17-06-2007, 21:36
Karla schrieb:Was ich kenne, ist ein wachsendes Verstehen von Zusammenhängen; … das ist … verwandt damit, wie ein Dirigent oder Musikstudent immer mehr die Musik versteht. Das ist ein geistiges Eindringen, kein gefühlsmäßiges.Zunächst einmal ist mir die tätige Nächstenliebe und das Dasein für die Bedürfnisse anderer letztlich wichtiger als "religiöse Erfahrungen". Ich misstraue ganz einfach meiner Gefühlswelt, weil ich weiß, dass sie trügerisch ist – insbesondere dann, wenn Gemeinschaftserlebnisse dahinter stehen. Gleichwohl ist mir bewusst, dass diese, meine Entscheidung ja irgendwo herkommen muss. Geistige Beschäftigung mit dem Thema, wie Du (Karla) das hier beschreibst, erzeugt eine Art Hintergrund-Wissen um die Tradition und eben die darin enthaltenen mythischen Vorstellungen und Vor-Entscheidungen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass dies letztlich zu einer sehr aktiven, lebendigen innerlichen Erfahrung werden kann, also zu einem mystischen Erleben. So etwas hatte ich nie, kann also auch nicht beurteilen, wie sich das anfühlt, oder ob es mich "tragen" würde. Also müssen meine Entscheidungen woanders herkommen. Mir bleiben eben nur die aus der Tradition erwachsenen Thesen z. B. aus der Bergpredigt.
Karla schrieb:Das ist über Jahrzehnte gewachsen und hat nichts mit Religion zu tun. Ich kann mir nur vorstellen, dass aus einem solchen Verstehen heraus Religion erwachsen ist. Mein Fragen war, ob dies allen praktizierenden Religionen zugrunde liegt und der Rest Überbau ist. Und mein Fragen war, wie weit dieser Überbau abgebaut und damit die Feindschaft oder auch nur die Abneigung zwischen Religionen gemildert werden kann.Diese grundsätzlichen Überlegungen scheitern wahrscheinlich nicht an den Leuten, die sich damit auseinander setzen, sondern an jenen, die es nicht tun. Religion (wie Ideologien) ist die Summe aller Vorentscheidungen plus ein Überbau mythischer Natur. Dazu kommt eine Immunisierungsstrategie. Diese besteht in der Heiligung bestimmter Texte, Bücher oder Riten. Sie werden "unberührbar" (heilig), weil sie als von der höchsten, überhaupt vorstellbaren Position der betreffenden Lehre herkommend erklärt werden. Nachprüfen und gegebenenfalls als falsch erfahrbar machen, kann man dies nicht, weil die Aussagenlogik eine Alternative nicht zulässt. Erst, wenn die Religionsgemeinschaften diese Tatsache verinnerlichen, wird ein Dialog möglich.
Karla schrieb:Damit wollte ich die je eigene Konfession niemandem absprechen - es sei denn, wie ich weiter oben sagte, sie wird inhuman -, sondern erforschen, ob das, was in mir "lebt", mich mit den Religionen verbinden könnte. … Aber die Heftigkeit, mit der sogar in diesem Forum meine zaghaften Versuche, das zu erklären, abgelehnt … wurden, hat mich auf den Verdacht bis hin zur Überzeugung gebracht, dass jede Religion im Dogma mündet und fair auf andere Denkweisen nicht mehr eingehen kann.Die Gefahr besteht zwischen Menschen – unabhängig von der jeweiligen Religion. Ich denke, wir leben deutlich enger in unseren Vorentscheidungen, in dem, was man tut und was nicht, als in einer Denkfreiheit. Das geht soweit, dass man die sprachlichen Nuancen und Intensionen des Fremden gar nicht wahrnimmt.
Karla schrieb:Auch das Wort "Nächstenliebe" kann zum Dogma werden.Ich weiß nicht – denn tätige Nächstenliebe bedeutet: die Rechte und Bedürfnisse anderer anerkennen. Damit ist jede dogmatisch einsinnige Vorgehensweise von vorneherein infrage gestellt. Die Bedürfnisse können jederzeit überraschend anders sein, als es der eigenen Denke entspricht – im Hinblick auf die erwähnte Immunisierung ein Grund mehr, tätige Nächstenliebe als wichtiger anzusehen, als mystische Erfahrungen. Ich will damit nicht ausschließen, dass mystische Erfahrung tatsächlich zu einer verstärkten Eigen-Akzeptanz (Akzeptanz durch das Heilige, bei Juden, Christen und Muslimen: durch Gott) und in der Folge zu einer Hinwendung zu anderen Menschen führen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Ekkard

