11-01-2010, 15:07
Ekkard schreibt:
Lieber Ekkard,
ich danke Dir für Deine Zuschrift, die ich für den bisher bedeutendsten Beitrag zum Christianentum halte.
Du schreibst mir, daß Dich bereits die äußere apodiktische Form der Thesen des Christianentums stört.
Du hast leider Recht.
Du hast eine heiße Spur aufgedeckt, nämlich den Weg zur Wahrheit der Sprache. Ich gestehe, daß ich durch Dich erkenne, daß leider nicht nur die äußere Form meiner Thesen apodiktische ist, sondern auch der Inhalt. Nomen est omen.
Was jetzt kommt soll keine Entschuldigung sein, aber ich hielt alles, was mit Gott verflochten ist, für so unangreifbar, daß ich nicht bemerkt habe, daß es nur Thesen sind, menschengemachte Thesen, die genau das beanspruchen, was das Christianentum verabscheut, nämlich so zu tun, als seien sie unwiderlegbar.
Das widerspricht zutiefst dem Geist des Christianentums. Beweis : These 333.
Jetzt wird es schwierig für mich. Keinesfalls will ich die apodiktische Form der These 333 wiederholen.
Sie war ein Irrtum und ich starte einen neuen Versuch:
"Wer glaubt, das Christianentum spricht in seinen 350 oder mehr Thesen immer die Wahrheit, muß sich fragen, ob er noch auf dem Weg ist, Gott zu begreifen, denn nichts steht geschrieben, außer der Mensch findet es in seinem Herzen und in Gott."
Mögen die abrahamitischen Religionen sich für unwiderlegbar halten, das Christianentum will das auf keinen Fall, weder der äußeren Form nach, noch inhaltlich.
Wenn Erkenntnis einen vernünftigen Sinn haben soll, dann muß sie in der Lage sein, sich selbst in Frage zu stellen.
Ab sofort sind alle christianischen Thesen so zu lesen, daß sie kein apodiktisches Element mehr enthalten, denn ich finde sie dank Dir in der alten Form nicht mehr in meinem Herzen wieder.
Fangen wir sogleich mit der Korrektur einer der Kernthesen des Christianentums an.
These 5:
" Wer glaubt, daß Gott nicht irren kann, muß sich fragen, ob er noch auf dem Weg ist, auf dem er Gott begreifen könnte, denn ein Beispiel nur beweist die Fähigkeit Gottes sich zu irren an den Neandertalern, die er nicht retten konnte."
Mit der folgenden Frage zielst Du wieder mal in das Herz des Christianentums, indem Du mich fragst, welches weltanschauliche Problemfeld wird mit der jeweiligen These gelöst oder besser gelöst, als in der bisherigen Weltanschauung.
Abgesehen davon, daß ich Deinen Weltanschauung nicht wirklich kenne, bleibt also nur der Vergleich mit dem Christentum.
Eine lange Geschichte, mehr noch, eine unendliche Geschichte.
Im heutigen Christentum wird die Vollkommenheit Gottes verherrlicht.
Im Christianentum ist die Vollkommenehti ein Schimpfwort, weil sie den Tod bedeutet. Nur tote Materie ist vollkommen, weil sie sich nur in den engen Grenzen der Naturgesetze entwickeln kann.
Im Gegensatz zur toten Materie besitzt die lebende Materie einen gewissen oder ungewissen Freiraum innerhalb der sie durchdringenden Naturgesetze, den wir als Leben bezeichnen und auch so erleben.
Daß wir an das Naturgesetz des Atmens gebunden sind, empfinden wir nicht als Gefängnis in den engen Grenzen von Naturgesetzen. Sieh Goethe über die Köstlichkeit des Atmens.
Worauf will ich hinaus ?
Im Christianentum wird die Zweigesichtigkeit Gottes beschworen, siehe These 7:
" Wer glaubt, daß es einen Teufel gibt, muß sich fragen, ob er noch auf dem Weg ist, auf dem er Gott begreifen könnte, denn im entsetzlichsten seiner Irrtümer erscheint Gott den Menschen als Teufel. ( Siehe auch die Auschwitz- These.)
