01-11-2008, 15:29
(01-11-2008, 12:56)Petrus schrieb: Liebe Karla,
Zitat:Diese individuellen Erlebnisse oder Erkenntnisse versucht man durch Dogmen zu verhindern, aber es gelingt eben nicht. Wenn jemand nun mal deutlich spürt - als Beispiel -, dass das ganze All erlöst oder erlösbar ist, dass alles und jedes in Gott ruht, dann werden solche Christen entsprechend diesem pantheistischen Grundgefühl auch die richtigen Bibelstellen dazu finden. Sie können das einfach in sich nicht trennen.
Ja, das verstehe ich schon, obwohl es mich natürlich interessieren würde, wie/was diese Menschen unter "erlöst" verstehen. Das kannst Du mir vermutlich nicht erklären, weil Du ja diese Meinungen nur paraphrasiert hast, aber interessant wäre das schon...
Zum Beispiel vom Tod und dem Schmerz.
Übrigens, bei J.R.R. Tolkien kann man verwandte Gedanken finden. Er, als frommer und entschiedener Katholik, hatte da nicht die geringsten Berührungsängste. Das heißt, er hatte sie vielleicht gehabt, aber er hat sie offenbar überwunden. Auch wenn er nicht alle seine Überzeugungen veröffentlicht hat und diese nur im Nachlass zu finden sind. Aber für ihn waren (vermutlich) auch die Bäume und Steine beseelt bzw. hatten ihr eigenes Leben und ihre eigene Erinnerung. Es war einfach seine Erfahrung, er spürte das so. Und dass die alten heidnischen Epen eine Qualität besaßen, die durch das Christentum verloren gegangen waren, wusste er auch. Darum hat sein Glaube dies mit integriert. Er hat öfter (in seinen Briefen) geschrieben, dass die theologischen Lehren ihn nicht interessierten, er müsste diese nicht befriedigen.
Zwar kann man sein Gedankengut vielleicht nicht pantheistisch nennen, aber ich will darauf hinaus: dass offenbar immer zuerst das persönliche Verstehen da ist, und dass die "offlzielle Lehre" dem angepasst wird. Viele merken nicht einmal, dass Buchstabe und Verständnis auseinanderklaffen.
Zitat:Zitat:Ich erinnere mich dunkel an ein Buch eines Mönches, der vom immerwährenden Gebet sprach. Das war letztlich der Weg des Zen, oder des Tao.
Ich denke, Du meinst Pater Emmanuel Jungclaussen, ein Benediktiner
Ah, danke. Ich werde mal nachgucken, ob er das war. Dann hätte ich ihn ja gefunden!
Zitat:Aber ich denke, solche Menschen sind eher Ausnahmen, die da INNERHALB der Kirche(n) so einen Weg versuchen. Aber wichtige Ausnahmen, denke ich.
Das eben versuche ich die ganze Zeit auszudrücken: dass das KEINE Ausnahmen sind. Nur ist das meist nicht spektakulär in dem Sinn, dass man versucht, "innerhalb der Kirche so einen Weg zu versuchen".
Meine Beobachtung ist, dass jeder einzelne Christ - der sich wirklich als ein solcher sieht und sich viel damit beschäftigt - notgedrungen seinen eigenen Weg geht. Das ist oft häretischer, als sie ahnen. Aber wenn sie Angst vor der Häresie haben, bemühen sie sich ängstlich darum, die offizielle Sprache zu benutzen. Und sie glauben auch - oder können es sich einreden -, dass sie sich streng an den Wortlaut halten.
Aber auch sie sind Kinder unserer Zeit. Der Synkretismus hat längst begonnen. Diese Christen können, sobald sie sich äußern und ihre Positionen erläutern, nicht verbergen, was genau ihr persönlicher Glaube ist. Egal, wie oft sie auch sagen, dass allein die Bibel der Maßstab ist: der Maßstab ist in Wirklichkeit ihr eigenes Verstehen. Das ist der Grund, warum sich diese Christen gegenseitig andauernd den Glauben und das Christentum absprechen. Sie können sich nicht einigen, was Christsein ist. Jeder wittert in dem anderen den Häretiker, nur sich selber nehmen sie davon aus.
Zitat:Zitat:Ich meine, das auch aus christlichen Mündern schon oft gehört zu haben, dass Christus aus jedem Menschen sprechen kann, sich in allem und jedem offenbaren kann.
Ich kenne da eigentlich nur die Quäker, die man in gewisser Weise pantheistisch verstehen KANN. Für sie ist in jedem Menschen Jesus oder das Licht oder noch quäkerische "das von Gott in jedem". Stimmt, ja, hier bei den Quäker scheint das sehr gut und "ein-fach" zu gelingen...
Auch hier glaube ich nicht, partout nicht, dass eine formale Richtung das Innere eines Menschen beeinflussen oder verändern kann. Man kann zwar per Lippenbekenntnis sich zu der einen oder anderen Richtung "bekennen", aber das wirkliche Empfinden können sie nicht der offiziellen Lehre anpassen, auch dem Quäkerbekenntnis nicht.
Zitat:Aber natürlich gibt es auch noch zahllose Individuen, die IHR Christentum so leben, wie sie es glauben oder können oder beides...
Meiner Meinung nach gibt es da eben keine Ausnahmen. Alle tun das so. Tausende können die gleichen Worte benutzen, sie verstehen alle etwas anderes darunter, und zwar gemäß ihrer persönlichen Denke.
Was ich aber vor allem noch sagen wollte:
Viele Neu-Christen - zum Beispiel Menschen aus der ehemaligen DDR, die mit dem Christentum nicht aufgewachsen sind, aber auch Schüler im Westen, die erst im Konfirmandenunterricht mit christlichen Gedanken konfrontiert wurden - haben ihren Glauben oder ihre Überzeugung ÜBERHAUPT nicht aus der Bibel, sondern aus der mündlichen Erläuterung durch einen Pfarrer oder einem anderen Christen. Es ist sozusagen eine Direkttradition, erwachsen aus einer mündlichen Überlieferung. Irgendetwas zündet, und das bleibt dann das Zentrum. Deuten von Bibelversen ist dann ein sekundärer Vorgang, ein Anpassungsversuch.
Ein Theologe hat mir mal erklärt, dass das Christentum ohnehin keine Buchreligion sei. Ihr Wesen sei von Anfang an mündlicher Natur gewesen.