29-11-2009, 15:40
(16-11-2009, 19:19)Manuel schrieb: Ist der Antichrist ein Mensch? Woher kommt er? Und warum weiß man, dass er kommt? Hat er keinen freien Willen und wird von Gott geschickt?
Dass der Antichrist eine politische Persönlichkeit sein muss, geht aus mehreren Schriftstellen hervor. Die überzeugendste ist m.E. Paulus’ 2. Brief an die Thessalonicher 2, 1-12.
Ich rätsele aber ein wenig über die Befürchtung der Thessalonicher, den Beginn des messianischen Reiches verpasst zu haben. Gut, damals, ca. 50/51 n. Chr. war die Offenbarung noch nicht geschrieben. Aber auch dem Propheten Jesaja wie auch Daniel waren genügend Einzelheiten zur Dramatik am Ende des gegenwärtigen Systems zu entnehmen.
Paulus hatte für die Erwartungshaltung der Gemeinde offenbar Verständnis. Er forderte sie geradezu auf, den Blick auf die poltischen Entwicklungen zu richten, wohl in erster Linie auf Rom. Zur Zeit der Abfassung des Briefes war Claudius Kaiser. In ihm sah Paul offensicht nicht den Antichristen. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Frage, wie schnell ein Wechsel der damaligen Weltregierung den Gemeinden z.B. in Griechenland oder Judäa bekannt werden konnte. Wenige Tage genügten wahrscheinlich für die Übermittlung der Nachricht. Zum Vergleich: Als im dreißigjährigen Krieg Breisach fiel, hat Paris dies innerhalb drei Tagen erfahren. Die Distanz zwischen Breisach (ich wohne in der Nähe) und Paris beträgt etwa 500 km. Die Transportmittel (Pferde, Schiffe) waren aber zur Zeit der Urgemeinde die gleichen.
Ein wörtliches Verständnis der Aussagen zum Antichristen kann man von der heutigen Theologie nicht erwarten, die sich einer kritisch-zeitgeschichtlichen Auslegung bedient. Die Kommentare Boussets, Lohmeyers oder Wilkenhausers zeigen gewisse Zusammenhänge auf, die der Normalbürger nicht ohne weiteres erkennen könnte. Doch die Kommentatoren lassen keinen Zweifel an ihrer Überzeugung, dass es echte Prophetie nicht geben kann.
Nach meiner festen Überzeugung fühlten sich die Verfasser der neutestamentlichen Schriften in einer Weise der wahrheitsgemäßen Wiedergabe von Ereignissen und Geschautem verpflichtet, dass man nicht umhin kommt, den Überlieferungen zu glauben. Dem gern benutzen Argument, dass die Verfasser des Neuen Testaments aus Sicht ihres damaligen dürftigen Kenntnisse schrieben, kann ich nicht folgen. Ich sehe in den Schriften kaum Anhaltspunkte für derlei Behauptungen. Carsten P. Thiede wies in seinem Buch “Der unbequeme Messias” nach, dass die Wundergläubigkeit der Menschen des ersten Jahrhunderts keineswegs besonders ausgeprägt gewesen ist.