Diese Zweigesichtigkeit Gottes erscheint doch tausendfach in unserem Leben. Sind wir blind ?
Nur ein kleines Beispiel aus meinem Gedichtband (Auszug):
"wie zauberhaft malst du konturen
mit schummerlicht aus eis gemacht,
erhabene stille für sterbende kreaturen,
das ist der gipfel, den schönheit gebracht."
Ssind wir blind für den ewigen und allgegenwärtigen Gegensatz zwischen Wundern der Schönheit gepaart mit der blutigen Fratze des Bösen ? Können wir die Zwiegesichtigkeit Gottes nur ertragen, indem wir wegsehen, zum Beispiel in der U- Bahn, aus Angst totgeschlagen zu werden ?
Der menschliche Körper als Wunder der Natur in einem Atemzug mit der blutigen Axt des Bösen in seiner Hand ?
Und Du fragst nach der weltanschaulichen Lösung dieses Problems ?
Für die Zwiegestalt Gottes gibt es keine Lösung. Auch das Christianentum kennt keine Lösung. Aber das Christianentum ist im Gegensatz zu den abrahamitischen Religionen wenigstens ehrlich und sagt, ich weiß keine Löstung, aber habe einen Gedanken, der sich asymptotisch einer Erkenntnis nähert: Gott kann sich irren.
Wenn wir den zweilichtigen Geist Gottes nicht erklären können, sollten wir dann nicht wenigstens ehrlich sein und sagen, daß es so ist ?
Haben wir nicht die Kraft und die Liebe Gottes auf unserer Seite, wenn wir anerkennen, daß die überwältigende Mehrheit der Menschen gut ist ? Auch Du, lieber Ekkard !
Warum bewaffnen wir uns nicht mit der These 9 des Christianentums, die da sagt:
" Wer glaubt, daß Gott in überwältigender Zahl die Liebe und leider auch in geringer Zahl der Hass in Gestalt von Versuch und Irrtum ist, der ist auf dem Weg, auf dem er Gott begreifen könnte, wenn er auch noch glaubt, daß die geglückten Versuche Gottes ewig seine Irrtümer besiegen werden."
Ich will nicht wissen, wo im zweitausendjährigen Christentum der zweilichtige Geist Gottes erkannt und eine Lösung angeboten wird. Mich interessiert das historische Christentum nur insofern, als es zu dem Christentum gehört, das in den letzten 70 Jahren, die mein Leben ausmachen, gelehrt wird.
In der Bibel kann man alles finden und wenn nicht, kann man alles irgendwie hinbiegen. Das interessiert mich nicht. Mich interessiert das heute lebende, das heute gelehrte Christentum, z.B. von Joseph Kardinal Ratzinger oder von Papst Beendikt XVI. oder von den heute lehrenden evangelischen und katholischen Bischöfen.
Wo, bitte sehr, wird die Zweilichtigkeit des Gottesgeistes von ihnen beschrieben ?
Wo werden im heute gelehrten Christentum Lösungen angeboten, die sich auf die Zwittergestalt Gottes beziehen ?
Wie erklärt das Christentum den Willen des angeblich allmächtigen Gottes, wenn von 1000 Geburten vielleicht bei zwei Säuglingen sich die Natur nicht entscheiden kann, ob sie eine Frau oder einen Mann geboren hat ?
Ich habe vom Christentum noch nie ein Sterbenswörtchen über dieses Drama sagen hören. Besser man verschweigt es ? Deutschland ist ja sowieso Weltmeister im Verschweigen. In China braucht man harte und ungerechte Gesetze, in Deutschland funktioniert das Schweigen ganz von selbst.
Du schreibst mir von der gesondert zu betrachtenden Predigt im Rahmen christlicher Liturgien. Ich kann die besondere Stellung der Predigt im Ablauf christlicher Gottesdienste nicht erkennen. Gewiß, in der Mehrzahl der Predigten wird versucht, den Bezug zu unserem täglichen Leben herzustellen.
