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unverständliche religiöse Urteilsfindung
#11
Hallo Moski,
Zitat:...dass Gesellschaften sich ihre Gesetze selbst geben und danach leben
und dies für uns manchmal befremdlich, aber zu akzeptieren sei.
Letzteres habe ich nicht so formuliert, sondern ich schilderte nur, dass zuerstmal Gesetz als solches besser sei als gar nichts, und dass sie verschieden lange ausreifen konnten in je ihrer Umgebung, was doch nicht ausschliesst, dass ich, wo ich es besser habe, mich auch darum kuemmere, dass ein Grundrecht, das meiner Erkenntnis und Ausbildung nach jedem Einzelmenschen zusteht, auch diese alle erreiche.
Gegenwaertig ist es eben noch ein Faktum, dass es diesbezueglich eine gewaltige Spannweite umfasst, mit was fuer Gesetzen Leute auf der welt auskommen (moechten, muessen, duerfen) und vor welchem Hintergrund es im Einzelfall sogar mal begreiflich ist, dass sie das dort so sehen.
Unsere Fragestellung dieses Threads ging aber doch davon aus, dem Islam als Religion zu unterstellen, er verursache fuer europaeisches Rechtsempfinden eine "menschenrechtlich" so unerfreuliche Situation, wo-auch-immer er Anhaenger habe, und - mehrere Deiner Beitraege zusammenfassend - schwere Sorgen, in was mit "denen", wenn sie auch hier mehr zu sagen haben wuerde, alles zu befuerchten sei.
Dagegen argumentiere ich eben. Es ist auch in Laendern mit vorwiegend Muslim-Bevoelkerung voellig verschieden, was dabei herauskommt, wobei es eine Rolle spielt, was genau dort vorlaege, wenn es nichtmal deren Gesetz gaebe und sich vielleicht gar keins Geltung verschaffen konnte.

Das aethiopische Verfahren, um des Rechts als solchen willen und fuer den guten Ruf des Ganzen der Gemeinschaft einen halb-freiwilligen Taeter "auszugucken" ist keine "Sippenhaft", denn unter der verstehe ich, dass man eine ganze "Sippe" oder Gruppe ergreift und wahllos alle oder Beliebige dafuer "bestraft", und in der Hinsicht hab ich biografisch Erfahrung in meiner Familie mit den Sowjets, wo es 1940/41 z.B.in Estland so gehandhabt wurde, dass fuer beliebig irgendetwas, mit was ein Einzelner "auffiel", die gesamte Familie enteignet, gefangengesetzt und maximal weit auseinander deportiert wurde, was zu 90% fuer sie alle toedlich ausging, ein Teil derer, die das ueberlebten und eine fiktiv dazu ausgesprochene Zeitstrafe in einem Lager oder Verbannungsort offiziell hinter sich habend, in die Heimat zurueckgekommen war (wobei einem die eigene Kreisregion nicht gestattet wurde), wurden nochmals 1949 wieder zurueckdeportiert und kam erst lange nach Stalins Tod woirklich frei.
Bei uns war es der Ausloeser, dass eine Tante, Volksschullehrerin, nicht das Kind ermittelt und den Behoerden angezeigt hatte, welches die Idee gehabt hatte, in der Klasse ueber das anstelle des Schulkreuzes aufgehaengte Lenin-Stalin-Portrait und das morgendlich dazu zu singende Lied einen Witz zu machen (Das Lied hiess etwa: "Im Osten geht die Sonne auf, die Sonne L's und St's..." und die Kinder hatten die Hemden abgelegt "um zu sehn, ob man von dieser "Sonne" auch braun werde") - noch am selben Nachmittag wurden sie, die Lehrerin, ihr Mann, der Rektor, ihre Eltern und Geschwister und deren gesamter angeheirateter Familienkreis zur Verhaftung und Deportation ausgeschrieben, einige wurden nicht gefasst, einige noch grad aus dem Warte-Kerker befreit, von denen wir erfuhren, was ueberhaupt der Anlass gewesen war, einige, besonders die Maenner, sind dann ermordet worden, und einige kamen lange spaeter aus Sibirien zurueck.

- und auch andere Beispiele, hier eins aus der NS-Zeit:
Da erinnere ich mich an einen Fall aus Meschede: da hatte etwa 1942 ein juedischer Junge im Winter spielerisch einen Schneeball auf ein deutsches Mitkind, ein Maedchen, geworfen, und das wurde irgendwie als "Rassenschande" angezeigt, er wurde zum Tode verurteilt - dieses Verfahren hatte wie immer die Familie zu bezahlen, der Vater oder die Mutter starb an Herzschlag durch diese Aufregung und Trauer, und der andere Elternteil kam sofort aus der Beerdigung ins KZ.

