(30-11-2009, 14:42)Heinrich schrieb: Was ist so schwierig daran zu verstehen, dass Begriffe wie "Gott", "Gut" und "Himmel" weder so anschaulich sind wie "Tisch", "Blau" und "Hund" noch so exakt definierbar wie "rationale Zahl", "Gravitation" oder "Molekül"?
"schwierig daran zu verstehen" ist, warum dem so sein soll
welchen sinn haben begriffe, die nicht exakt definiert sind, sondern von jedem je nach bedarf und belieben mit irgendwelchen inhalten gefüllt werden dürfen?
Zitat:Wieso soll ich mich exakt auf etwas festlegen, das ich nicht genau beschreiben kann? Wieso muss ich etwas genau beschreiben können um daran zu glauben?
um zu wissen, oder auch um anderen anschaulich machen zu können, was das denn sein soll, woran du glaubst
immerhin leitest du ja aus deinem glauben auch so einiges an folgerungen ab. wie soll das gehen, wenn nicht klar ist, wovon du diese folgerungen ableitest?
Zitat:Genau beschreiben können muss ich nur, wenn ich behaupte etwas zu wissen. Zum glauben sind exakte Definitionen keine Voraussetzung
nein - aber doch wohl die ableitung daraus
wenn dein credo lautet: "ich glaube, aber ich hab keine ahnung, woran" - dann ist es halt sehr schwierig bis unsinnig, daraus irgendetwas abzuleiten (und sei es nur, daß andere deinen glauben zu respektieren hätten, oder was für folgen dein glaube zumindest für dich ganz persönlich hätte)
Zitat:Deshalb genügt auch die Herangehensweise nicht, Glauben nur in Abgrenzung zum Wissen zu definieren. Was ist daran unklar?
wie du deinen glauben überhaupt definieren willst. du willst ihn weder positiv definieren ("Wieso muss ich etwas genau beschreiben können um daran zu glauben?") noch ngeativ ("in Abgrenzung zum Wissen")
wie denn dann und überhaupt?
Zitat:Bis hierher betreibe ich ja nur Falsifikation - und mein Argument ist jene Freiheit, die du selbst so gerne ins Feld führst
was genau meinst du zu falsifizieren?
Zitat:Ich werde versuchen dir verständlich zu machen, was ich mit Glauben meine.
Glauben bedeutet etwas für angebracht halten. Angebracht kann es sein, einen Sachverhalt für wahr zu halten (z.B., dass die nächsten Lottozahlen 4, 5, 13, 21, 33, 45 sein werden). Angebracht kann es sein, jemanden zu provozieren. Angebracht kann es sein zu beten.
Hier sind wir weg von theoretischer Philosophie, hier sind wir weg von Sachverhalten. Hier sind wir allein bei Taten
sei mir nicht böse, aber auch das erscheint mir nicht konsistent. zum einen ist die definition von "Glauben" als "etwas für angebracht halten" eher ugewöhnlich. zum anderen sind die lottozahlen ein sachverhalt, beten aber eine tat. es geht also nicht "allein um taten". streng genomen kann man auch die frage, ob du nun betest oder nicht (z.b. lieber in der nase bohrst), als die nach einem sachverhalt ansehen
glauben bedeutet eben nicht, etwas für angebracht halten. das wäre doch eher "wünschen"
ich kann es z.b. für angebracht halten, daß die hübsche aus dem nachbarbüro sich für mich interessiert (schließlich bin ich ja ein intelligenter, gutaussehender mensch, sozial veträglich, finanziell gut situiert und sexuell leistungsfähig). trotzdem glaube ich aber nicht, daß sie mit mir eine beziehung haben oder auch nur zum spaß mit mir in die kiste springen wird
Zitat:Die Aussage zum persönlichen Glauben, die man mit jeder vollzogenen Tat tut, lässt sich jedoch übersetzen: Ich halte es für angebracht in meiner Situation das zu tun, was ich tu. Dann sind wir wieder zurück in der Theorie. Dann ist es wieder ein Sachverhalt, etwas getan zu haben oder etwas zu tun zu gedenken. Nur können wir die Entscheidung, die wir in der Praxis tatsächlich fällen in der Theorie weder exakt begründen noch ihre Folgen vollständig überschauen
das kommt doch sehr darauf an. ob und wen ich heirate, wird z.b. durchaus eine wohlüberlegte entscheidung sein, die ich aufgrund meines glaubens (im sinne meiner weltanschauung) treffe. auf welchen platz in der s-bahn ich michs etze, ist dagegen eine spontane momenentanentscheidung, die ich nicht reflektiere und auf meinen "glauben" abstimme
Zitat:Worauf beruht diese vermutete Angebrachtheit?
Zum einen auf Wissen (es werden 6 Lottozahlen gezogen und nicht 7) zum anderen auf einer persönlichen Entscheidung, für die es selten eine exakte Begründung gibt, weil sie frei getroffen wird. Daher ziehen wir zur Entscheidung sowohl Wissen als auch Glauben heran.
ich halte das für ein ganz schlechtes beispiel. das wissen darum, daß 6 lottozahlen gezogen werden, hat gar nichts damit zu tun, welche 6 zahlen ich auf dem tippschein ankreuze. und ich glaube auch noch nicht mal daran, daß die von mir getippten zahlen auch tatsächlich gezogen werden - ich kann nur hoffen, daß mein tip zufällig mit den gezogenen zahlen übereinstimmt
die diskussion zerfasert aber schon wieder mal in verschiedenste richtungen, weil eben nicht klar ist, von welcher sorte "glauben" wir sprechen. es hat keinen sinn, religiösen glauben ("ich glaube an gott, den allmächtigen...") zu diskutieren nach den kriterien für eine bloße meinungs- oder emotionsäußerung ("ich glaub, mich tritt ein elch!")
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)