Aber was geschieht, wenn wir retrograd denken ?
Was geschieht, wenn unser tägliches unvergleichliches Gemenge aus Menschenwelt und Gotteswelt auf die Himmelfahrt Christi stößt ? Auf die Vaterschaft des heiligen Geistes bei der jungfäulichen Maria ? Auf die Erbkrankheit, verzeihung, auf die Erbsünde des Menschen ? Auf die Unfehlbarkeit des Papstes ? Auf die Unfehlbarkeit der Konzilien ? Auf die Unfehlbarkeit Gottes ?
Die heutige Kirche ist doch das lose Ende unserer täglichen Existenz. Einzig Bischöfin Käßmann muckt auf, im weitesten Sinne der christianischen Kunduz- These. Obwohl sie ihren kirchlichen Einspruch hundert Mal weichgepült hat, schreit die Politik auf und tut, als ob man ihr auf den teuflischen Klumpfuß getreten hätte.
Die Verbrechen, die wir Deutschen in Afghanistan begehen, kümmern in Wahrheit keinen Hund.
Wir haben uns selbstgerecht und überheblich den Dispens zur Aufrechnung von Toten gegen Tote erteilt.
Und alle schweigen, weil wir nur unsere Lippen bewegen.
Endlich, lieber Ekkard, haben wir einen gemeinsamen Schnittpunkt, wenn wir sagen, der Himmel gehört auf die Erde.
Aber siehst Du auch die abgrundtiefe Feigheit des Menschen, wenn er in den Himmel flieht, im Fall daß die irdischen Probleme unerträglich werden ?
Siehst Du die Nebelschwaden des Christentums, wenn es zur Sache geht (in Kunduz), die Opiumwolken, wenn unser irdisches Fassungsvermögen über "menschliche" Greueltaten an seine Grenze gelangt ? (Verbrannte Kinder als Kollateralschaden ).
Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen. Davon glaube ich kein Wort. Der Herr hat mir das Gottesgeschenk der Vorsicht gemacht, das ich nicht ausgepackt und nicht angewendet habe, als ich zu schnell gegen einen tödlichen Baum fuhr.Das ist die christianische Wahrheit und nicht die christliche, die ihre religiösen Nebelwerfer in Stellung bringt, die Wahrheit zu vertuschen.
Selbst in unsere tägliche Sprache hat sich unsere Verlogenheit schon eingeschlichen, wenn wir behaupten, daß sich ein Unfall ereignet hat. Das ist eine glatte Lüge. Das Christianentum besteht darauf, daß es keinen Unfall gibt , der sich ereignet, sondern der Unfall wurde durch Ignoranz gegenüber den Gottesgeschenken durch Menschen verursacht.
Schau, lieber Ekkard, wie die Blumen blühen im Garten. Ist das nicht Wunder genug ? Sind wir blind und sehnen uns nach dem regnerischen Grau des Himmels, unterlegt mit dem himmlischen Strahlblau eines Sonnentages ?
Das Christianentum schiebt nichts in die Wolken und auch nichts in eine nebulöse Zukunft. Das Christianentum ist eine realitätsgebundene Tagesreligion. Das Christianentum ist eine Religion, die versucht, Raum und Zeit an das Kreuz eines jeden Tages zu nageln. Das Christianentum ist eine Religion, die uns ahnen läßt, daß die Selbstgespräche, die wir mit uns führen, vielleicht Dialoge mit einem Partner sind, der in uns wohnt.
Du hast alle meine Thesen verändert, ja neu geschrieben. So auch die These 342:
Wer glaubt, daß er einst sein Leben vor Gott rechtfertigen muß, hat vielleicht schon die Hälfte des Weges zurückgelegt, auf dem er Gott Gott begreifen könnte, denn wenn er einen Blick in sein Inneres wagen würde, könnte er dort seinen Partner mit all seinen Geschenken erblicken, deren Nutzen er schon am heutigen Tage beginnen kann zu verwirklichen, um damit ab heute sein Leben vor Gott zu rechtfertigen."
