10-06-2024, 23:25
(10-06-2024, 12:08)Ekkard schrieb: ... weil sich Menschen im Grunde den Tod ganz falsch vorstellen. Das ist ein einziger weltanschaulicher Kuddel-Muddel aus Ich-Bewusstsein, Seele und Jenseitsvorstellung. Nichts von alledem existiert; es sei denn als Bewusstseinszustand der lebenden Person. Nach deren Ableben existiert davon natürlich auch nichts mehr.
Das stimmt nur dann, wenn man 100%ig materialistisch denkt, wenn man sich also zweifelsfrei sicher ist, dass Bewusstsein ein Epiphänomen der Materie, genauer des Gehirns ist. Nur, wirklich zu 100% wissen kann das niemand. Und deshalb ist auch diese Position letztlich eine Ideologie und eine ziemlich radikale noch dazu. Sie ist das andere Extrem zum entgegengesetzten Extremismus, nämlich der 100%igen angeblichen Sicherheit, dass das (kosmische) Bewusstsein die Quelle allen Seins ist und die Materie aus dem Geist entsteht. Wie auch bei politischem Extremismus sind sich die Vertreter der jeweiligen Ideologie praktisch nie bewusst darüber, dass sie eine extreme Position vertreten. Für sie ist ihre Weltsicht einfach "normal" - weil sie nichts anderes kennen und sich nicht hinterfragen.
Obwohl ich jederzeit bereit bin, das spirituelle Weltbild im allgemeinen und die Anthroposophie im speziellen gegen solche Zeitgenossen zu verteidigen, wie sie hier im Forum nur darauf lauern, sich auf alles nicht-materialistische zu stürzen und es zu zerreißen, so bin ich andererseits durchaus dazu fähig, auch die spirituelle Weltanschauung zu hinterfragen. Aber eben aus einer Position der Mitte heraus, nicht aus der Position des anderen Extrems.
So kann man zum Beispiel im Falle Rudolf Steiner durchaus hinterfragen, wo denn seine Visionen und seine "geistige Schau" hergekommen sind. Er selbst beschreibt ja einfach nur sein Erleben, deshalb kann man ihn nicht als Extremisten brandmarken. Einige seiner Nachfolger allerdings schon. Nämlich diejenigen, die Steiners Lehre als "objektive Weltoffenbarung" bezeichnen. Das ist dann genau so eine Anmaßung wie das andere Extrem - nämlich seine Lehre als absoluten Nonsens zu bezeichnen.
Wie so oft fehlt den Menschen das Mittelmaß. Vielleicht ist das, was Rudolf Steiner erlebte, genau das, was C.G. Jung später als das kollektive Unterbewusstsein bezeichnet hat. Vielleicht stammen seine Erkenntnisse nicht wie von ihm interpretiert von einer meta-physischen, sondern einer sub-physischen Ebene, eben dem kollektiven Unterbewusstsein. Dafür spräche zum Beispiel, dass viele der Inhalte seiner Lehren bereits seit Jahrhunderten und teilweise seit Jahrtausenden in den verschiedensten Kulturen aufgetreten sind. Dann bleibt aber immer noch die Frage, wie real denn nun seine Visionen waren. Wie soll man so etwas beantworten? Wenn es das kollektive Unterbewusstsein tatsächlich gibt - und nicht nur als Postulat von C.G. Jung - wären dann die von dort gewonnen Erkenntnisse nicht auch in gewissem Sinne real?
Letztlich laufen derlei Überlegungen immer wieder auf diese Fragestellungen hinaus: Wie bestimmt man überhaupt, was real ist und was nicht? Wie zuverlässig ist das subjektive Erleben? Haben manche Individuen tiefere Einblicke in gewisse Sphären und wenn ja, wie könnte man das beweisen usw... Ich bin mir gar nicht sicher, ob sich solche Fragen überhaupt irgendwann einmal wirklich objektiv beantworten lassen werden, aber falls ja, vermute ich, dass das noch in ferner Zukunft liegt.

