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Verschwinden der Kirche?
#17
Ekkard schrieb:Gut gebrüllt, Löwe! Die so genannte "frohe Botschaft" war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts dermaßen überfrachtet mit theologischem Überbau, dass sie mit dem normalen Leben in Deutschland nichts mehr zu tun hatte. Daher haben fast zwei ganze Generationen im Osten durch den Sozialismus beschleunigt, diesen Überbau und schließlich die gesamte Lehre (bis auf Reste) über Bord geworfen.

Ich halte diese Argumentation für kaum haltbar. Gerade das Beispiel Sozialismus/Kommunismus lässt sich auch gegen deine Aussagen wende.
Denn einen wirklichen Verlust christlicher Identität und damit auch theologischen "Überbaus", wie du es nennst, haben wir nur in der DDR und in Tschechien. In den anderen Sowjetrepubliken und Satelittenstaaten haben wir hingegen durchaus ein weiterhin aktives christliches Milleu. Man denke da nur an Polen, dass sicherlich auch durch die Verbundenheit mit dem polnischen Papst Karol Wojtyla gestärkt wurde und indem der Katholizismus eine Blüte erfuhr. Aber auch Staaten wie Weißrußland, Rumänien und Rußland selbst sind hervorragende Beispiele dafür, dass selbst die atheistische, kommunistische Ideologie ein gefestigtes Christentum nicht entwurzeln konnte. Ja selbst die Repressalien gegen die Orthodoxe-, als auch die Uniatenkirche haben dies nicht vermocht.

Davon, dass es eine grundsätzliche Differenz von christlichen Glauben und dem normalen Leben gab, kann also nur bedingt die Rede sein. Dass Argument der Entwurzelung aufgrund magelnden Wirklichkeitsbezug, modern, ohne Sitz im Leben, ist ebenso ambivalent wie ungenau. Gerade das zeigt uns das Christentum im Ostblock.

Die Entwurzelung in Deutschland dürfte wohl eher auf diesen, sich im Aufkeimen befindendlichen, Relativismus der westlichen Nachkriegskultur (von dem auch die DDR, als ursprünglich westlich, betroffen ist) liegen. Sind es nicht gerade die 68er Bewegungen, die mit der Kriegsgeneration und damit zwangsläufig auch mit der Tradition brechen. Und haben wir diesen Bruch in der DDR nicht von vornherein, weil dort durch die konsequente Entnazifizierung, im Gegesatz zur BRD, eine Anknüpfung an Vergangenes gar nicht möglich machte, weder politisch (von den sozialistischen Bestrebungen von 1918/19 abgesehen), noch soziokulturell?

Ich glaube das wäre die treffendere Ursache für die Entsozialisation des christlichen Glaubens in der DDR. Und es würde ausserdem auch erklären, warum die katholischen und orhtodoxen Kirchen in den anderen Staaten weniger oder gar nicht davon betroffen war, denn dort war eine kulturelle Anknüpfung an die Vorkriegszeit möglich, weil es keinen Bruch nationaler Identität gab, sondern allenfalls einen Elitentausch (rechter Nationalismus/ linker Sozialismus).

Ekkard schrieb:Mit einem Akt gähnender Langeweile wird ein Gott verehrt, der es nicht einmal schafft, die Vorgänge vor und während des 2. Weltkrieges zu verhindern, der es nicht schafft, die Bevölkerungsexplosion in den "unterentwickelten" Ländern zu bremsen, der uns eine Welt zur Verfügung stellt, die morgen von einem Meteoriten zerschmettert werden kann.

Dann ist deiner Ansicht nach also das Problem nicht liturgischer, sondern exitenzieller Art. Nämlich, dass es unsinnig erscheint, einen Gott zu verehren und anzubeten, der Leid zu lässt.
Sicher das Theodizeeproblem ist zweifelslos ein Problem für das Unverständnis gegenüber einem Theismus, der an einen guten und liebenden Gott glaubt. Aber selbst auf das Theodizeeproblem gibt es Antworten und egal welcher Natur diese sind, gilt doch weiterhin, dass das Leid der Welt wohl eher Akt des Menschen ist und seiner, in diesem Fall, von Gott gegebenen Freiheit.
Die Frage ist doch bin ich lieber Bruder Christi in Freiheit oder Sklave Christi im Frieden der Unfreiheit? Lezteres, dass Gott uns sein Heil aufoktroyiert, ist nach christlichen Verständnis unmöglich, es würde dem Menschen seine göttliche Abbildhaftigkeit, für die die Eigenständigkeit des Willens an erster Stelle steht, nehmen.

Was den langweiligen Gottesdienst angeht, kann ich nur aus pastoraler Erfahrung, die sicher noch im Anfangsstadium ist, sagen, dass gerade kurzweilige Gottesdienst nur sehr kurzen Eindruck machen (Weltjugendtag ist da in vielerlei Hinsicht ein Beispiel, wenn gleich nicht für alle Teilnehmer).
Wirklich dauerhafte Verwurzelung und Stabiltas (auch bei Jugendlichen) bringen da eher die als altmodisch verpöhnten Riten, die ja im Sinne unserer heutigen Wirklichkeit vor 40 Jahren erneuert und reformiert wurden (zumindest in der katholischen Christenheit).