Ich habe eine Bitte an Dich: Kannst Du in mein Büchlein einen Zettel legen mit folgendem Text:
Denkfehlerberichtigung statt Druckfehlerberichtigung:
Alle Formulierung dieses Buches nach dem Schema ... hat Gott begriffen, .. hat Gott nicht begriffen, .. hat Gott nur halb begriffen, sind zu ersetzen durch : ...ist auf dem Wege, auf dem er Gott begreifen könnte, ... sollte sich fragen, ob er noch auf dem Wege ist, auf dem er Gott begreifen könnte, ... hat vielleicht schon die Hälfte des Weges zurückgelegt, auf dem er Gott begreifen könnte.
Ellerbek, den 11. Janur 2010
Ich danke Dir für alles,
Dein Volker
Zitat:Welches weltanschauliche Problemfeld wird mit der jeweiligen These gelöst oder jedenfalls besser gelöst, als in meiner bisherigen Weltanschauung?"
Ein Problemfeld konventioneller Religion ist der theologische Überbau. Im Bereich der Evangelischen Kirchen, kurz Protestanten, ist das Problem bekannt. Ich selbst gehöre zu jener Gruppe von Leuten, denen die Predigt fast alles bedeutet, und der Rest fast nichts. Ich weiß aber, dass viele Menschen an den Liedern, an Musik, an Meditation, am Gebet, an der Liturgie, an Gemeindeunternehmungen (Wandern, Stricken, Tanzen, ...) hängen und die Institution "Predigt" am liebsten aus der Kirche heraus hätten.
Also: "Der Himmel", sagst du, "gehört auf die Erde". Einverstanden!
Das ist jedoch, wie ich meine, in jedem Gebet so, auch in jeder gelebten Vorstellung, die meine Beziehung zu anderen ordnet, mir mich selbst erklärt, meine Stellung bestimmt, mir einen Lebenssinn verschafft.
In deinem Büchlein sind 350 Thesen aufgelistet, die genau das tun: einen Aspekt menschlichen Daseins zu bedenken. Mich stört daran bereits die äußere apodiktische Form: "Wer glaubt, dass ... hat Mich /nicht/ nur halb/ - /begriffen."
Die Formulierung suggeriert "Begreifen" von etwas, was man im weitesten Sinne die Forderung nach einem Konsens nennen kann. Hier geht es nicht um 'begreifen' sondern um 'vereinbaren', 'mitmachen', 'beherzigen'.
Wie gesagt, solche sprachlichen Details wirken auf mich apodiktisch und "von oben herab". Da bestimmt jemand, welche Stellung ich gefälligst zu beziehen habe. Kostprobe:
342. Wer glaubt, daß er einst sein Leben vor Gott rechtfertigen muß, hat Mich nur halb begriffen, denn wenn er den Blick in sein Inneres wagen würde, könnte er dort Mich mit Meinen Geschenken erblicken, deren Nutzen er schon am heutigen Tage beginnen kann zu verwirklichen, um damit ab heute sein Leben vor Gott zu rechtfertigen.
Wenn wir schon einen Jenseitsglauben aufrichten, dann die Frage: Warum "halb begriffen"? Wo ist die andere Hälfte des Begreifens? Ich bin viel mehr der Auffassung, dass man sich stets so verhalten sollte, dass man Rechenschaft über seine Tätigkeiten geben kann - und zwar in einem positiven Sinne.
Lieber Ekkard,
ich danke Dir für Deine Zuschrift, die ich für den bisher bedeutendsten Beitrag zum Christianentum halte.
Du schreibst mir, daß Dich bereits die äußere apodiktische Form der Thesen des Christianentums stört.
Du hast leider Recht.
Du hast eine heiße Spur aufgedeckt, nämlich den Weg zur Wahrheit der Sprache. Ich gestehe, daß ich durch Dich erkenne, daß leider nicht nur die äußere Form meiner Thesen apodiktische ist, sondern auch der Inhalt. Nomen est omen.
