mit Aussagen über transzendente Entitäten. Diese haben mehr Ziel- und Vorbildcharakter, als dass man ihnen konkrete Eigenschaften zuordnen kann (ok. im Gegensatz zur Volksfrömmigkeit!).
In gewisser Weise sind wir, die Christen, vielleicht "blind". Gott und Satan definieren das Gute und das Böse schlechthin. Es sind antagonistische Ziel- bzw. Vermeidenskategorien, in die wir die Vorgänge und Verhaltensweisen einsortieren und beurteilen (sollen).
Es geht also darum, menschliches Verhalten innerhalb der Menschengemeinschaft zu steuern. In der Tat "begreifen" wir Gott an diesen Stellen nicht, aber das kann das Christianentum genauso wenig! Es macht - meiner Meinung nach - nun den Fehler, Gott erneut eine Eigenschaft zuzuordnen, nämlich, sich irren zu können.
Ich habe im Laufe meines Lebensweges immer deutlicher erkannt, dass wir über Gott nichts wissen können. Und in der modernen Theologie sehe ich mich bestätigt. Nein, wir sind nicht "blind", sondern haben falsche Gottesbilder im Kopf - gewissermaßen "dicke Bretter"! Und die christianischen Thesen bebohren diese!
Es bringt also gar nichts, Gott eine weitere unzulässige Eigenschaft zuzuordnen, die garantiert an irgend einer Stelle erneut zu Widersprüchlichkeiten führen. Damit sind die Dilemmata der Religionen (die Theodizee) keineswegs besser oder verständlicher gelöst. Du räumst das ja auch ein: "Für die Zwiegestalt Gottes gibt es keine Lösung. Auch das Christianentum kennt keine Lösung. Aber das Christianentum ist im Gegensatz zu den abrahamitischen Religionen wenigstens ehrlich und sagt, ich weiß keine Löstung, aber habe einen Gedanken, der sich asymptotisch einer Erkenntnis nähert: Gott kann sich irren."
Irrtum, das ist nicht ehrlicher; denn die großen Religionen haben auch keine Lösung und sagen auch theologisch nichts anderes (wenn man mal von unvollkommenen Versuchen absieht). Ehrlicher ist allein der Atheist. Die These: "Gott ist nicht", erklärt auf völlig einleuchtende Art, dass es Gutes und Böses gibt. Wo wir uns nicht anpassen, ecken wir an, erfahren Böses. Dazu kommt, dass wir den Tod als Böses betrachten, was im Übrigen ein (individuelles) Falsch-Urteil ist.
Die These 7 enthält also ziemlichen Sprengstoff für den Glauben.
deinem Wunsche nach konzilianterer Formulierung deiner Thesen habe ich entsprochen und den Zettel ins Buch gelegt.
(11-01-2010, 15:07)VolkersList schrieb: Mögen die abrahamitischen Religionen sich für unwiderlegbar halten, das Christianentum will das auf keinen Fall, weder der äußeren Form nach, noch inhaltlich.Wenn du religiöse Lehren so formulierst, machst du deutlich, dass das Christianentum das Verhältnis von Religionslehre und Glauben nicht verinnerlicht hat.
Kleiner Exkurs:
Religion, also die Lehre, formuliert bzw. erzeugt durch Geschichten konsensfähige Vorstellungen zu Fragen nach dem Lebenssinn, nach seelischer Geborgenheit, nach Wertvorstellungen im Hinblick auf Verhalten und Verhältnis zu Mitwelt und Umwelt sowie Gemeinschaft bildenden Elementen. Das alles gilt unabhängig von einer konkreten Lehre. Bei Ideologien kommen zu den Gemeinschaft bildenden Elementen noch solche hinzu, welche die Anhängerschaft gegen fremde Ansichten abgrenzen.
Glaube ist die eigene (positive) Antwort auf die Lehre. Im Glauben geht das Individuum von den Vorstellungen der Lehre als positiv besetzt aus: das Gute.
