09-11-2008, 13:48
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 09-11-2008, 13:56 von Alanus ab Insulis.)
Ekkard schrieb:Für Christen, Luther eingeschlossen, ist ein "heiliger Text" ein verbindlicher Text, dem "man glauben muss". Die christlichen Mythen gelten absolut(!) und selbst erklärend (Offenbarung).
Dem würde ich widersprechen. Das mag in mancherlei Hinsicht für die protestantische Theologie gelten, die die Heilige Schrift als einzige (Offenbarungs-)Autorität anerkennt. Aber schon für die Katholische Kirche kann dies nicht gelten, da sie Tradition und Schrift (die ja auch tradiert ist) als zwei gleichwertige Offenbarungsquellen anerkennt. Wobei die Tradition die Summe der Erfahrungen im Umgang mit der Schrift bildet und so zu einem mit der Schrift weitergegebenen "Kommentar" und Kontext wird.
Desweiteren bin ich der Überzeugung, dass die kanonischen Schriften zwar als solche eine besondere Autorität haben, nicht aber ihre sprachliche Verfasstheit. Gerade das Christliche zeichnet sich dadurch aus, dass es keine absolute Sakralsprache (wie z.B. das Judentum) hat (auch wenn es Ähnlichkeit gibt: Kirchenslawisch, Koptisch, usw.). Dennoch bildet der historische Umstand, dass die Schrift gerade in andere Kulturkreise transformiert wurde und in deren Sprachen übersetzt wurde und dadurch keinen autoritativen Verlust erlitten hat, eine Besonderheit des Christlichen und seines Bezugs zum Absoluten bzw. dessen sprachl. Verfassung.
So fordert schon Augustinus z.B. in de christiana doctrina, dass der Interpret der Schrift notwendiger Weise die textliche Grundlagen hinterfragen muss. Was für eine Übersetzung hat er, ist sie richtig, welches Fragment ist es (man bedenke zur Zeit Augustins gab es keine einheitliche, lateinische Übersetzung, sondern nur fragmentarische die wir heute als vetus latina bezeichnen)? Nicht der Text als solcher, sondern der im Text grundgelegte Glauben ist absolut. Ein weiteres Beispiel ist, dass für die Verständigung und Vermittlung des Glaubens und der Heiligen Schrift eine eigene Sprache geschaffen wurde. So haben die Brüder Kyrill und Methodius bei der Mission der Slawen, eine neue (bzw. die sich daraus entwichelnde) Sprache, das nach dem jüngerem der Brüder benannte Kyrilllisch, verwendet.
Viel mehr liegt, so glaube ich, der bedeutendere Unterschied zwischen jüdischem und christlichen Glauben, dass der letztere der Überzeugung ist, dass sich die Offenbarungswahrheiten als Glaubenssätze formulieren lassen. Die christliche Lehre ist zu tiefst von Satz-Wahrheiten und deren Diskussionen bestimmt, ein Umstand der den jüdischen Disputationes völlig fremd ist. Daher kennt das Jüdische auch kein Äquivalent zum Verlust der Gemeinschaft durch Häresie, da eben die Wahrheiten des Glaubens nicht satzmäßig geleugnet werden können.
Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est et speculum.
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Jedes Geschöpf der Welt ist sozusagen ein Buch und Bild und ein Spiegel für uns.
(Alanus ab Insulis, Theologe, Philosoph und Dichter)
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Jedes Geschöpf der Welt ist sozusagen ein Buch und Bild und ein Spiegel für uns.
(Alanus ab Insulis, Theologe, Philosoph und Dichter)