Was jetzt kommt soll keine Entschuldigung sein, aber ich hielt alles, was mit Gott verflochten ist, für so unangreifbar, daß ich nicht bemerkt habe, daß es nur Thesen sind, menschengemachte Thesen, die genau das beanspruchen, was das Christianentum verabscheut, nämlich so zu tun, als seien sie unwiderlegbar.
Das widerspricht zutiefst dem Geist des Christianentums. Beweis : These 333.
Jetzt wird es schwierig für mich. Keinesfalls will ich die apodiktische Form der These 333 wiederholen.
Sie war ein Irrtum und ich starte einen neuen Versuch:
"Wer glaubt, das Christianentum spricht in seinen 350 oder mehr Thesen immer die Wahrheit, muß sich fragen, ob er noch auf dem Weg ist, Gott zu begreifen, denn nichts steht geschrieben, außer der Mensch findet es in seinem Herzen und in Gott."
Mögen die abrahamitischen Religionen sich für unwiderlegbar halten, das Christianentum will das auf keinen Fall, weder der äußeren Form nach, noch inhaltlich.
Wenn Erkenntnis einen vernünftigen Sinn haben soll, dann muß sie in der Lage sein, sich selbst in Frage zu stellen.
Ab sofort sind alle christianischen Thesen so zu lesen, daß sie kein apodiktisches Element mehr enthalten, denn ich finde sie dank Dir in der alten Form nicht mehr in meinem Herzen wieder.
Fangen wir sogleich mit der Korrektur einer der Kernthesen des Christianentums an.
These 5:
" Wer glaubt, daß Gott nicht irren kann, muß sich fragen, ob er noch auf dem Weg ist, auf dem er Gott begreifen könnte, denn ein Beispiel nur beweist die Fähigkeit Gottes sich zu irren an den Neandertalern, die er nicht retten konnte."
Mit der folgenden Frage zielst Du wieder mal in das Herz des Christianentums, indem Du mich fragst, welches weltanschauliche Problemfeld wird mit der jeweiligen These gelöst oder besser gelöst, als in der bisherigen Weltanschauung.
Abgesehen davon, daß ich Deinen Weltanschauung nicht wirklich kenne, bleibt also nur der Vergleich mit dem Christentum.
Eine lange Geschichte, mehr noch, eine unendliche Geschichte.
Im heutigen Christentum wird die Vollkommenheit Gottes verherrlicht.
Im Christianentum ist die Vollkommenehti ein Schimpfwort, weil sie den Tod bedeutet. Nur tote Materie ist vollkommen, weil sie sich nur in den engen Grenzen der Naturgesetze entwickeln kann.
Im Gegensatz zur toten Materie besitzt die lebende Materie einen gewissen oder ungewissen Freiraum innerhalb der sie durchdringenden Naturgesetze, den wir als Leben bezeichnen und auch so erleben.
Daß wir an das Naturgesetz des Atmens gebunden sind, empfinden wir nicht als Gefängnis in den engen Grenzen von Naturgesetzen. Sieh Goethe über die Köstlichkeit des Atmens.
Worauf will ich hinaus ?
Im Christianentum wird die Zweigesichtigkeit Gottes beschworen, siehe These 7:
" Wer glaubt, daß es einen Teufel gibt, muß sich fragen, ob er noch auf dem Weg ist, auf dem er Gott begreifen könnte, denn im entsetzlichsten seiner Irrtümer erscheint Gott den Menschen als Teufel. ( Siehe auch die Auschwitz- These.)
Diese Zweigesichtigkeit Gottes erscheint doch tausendfach in unserem Leben. Sind wir blind ?
Nur ein kleines Beispiel aus meinem Gedichtband (Auszug):
"wie zauberhaft malst du konturen
mit schummerlicht aus eis gemacht,
erhabene stille für sterbende kreaturen,
das ist der gipfel, den schönheit gebracht."
Ssind wir blind für den ewigen und allgegenwärtigen Gegensatz zwischen Wundern der Schönheit gepaart mit der blutigen Fratze des Bösen ? Können wir die Zwiegesichtigkeit Gottes nur ertragen, indem wir wegsehen, zum Beispiel in der U- Bahn, aus Angst totgeschlagen zu werden ?