Das ist doch eindeutig nicht vergleichbar mit dem "aethiopischen" Fall von uns nicht gelaeufiger Suehnung aus einer Gemeinschaft heraus, denen es um die Erhaltung des guten Rufs ihrer Gegend geht und die das nebennutzen, um ihre Mitglieder anzuspornen auch mit sozialem Fehlverhalten achtsam zu sein, auf welches keine Gesetzes-Strafen stehn.
- Ich hab es auch nicht gutgeheissen als Rechtsprechungsart fuer jede Situation und alle erdenklichen Zivilisationen, sondern nur mal geschildert, weil das Prinzip dabei eigentlich doch bemerkenswert ist: dass eine Gemeinschaft sich soviel wert ist, lieber reihum dafuer das Recht auf genauere Ermittlung eines Taeters beiseite zu lassen, der wahrscheinlich jemand von ihnen gewesen sein muss, als dass es heisst, da gelte das Recht eines Menschen auf sein Eigentum nicht als so wichtig.
Es hatte doch auch immerhin eine anhaltende Wirkung bis zumindest der Zeit des Kommunisten-Putsches gezeitigt, indem wirklich ganz Afrika es wuerdigte, dass in diesem Land Aethiopien so etwas wie Diebstahl auch nur einer Kleinigkeit wirklich nicht zu erwarten sei.
Es gab zusaetzlich eine Rechtsprechung in unserem Sinne, wo nur genau der Taeter ermittelt wird und der bekommt auch sein individuell bemessenes Urteil.

Generell stecken bei jeder Art Gericht alle, die es anrufen und die, vor es zitiert, einen Spruch akzeptieren, ein bisschen zurueck mit dem, was sie erwarten, und "man spricht Kompromiss", mit dem man allerseits erstmal auch weiter leben kann, ohne ewig zu noergeln, weiterzustreiten oder sich um etwas zu raufen und zornig die Koepfe einzuschlagen, zumal ein Rechtsfall doch genug oft nicht eindeutiger durch die Vernunft zu klaeren ist.

Das Erfinden einer im optimalen Fall zuneigungs-neutralen Institution, die Streitfaelle schlichtet und Suehnen fuer Unrecht verhaengt, damit es viele Menschen lange miteinander aushalten koennen, ist und bleibt das Verdienst "Noahs".

Andererseits:
Der Bewusstseinsstand einer Bevoelkerung, vor Ort erstmal selbst zu waehlen, was sie wie gesetzlich geregelt haben moechte, ist ein Recht der Menschenrechte, das sie wahrnehmen.
Wenn es dann etwas zu bemaengeln gibt, weil das nicht allen von ihnen und dem Fremden, der sie besucht, gerecht wird, ist das ja etwas, was man mit diesen Fall um Fall verhandeln und aendern kann, und dies sollte wirklich nicht mit Feldzuegen aufgezwungen werden muessen, aber manchmal ist ein despotischer Willkuerherrscher nicht anders zu stoppen, damit wieder von dem betroffenen Volk selber Recht gesprochen werden kann.

Es sollte aber auch nicht im Verteufeln gemeinschaftswilliger Systeme steckenbleiben. Wie ich im Fall des "unreinen Blindenhunds" sagte, gibt es dafuer eine Institution, der man diesen Konflikt vortragen kann und sollte, wenn das mehr als ein Einzelfall ist. Die Frage der "Reinigkeiten" hat der Islam mit andern Konfessionen von alterher gemeinsam, jede regelt es im Einzelnen selber, was das genau betrifft.

Nicht-religioese Gemeinschaften befassen sich damit weniger, obwohl die gegenwaertige Anti-Raucher-Wut auf ein aehnliches Phaenomen herauslaeuft, nur halt saekular "durch Beweise der Schaedlichkeit untermauert".
Ein Naturbeduerfnis scheint also doch auch dahinter zu stecken.

Dann erkundigt man sich eben, wer da zustaendig ist, wenn so viele die "Reiniglkeit" hoeher stellen als das Hauptgebot der Barmherzigkeit, das es einem gehandicapten Menschen ermoeglichen MUSS, seinem Lebensunterhalt nachzukommen, und bittet diese (oder fordert auf), sich in dem Fall religions-fachlich auch darum zukuemmern, damit dieses Diskrepanz behoben werden kann, etwa so, dass die wirklich dabei um ihre Froemmigkeit bemuehten Taxifahrer sich eben eine Transportkabine fuer eventuell zu erwartende Blindenhunde und Gelaehmten-Rhesusaffen etc.) anschaffen oder improvisieren sollen, damit der Passagierraum von jeder "Verunreinigung 3.Grades" sicher sei. Oder es stellt sich heraus, dass dies Problem schon lange auf islamisch geklaert worden ist, und die Sharia-Gerichte muessten nur informiert werden und die Imame es denn auch lehren, wenn das Kapitel "Reinigkeiten" im Unterricht dran ist.

Systeme, die ueberhaupt eine Rechtsprechung anerkennen, sind doch gerade generell dazu imstande, inhaltliche Fragen weiterzuentwickeln.

mfG WiT :)
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RE: unverständliche religiöse Urteilsfindung - von WiTaimre - 06-05-2007, 18:48

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