- Exkurs Ende -
Deshalb verstehe ich das Christianentum (immer noch) nicht. Es geht doch bei den abrahamitischen Religionen nicht ums "unwiderlegbar sein", sondern darum Glauben zu erzeugen. Richtig ist: Gewisse Lehrer und Gemeindeälteste missbrauchen die Religionslehren in einer ganz bestimmten Weise als Instrumente der "Gleichschaltung" und als "Gehirnwäsche".
Religion ist nichts zum Widerlegen weder bei den Großreligionen noch bei den christianischen Thesen und Geschenken!
Die Frage lautet vielmehr: Transportieren sie ein "positives Vertrauen" in die dort vorhandenen Vorstellungen?
Du schriebst: "ich hielt alles, was mit Gott verflochten ist, für so unangreifbar, ..."
Ja, das ist aber trotz der Umformulierungen immer noch so. Meines Erachtens werden die Thesen ihrer Aufgabe nicht gerecht, Liebe, Geborgenheit, Wert usw., kurz Glauben zu erzeugen. Das haben Thesenpapiere so an sich. Thesen definieren den christianischen Gott. Dir mag es darum gehen, Gott besser zu verstehen. Das aber ist Sache der Theologie, nicht die Aufgabe der Religion.
Nehmen wir also deine These 333.
333. Wer glaubt, daß Christianentum spricht in seinen 350 oder mehr Thesen immer die Wahrheit, sollte sich fragen, ob er noch auf dem Wege ist, auf dem er Gott begreifen könnte, denn nichts steht geschrieben, außer ihr findet es in eurem Herzen ohne die Schrift.
Diese These ist dem Sinne nach eine Antithese zur römisch-katholischen Dogmenlehre. Ohne Kenntnis solcher "verbindlicher Dogmen" ist These 333 überhaupt nicht verständlich.
Auch "Gott zu begreifen" ist an sich nichts Erstrebenswertes und führt nicht zum Glauben. Eine Religion muss zuallererst die Gefühlswelt des geplagten und verunsicherten Individuums mit Liebesfähigkeit, Urvertrauen, Sicherheit des Urteilens usw. vertraut machen. Auf intellektueller Ebene könnte man auch an eine Methodenlehre denken, wie man Vertrauen schafft, Aussöhnung, Vergebung, Vermittlung in Konflikten bis hin zur Liebesfähigkeit.
Ich will nicht behaupten, dass dies alles nicht irgendwo in den Thesen vorkommt. Im Allgemeinen setzen die Thesen gewisse römisch-katholische Denkschemata voraus und setzen dagegen einen Kontrapunkt.
Bereits auf einen liberalen evangelischen Christen, wirken manche der Thesen antiquiert. Sie richten sich gegen Lehren, die bei uns schon seit über dreißig Jahren nicht mehr vertreten werden.
Beispiel:
(11-01-2010, 15:07)VolkersList schrieb: Im heutigen Christentum wird die Vollkommenheit Gottes verherrlicht.Ich behaupte: nein, nicht wirklich! Es mag Ausdruck der Volksfrömmigkeit sein, Gott als Idealgestalt wahrzunehmen. In unseren Seminaren und Gesprächskreisen wird immer betont, dass wir mit unseren Gottesbildern im Kopf nur eingeschränkt operieren dürfen. Also steht Gott außerhalb solcher menschlicher Urteile.
Richtig ist: Man kann auch nicht behaupten, ER sei unvollkommen. Man muss nur aufpassen: Eine Aussage nicht zu machen, bedeutet nicht, ihre Umkehrung sei wahr.
Was darüber hinaus Vollkommenheit bedeutet, hast du zwar ein Wenig aufgezählt. Ich bin aber nicht mit all dem einverstanden, zumal sich gewisse begriffliche Unschärfen einschleichen, die man zuerst klären müsste. Beispielsweise ist "tote Materie" (du meinst anorganisches Material?) nicht einfach "vollkommen", wie du unterstellst, weil sie nur den Naturgesetzen unterliegt.