Der menschliche Körper als Wunder der Natur in einem Atemzug mit der blutigen Axt des Bösen in seiner Hand ?
Und Du fragst nach der weltanschaulichen Lösung dieses Problems ?
Für die Zwiegestalt Gottes gibt es keine Lösung. Auch das Christianentum kennt keine Lösung. Aber das Christianentum ist im Gegensatz zu den abrahamitischen Religionen wenigstens ehrlich und sagt, ich weiß keine Löstung, aber habe einen Gedanken, der sich asymptotisch einer Erkenntnis nähert: Gott kann sich irren.
Wenn wir den zweilichtigen Geist Gottes nicht erklären können, sollten wir dann nicht wenigstens ehrlich sein und sagen, daß es so ist ?
Haben wir nicht die Kraft und die Liebe Gottes auf unserer Seite, wenn wir anerkennen, daß die überwältigende Mehrheit der Menschen gut ist ? Auch Du, lieber Ekkard !
Warum bewaffnen wir uns nicht mit der These 9 des Christianentums, die da sagt:
" Wer glaubt, daß Gott in überwältigender Zahl die Liebe und leider auch in geringer Zahl der Hass in Gestalt von Versuch und Irrtum ist, der ist auf dem Weg, auf dem er Gott begreifen könnte, wenn er auch noch glaubt, daß die geglückten Versuche Gottes ewig seine Irrtümer besiegen werden."
Ich will nicht wissen, wo im zweitausendjährigen Christentum der zweilichtige Geist Gottes erkannt und eine Lösung angeboten wird. Mich interessiert das historische Christentum nur insofern, als es zu dem Christentum gehört, das in den letzten 70 Jahren, die mein Leben ausmachen, gelehrt wird.
In der Bibel kann man alles finden und wenn nicht, kann man alles irgendwie hinbiegen. Das interessiert mich nicht. Mich interessiert das heute lebende, das heute gelehrte Christentum, z.B. von Joseph Kardinal Ratzinger oder von Papst Beendikt XVI. oder von den heute lehrenden evangelischen und katholischen Bischöfen.
Wo, bitte sehr, wird die Zweilichtigkeit des Gottesgeistes von ihnen beschrieben ?
Wo werden im heute gelehrten Christentum Lösungen angeboten, die sich auf die Zwittergestalt Gottes beziehen ?
Wie erklärt das Christentum den Willen des angeblich allmächtigen Gottes, wenn von 1000 Geburten vielleicht bei zwei Säuglingen sich die Natur nicht entscheiden kann, ob sie eine Frau oder einen Mann geboren hat ?
Ich habe vom Christentum noch nie ein Sterbenswörtchen über dieses Drama sagen hören. Besser man verschweigt es ? Deutschland ist ja sowieso Weltmeister im Verschweigen. In China braucht man harte und ungerechte Gesetze, in Deutschland funktioniert das Schweigen ganz von selbst.
Du schreibst mir von der gesondert zu betrachtenden Predigt im Rahmen christlicher Liturgien. Ich kann die besondere Stellung der Predigt im Ablauf christlicher Gottesdienste nicht erkennen. Gewiß, in der Mehrzahl der Predigten wird versucht, den Bezug zu unserem täglichen Leben herzustellen.
Aber was geschieht, wenn wir retrograd denken ?
Was geschieht, wenn unser tägliches unvergleichliches Gemenge aus Menschenwelt und Gotteswelt auf die Himmelfahrt Christi stößt ? Auf die Vaterschaft des heiligen Geistes bei der jungfäulichen Maria ? Auf die Erbkrankheit, verzeihung, auf die Erbsünde des Menschen ? Auf die Unfehlbarkeit des Papstes ? Auf die Unfehlbarkeit der Konzilien ? Auf die Unfehlbarkeit Gottes ?
