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Alter, Sterben, Tod - wie kann man das lernen?
#62
Hallo Petrus!


(29-09-2008, 10:35)Petrus schrieb: Auch Dir, WiT, herzlichen Dank.

Im Prinzip kann ich Eure Erfahrungen und Gedanken nur sammeln, und hoffen, dass sich da "Lichtblitze" für mich auftun. Aber ich kann kaum etwas dazu sagen, weil ich spüre, dass man wohl an einen (liebenden, wertenden, gerechten, auf jedenfall personalisierten) Gott glauben muss, um diese Gelassenheit, von denen Du und die anderen hier berichten, verstehen zu können. Diesen Glauben habe ich nicht.

Ich glaube absolut nicht, dass man an einen liebenden, wertenden, gerechten, auf jeden Fall personalisierten Gott glauben muss, um diese Gelassenheit zu bekommen. Man kann sie auch auf andere Weise bekommen. Mir fließt das aber nicht so leicht von den Lippen, darum werde ich wohl auch jetzt - was die inhaltlichen Aussagen betrifft - nur Fetzen "zu Papier" bringen können, jedenfalls erstmal.

Zu meiner Person: ich bin durch und durch "ungläubig". Des religiösen Glaubens unfähig. Gläubigkeit liegt nicht in meinem Naturell, "an" irgendetwas glauben zu können. Und ich bin auch nicht bereit, mein Sterben und meinen Tod unter den Glauben "an etwas" zu stellen.
Obwohl ich den christlichen Glauben mit der Muttermilch aufgesogen habe, die Hälfte meines Lebens in christlichen Kreisen engagiert war, habe ich nie je das Gefühl des Glaubens kennengelernt. Das habe ich schon mit 10 Jahren erkannt, dass ich das nicht packe.

Und was folgt daraus? Geburt und Tod ist die Natur des Menschen. Ich bin auch ein Mensch, meine Natur ist auch eine menschliche Natur. Der christliche Glaube ist in Bezug auf die Existenz der Menschheit sehr, sehr jung. Und nur er soll in der Lage sein, beides, Geburt und Tod, angemessen und angstfrei in sein Leben zu integrieren? Glaube ich kein Wort von. Wenn es da etwas zu verstehen gibt, dann muss es auch mir, und vielleicht gerade mir, die die Klarheit so liebt, zugänglich sein.

Ich bin jetzt gerade 64 geworden. Dem Tod nahe gestanden habe ich noch nie, nur wohl als Baby, aber da habe ich keine Erinnerung dran. Trotzdem ist der Tod für mich das Thema Nummer 1 seit meiner Kindheit, den Grund weiß ich nicht. Ich war immer ein existentilell Suchender, bin in viele Existenzkrisen gefallen, und meist ausgelöst dadurch, dass mir ein Mensch weggestorben ist, ohne den ich nicht sein konnte. Der erste war, als ich achtzehn war, als der Junge, den ich liebte (ohne dass er es wusste), sich erhängt hat. Ich habe mich nie von diesem Schock erholt, bis heute spüre ich das, was damals in mir abging. Und er ist nicht der einzig geliebte Mensch geblieben, der mir einfach unter den Händen weggestorben ist. Mich hat das regelmäßig an den Rand gebracht. Aber weil ich ein schreibender Mensch bin, habe ich analysiert und analysiert, was mich da so fertig macht. Ich musste das analysieren, sonst hätte ich nicht überleben können. Der Tod war einfach der Feind Nummer 1 für mich, das Koan, dem ich mich zu stellen hatte.

Die Panik, dass ich nicht mehr BIN, kenne ich auch. Aber es ist lange her, dass sie mich überfiel. Von Krishnamurti habe ich gelernt, auch von anderen wie Erich Fromm, dass man sich in der ANGST vertut. Dass man meist vor etwas ganz anderem Angst hat, als man diese Angst lokalisiert. Meine eigene Schreiberei hat mir das auch meist aufgedeckt. Verlustangst - und um die handelt es sich offenbar zu einem Teil bei Dir, Petrus - hat andere Ursachen als die geglaubte. Bei jedem ist das etwas anders, man muss da seinen Punkt finden. Allgemein: es ist nicht selten in Wahrheit die Angst davor, sich seiber weiterzuentwickeln. Angst, etwas zu erkennen, wovor man zurückschreckt. Ich habe jahrzehntelang diese letztgenannte Angst gehabt. Aber am Ende hat es nichts geholfen, ich habe es doch erkannt. Und damit war auch ein Teil meiner Panik vor dem Tod weg. Die Psyche kann das nicht unterscheiden: Angst vor der eigenen Entwicklung und Angst vor dem Verlust eines anderen Menschen. Es fühlt sich in beiden Fällen wie Sterben an.