Der Jugendschwund hat eben viel mher damit zutun, dass eben nicht die Riten langweilig sind, sondern so wahr genommen werden, weil sie nicht verstanden werden. Die Sozialisation durch die Eltern ist nicht gegeben, dies muss endlich die Kirche übernehmen, dann werden die Zeichen auch wieder verständlich.

Ekkard schrieb:
Presbyter schrieb:Wirklich geschehen kann dies nur, wenn christliche Überzeugungen und ureigene Glaubensinhalte und -wahrheiten gewahrt und angemessen verkündet werden.
Wenn ich das lese, wird mir reflexhaft schlecht, weil ich mit "ureigenen Glaubensinhalten" sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe.


Da mag dir reflexartig schlecht werden, an der Tatsache ändert das aber nichts. Ich halte es für unmöglich die "frohe Botschaft" Christi authentisch zu verkünden, wenn ich nicht von den in ihr angelegten Überzeugungen und Wahrheiten ausgehe. Das umfasst Ausagen wie "Gott ist die Liebe" (1 Joh 4, 16) ebenso, wie die in den Evangelien zum Ausdruck gebrachte Messianität Jesu!
Wenn ich im Zuge einer Neuinterpretation der Evangelien eben jene Grundvoraussetzungen bzw. -anlagen ausklammere kommen solche Ideen heraus, wie Jesus war ein Öko-Aktivist, Zen-Meister oder ein Vertreter des transzendentalen Apriorismus. Und das ist, bei aller Liebe, eine völlige Fehleinterpretation sowohl der Botschaft Jesu, als auch der christlichen Tradition.

Ekkard schrieb:
Presbyter schrieb:Aber wie will das eine Gesellschaft verstehen, die Glauben für eine subjektive Empfindung hält?
Woher willst Du wissen (nicht glauben i. S. "Ich gehe davon aus / halte es für notwendig, dass …"), dass es anders ist?

Mein Satz hat einen doppeldeutigen Literalsinn.
1. Das Glauben kein subjetives Empfinden in dem Sinne ist, dass er, der Glauben, durchaus einen Platz in der Öffentlichkeit der Gesellschaft und der communio der Glaubenden hat ->Öffentliche Gebet oder Kultpraxis.
2. Das Glaube kein nur vom glaubenden Subjekt abhäniger Vollzug ist.

Du, lieber Ekkard, hast den zweiten herausgelesen, ich den ersten gemeint.
Und natürlich kann eine Gesellschaft, die den Glauben sowohl im Vollzug der kultischen Praxis, als auch (wie im 2.) Akt des Menschseins ins Private abschiebt, nicht verstehen, dass die moralische und christliche Identität und Glaubwürdigkeit nicht geopfert werden können, bei der Verkündigung des Evangeliums.

Bei zweiterem könnten wir uns ausgiebig streiten. Ich kann dir soviel sagen, dass es ein christliches (zumindest in Ortodoxie, Katholizismus und bei den Altorientalen) Verständnis ist, dass der Glaube eine göttliche Gnade und Akt des Heiligen Geites ist, der in unserer Seele wirkt.

Da ich aber durchaus deinen modernen philospohischen Skeptizismus (der natülich die Metaphysik nicht als spekulative Wissenschaft zulässt) kenne, dürfte es schwierig sein darüber mit dir zu diskutieren. Denn entweder müsstest du mit mir auf der Grundlage des Evangliums als authentisch geoffenbartes Wort Gottes diskutieren oder aber du müsstest dich auf eine metaphysische Diskussion über die Seele als Trägerin und Vollzieherin des Glaubens und aller Akte bzw. damit einhergehend natürlich auch auf eine theologia negativa bzw. metaphysische Theologik einlassen.

Aber sicher würden wir gerade auch auf dieser apriorischen Ebene keinen Konsens finden, da unsere Vorurteile und Bezüge zum Thema zu verschieden sind.
In diesem Sinne kann ich dir als Antwort auf die zweite Aussage, dass der Glaube kein nur vom glaubenden Subjekt abhäniger Akt ist, wenn gleich er unterschiedliche Erscheinungsformen und spirituelle Erfahrungen, je nach Lebenslage und Umfeld, prägt, ist, nur die Antwort anbieten, dass dies in diesem Fall ein spezifischer Teil des katholischen, orthodoxen und altorientalischen Glaubensverständnisses ist (protestantische Kirchen dürften sowohl zustimmen, als auch dagegenstimmen....da kenne ich mich zu wenig mit den unterschiedlichen Bekentnissen aus).
Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est et speculum.
-
Jedes Geschöpf der Welt ist sozusagen ein Buch und Bild und ein Spiegel für uns.
(Alanus ab Insulis, Theologe, Philosoph und Dichter)
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Verschwinden der Kirche? - von Atheist - 09-04-2007, 20:08
RE: Verschwinden der Kirche? - von Gerhard - 10-04-2007, 00:14
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RE: Verschwinden der Kirche? - von qilin - 12-04-2007, 06:33

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