30-11-2009, 13:05
(30-11-2009, 12:27)Heinrich schrieb: Glauben und Wissen. Oft sieht man beides im Wettkampf miteinander. Ein Streit entsteht: Wer ist der wichtigere?
ein solcher streit ist völlig unsinnig. auch hier wiederum ist zuerst zu fragen:
wichtig wofür und für wen?
für die statische berechnung einer brücke ist glaube völlig unwichtig. hier geht es darum, zu wissen, was welche kräfte mit dieser brücke anrichten
für die frage, ob es einem persönlich ein gutes gefühl gibt, an eine (z.b. fürsorgende) höhere macht zu glauben, ist wissen, etwa solches aus der vergleichenden religionswissenschaft, eher unerheblich
Zitat:Der Streit ist oft stark behaftet von den Instanzen Religion und Wissenschaft, die beide diese Begriffe sehr unterschiedlich definieren
wie lauten denn deiner meinung die "sehr unterschiedlichen" definitionen für "glaube" und "wissen" aus jeweils der religiösen oder wissenschaftlichen sicht?
Zitat:Es besteht kein prinzipieller Widerspruch zwischen Glauben und Wissen. Sie tauchen sogar zwangsläufig immer gemeinsam auf
inwiefern?
imho insofern, als natürlich niemand sein oder das allgemein etablierte (z.b. naturwissenschaftliche) wissen in allen facetten auch selber beweisen kann. und somit glauben muß, daß, was ihn gelehrt wird, auch zutrifft. natürlich nicht auf bloße behauptung hin - im gegenteil gibt es ja etablierte systeme (wissenschaftliche methode, peer review), die glaubwürdigkeit wissenschaftlicher lehre sicherzustellen
Zitat:Ein oft behaupteter Widerspruch liegt in der Feststellung begründet, dass Glauben nicht Wissen ist, aus der dann zu kurzsichtige Schlüsse gezogen werden
z.b. welche?
glaube ist in seiner üpltigkeit subjektiv, persönlich - wissen dagegen intersubjektiv, allgemein gültig. glauben ist nicht wissen
Zitat:Das Problem liegt darin, dass Glauben nur im Vergleich zum Wissen definiert wurde (auf logischer Grundlage). Glauben geht meines Erachtens aber einen Schritt weiter
in welcher hinsicht?
Zitat:Mal angenommen, ich wüsste ganz sicher, dass es Gott nicht gibt. Dann folgt daraus noch lange nicht, dass ich meinen Mitmenschen das auch mitteilen muss. Ich muss mich zuerst dazu entscheiden, es mitzuteilen, und mit dieser Entscheidung befinde ich mich zwangsläufig im Bereich des Glaubens: Ich glaube, dass es gut ist, anderen die Wahrheit kundzugeben
das ist jetzt aber schon eine etwas andere art von "glauben". du tappst hier in eine semantische falle, indem du glauben als für wahr (im sinne von fakten) halten von nicht bewiesenem bzw. nicht beweisbarem verwechselst mit glauben als geschmacksurteil ("ich finds halt gut, meine meinung zu sagen, auch wenn der andere sie gar nicht hören will")
Zitat:Diesen Glauben an das Gute scheint noch etwas anderes auszumachen als nur die bloße Abwesenheit von Wissen. Was das Gute ist, das weiß niemand, und ich glaube sogar, dass es niemand wissen kann. Trotzdem fälle ich mit jeder Entscheidung, die ich treffe, ein Urteil darüber, was gut ist und was nicht
nein. etwas für richtig oder angebracht zu halten oder nicht, hat nichts mit einem "Glauben an das Gute" zu tun. schon weil "das gute" per se ein der (religiösen) glaubenswelt entnommener begriff ist, mitdem viele nicht gläubige nichts anfangen können und das aus gutem grund auch gar nicht wollen. natürlich werde ich nur handlungen vornehmen, die mir (in der konkreten situation) angebracht scheinen. mit einem urteil über "gut" und "böse" hat das aber nichts zu tun. das denken in diesen kategorien ist zwar bei religiösen sehr beliebt, scheint mir aber angesichts der komplexen realität unseres pluralistischen gemeinwesens kontraproduktiv und obsolet
Zitat:Immer das, was ich tu, bezeichne ich schon allein damit als das Gute, indem ich es tu
du vielleicht - das mag sein
für andere trifft das so nicht zwingend zu
Zitat:Diese Urteile gehören dem Bereich der praktischen Philosophie an und somit dem Bereich des Glaubens
wie begründest du jetzt deine gleichsetzung von "glauben" (religiösem glauben?) mit "praktischer Philosophie"?
Zitat:Wo wir anfangen unsere Entscheidungen auf der Grundlage sicherer Erkenntnisse zu treffen, da kommen Glauben und Wissen zusammen
nein - dort spielt glauben dann gar keine rolle mehr
Zitat:Man weiß z.B., dass es als höflich gilt jemanden zu begrüßen, wenn man ihn trifft, und entscheidet sich auf Grundlage dieses Wissens dazu ihn zu begrüßen oder auch nicht. Ob man aber höflich sein will, muss man zunächst entscheiden
die freiheit, sein wissen auch anzuwenden, oder eben (u.u. bewußt) nicht, hat man immer. nur hat das mit glauben nichts zu tun. ob und wem gegenüber ich bereit bin, allgemeinen höflichkeitsregeln zu folgen, ist eine frage der verfolgten absicht (will ich den anderen brüskieren oder mich mit ihm gut stellen?), nicht des glaubens
Zitat:Ich sehe daher nicht, inwiefern Glauben und Wissen geeignet sind um sie Gegeneinander auszuspielen.
das seh ich auch nicht
allerdings kann ich diese einsicht nicht aus deinen argumenten ableiten
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)