Ich muss leider jetzt gleich weg und bin noch nicht annähernd zu dem gekommen, was ich eigentlich sagen wollte. Weiß auch nicht, ob ich das, wie erwähnt, überhaupt "aufs Papier" kriege.

Aber noch schnell es sind vor allem zwei Dinge:
Als meine Mutter starb, vor ein paar Jahren, da habe ich zum erstenmal "erfasst", nicht nur intellektuell gewusst, dass auch ich sterblich bin. Ich war bei ihrem Sterben dabei, wollte sie mit aller Macht im Leben halten, und doch ist sie einfach gegangen. Und seit dieser "Mutterboden" weg ist, ist er auch in mir weg. Ich habe, mit meinen ganzen Sinnen, meiner ganzen Existenz begriffen, dass ich mir die ganze Zeit einen vorgemacht habe und in einem Wolkenkuckucksheim gelebt hatte: in dem kindischen Glauben, meine Mutter und ich seien in Wirklichkeit unsterblich und die Sterblichkeit sei eine Zumutung. Dieser kindische Glaube ist mit ihrem Tod zusammengebrochen. Ich spüre meine Sterblichkeit seitdem in jedem meiner Moleküle, kann mir seitdem vorstellen bzw. fühlen, was es ist, "nicht mehr zu sein". Vor ein paar Monaten starb auch mein Vater, und dieses Grundgefühl ist dadurch verstärkt. Ich habe das Gefühl endlich von der Lebenslüge weggekommen zu sein und mich dem Leben, in seiner ganzen Große und Tragik, stellen zu können. Vorher habe ich gekniffen wie ein feiger Hund. Alle meine Krisen resultierten aus dem Bedürfnis, vor der einen großen Wahrheit die Augen zumachen zu wollen.

Das zweite, was ich noch sagen wollte:
Ich glaube, bin überzeugt - und bitte, fass das nicht als Beleidigung auf, Petrus, ich beziehe mich ja mit ein -, dass unsere Zivilisation uns gnadenlos verweichlicht hat. Wir sind abhängig und feige geworden, kleben an unserem persönlichen Leben, unseren persönlichen Habseligkeiten, als müssten sie den Verlust der menschlichen Größe, die die alten tragischen Helden noch hatten, ersetzen. Ich weiß zwar nicht, ob es wirklich stimmt: aber überliefert sind die Erzählungen von großen Frauen, die sich mutig dem Tod stellten, auch schon in jungen Jahren.
Ernst Bloch, der große jüdisch-marxistische Philosoph, sprach von dem nächsten großen Abenteuer, das auf ihn warte. Und er war alles andere als gläubig.

Dass mit dem Tod "alles aus ist" - davon glaube ich kein Wort. Das Wissen, das in den letzten Jahrzehnten in mir gewachsen ist - ohne jegliche religiöse Überzeugung - hat auch ein Urvertrauen in mir erzeugt, das ich als Kind und Pubertierender noch nicht hatte. Es ist entstanden gerade durch diese letzten Tode, von denen ich erzählt habe. Als ob dadurch, dass der Tod mich GEZWUNGEN hat, loszulassen, mir den Zugang zu uraltem Wissen geöffnet hat, der vorher verstopft war. Aber dieses Wissen hatte ich latent auch schon früher. Der PANTHEISMUS hat von diesem Wissen einiges formuliert, die Mystik auch. Angezogen hat mich auch gerade Spinoza und Meister Eckhart aus diesem Grund. Sie wussten etwas davon, wie "das Sein" funktioniert, frei von dem, was unsere vernaturwissenschftlichte Weltsicht uns glauben machen will. Die Dinge sind ganz anders, ganz anders.
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RE: Alter, Sterben, Tod - wie kann man das lernen? - von wojciech - 15-08-2008, 12:57
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