Die heutige Kirche ist doch das lose Ende unserer täglichen Existenz. Einzig Bischöfin Käßmann muckt auf, im weitesten Sinne der christianischen Kunduz- These. Obwohl sie ihren kirchlichen Einspruch hundert Mal weichgepült hat, schreit die Politik auf und tut, als ob man ihr auf den teuflischen Klumpfuß getreten hätte.
Die Verbrechen, die wir Deutschen in Afghanistan begehen, kümmern in Wahrheit keinen Hund.
Wir haben uns selbstgerecht und überheblich den Dispens zur Aufrechnung von Toten gegen Tote erteilt.
Und alle schweigen, weil wir nur unsere Lippen bewegen.
Endlich, lieber Ekkard, haben wir einen gemeinsamen Schnittpunkt, wenn wir sagen, der Himmel gehört auf die Erde.
Aber siehst Du auch die abgrundtiefe Feigheit des Menschen, wenn er in den Himmel flieht, im Fall daß die irdischen Probleme unerträglich werden ?
Siehst Du die Nebelschwaden des Christentums, wenn es zur Sache geht (in Kunduz), die Opiumwolken, wenn unser irdisches Fassungsvermögen über "menschliche" Greueltaten an seine Grenze gelangt ? (Verbrannte Kinder als Kollateralschaden ).
Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen. Davon glaube ich kein Wort. Der Herr hat mir das Gottesgeschenk der Vorsicht gemacht, das ich nicht ausgepackt und nicht angewendet habe, als ich zu schnell gegen einen tödlichen Baum fuhr.Das ist die christianische Wahrheit und nicht die christliche, die ihre religiösen Nebelwerfer in Stellung bringt, die Wahrheit zu vertuschen.
Selbst in unsere tägliche Sprache hat sich unsere Verlogenheit schon eingeschlichen, wenn wir behaupten, daß sich ein Unfall ereignet hat. Das ist eine glatte Lüge. Das Christianentum besteht darauf, daß es keinen Unfall gibt , der sich ereignet, sondern der Unfall wurde durch Ignoranz gegenüber den Gottesgeschenken durch Menschen verursacht.
Schau, lieber Ekkard, wie die Blumen blühen im Garten. Ist das nicht Wunder genug ? Sind wir blind und sehnen uns nach dem regnerischen Grau des Himmels, unterlegt mit dem himmlischen Strahlblau eines Sonnentages ?
Das Christianentum schiebt nichts in die Wolken und auch nichts in eine nebulöse Zukunft. Das Christianentum ist eine realitätsgebundene Tagesreligion. Das Christianentum ist eine Religion, die versucht, Raum und Zeit an das Kreuz eines jeden Tages zu nageln. Das Christianentum ist eine Religion, die uns ahnen läßt, daß die Selbstgespräche, die wir mit uns führen, vielleicht Dialoge mit einem Partner sind, der in uns wohnt.
Du hast alle meine Thesen verändert, ja neu geschrieben. So auch die These 342:
Wer glaubt, daß er einst sein Leben vor Gott rechtfertigen muß, hat vielleicht schon die Hälfte des Weges zurückgelegt, auf dem er Gott Gott begreifen könnte, denn wenn er einen Blick in sein Inneres wagen würde, könnte er dort seinen Partner mit all seinen Geschenken erblicken, deren Nutzen er schon am heutigen Tage beginnen kann zu verwirklichen, um damit ab heute sein Leben vor Gott zu rechtfertigen."
Ich habe eine Bitte an Dich: Kannst Du in mein Büchlein einen Zettel legen mit folgendem Text:
Denkfehlerberichtigung statt Druckfehlerberichtigung:
Alle Formulierung dieses Buches nach dem Schema ... hat Gott begriffen, .. hat Gott nicht begriffen, .. hat Gott nur halb begriffen, sind zu ersetzen durch : ...ist auf dem Wege, auf dem er Gott begreifen könnte, ... sollte sich fragen, ob er noch auf dem Wege ist, auf dem er Gott begreifen könnte, ... hat vielleicht schon die Hälfte des Weges zurückgelegt, auf dem er Gott begreifen könnte.
Ellerbek, den 11. Janur 2010
Ich danke Dir für alles,
Dein Volker