"Vollkommenheit" ist ein menschliches Urteil, das nur begrenzt gilt. Auch Leben ist in dem Sinne des anorganischen Materials "vollkommen". Aber beide Materialarten tot oder lebendig erreichen im nächsten Moment erneut eine (weiter gehende) Vollkommenheit.
Erst der Ziele definierende Mensch durchbricht dieses Werden, indem er urteilt: Mein Werkstück ist oder ist noch nicht vollkommen, wenn mein Ziel noch nicht erreicht wurde.
Wie willst du das auf Gott anwenden - christlich hin, christianisch her? Man muss überhaupt vorsichtig sein mit Aussagen über transzendente Entitäten. Diese haben mehr Ziel- und Vorbildcharakter, als dass man ihnen konkrete Eigenschaften zuordnen kann (ok. im Gegensatz zur Volksfrömmigkeit!).
(11-01-2010, 15:07)VolkersList schrieb: Im Christianentum wird die Zweigesichtigkeit Gottes beschworen, siehe These 7:
"Wer glaubt, daß es einen Teufel gibt, muß sich fragen, ob er noch auf dem Weg ist, auf dem er Gott begreifen könnte, denn im entsetzlichsten seiner Irrtümer erscheint Gott den Menschen als Teufel." (Siehe auch die Auschwitz- These.)
Diese Zweigesichtigkeit Gottes erscheint doch tausendfach in unserem Leben. Sind wir blind?
In gewisser Weise sind wir, die Christen, vielleicht "blind". Gott und Satan definieren das Gute und das Böse schlechthin. Es sind antagonistische Ziel- bzw. Vermeidenskategorien, in die wir die Vorgänge und Verhaltensweisen einsortieren und beurteilen (sollen).
Es geht also darum, menschliches Verhalten innerhalb der Menschengemeinschaft zu steuern. In der Tat "begreifen" wir Gott an diesen Stellen nicht, aber das kann das Christianentum genauso wenig! Es macht - meiner Meinung nach - nun den Fehler, Gott erneut eine Eigenschaft zuzuordnen, nämlich, sich irren zu können.
Ich habe im Laufe meines Lebensweges immer deutlicher erkannt, dass wir über Gott nichts wissen können. Und in der modernen Theologie sehe ich mich bestätigt. Nein, wir sind nicht "blind", sondern haben falsche Gottesbilder im Kopf - gewissermaßen "dicke Bretter"! Und die christianischen Thesen bebohren diese!
Es bringt also gar nichts, Gott eine weitere unzulässige Eigenschaft zuzuordnen, die garantiert an irgend einer Stelle erneut zu Widersprüchlichkeiten führen. Damit sind die Dilemmata der Religionen (die Theodizee) keineswegs besser oder verständlicher gelöst. Du räumst das ja auch ein: "Für die Zwiegestalt Gottes gibt es keine Lösung. Auch das Christianentum kennt keine Lösung. Aber das Christianentum ist im Gegensatz zu den abrahamitischen Religionen wenigstens ehrlich und sagt, ich weiß keine Löstung, aber habe einen Gedanken, der sich asymptotisch einer Erkenntnis nähert: Gott kann sich irren."
Irrtum, das ist nicht ehrlicher; denn die großen Religionen haben auch keine Lösung und sagen auch theologisch nichts anderes (wenn man mal von unvollkommenen Versuchen absieht). Ehrlicher ist allein der Atheist. Die These: "Gott ist nicht", erklärt auf völlig einleuchtende Art, dass es Gutes und Böses gibt. Wo wir uns nicht anpassen, ecken wir an, erfahren Böses. Dazu kommt, dass wir den Tod als Böses betrachten, was im Übrigen ein (individuelles) Falsch-Urteil ist.
Die These 7 enthält also ziemlichen Sprengstoff für den Glauben.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Ekkard

