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Moderne Sklaven
#9
Hallo Mont_Blanc :)
Zitat:Aha. Also darf man töten wenn man hunger auf Fleisch hat. Wunderbar. Aber die Tiere bemitleide ich zusehr also esse ich doch lieber einen Passanten auf der Strasse.
... Und allerdings gibt es nichts im Fleisch was wir nicht vegetarisch ersetzten können.
Dein Mitleid ist zu aggressiv, Du weisst nicht, wovon Du redest.
Das, wovon Gautama Buddha ausging, war nicht so boese. Er war ein gluecklicher Prinz, und dann kam er einmal unter die Menschen draussen ausserhalb des Palastes und sah sie - krank, ungluecklich, sterbend. Es wird nicht berichtet, dass er aus dem Palast kam und einmal die Tiere bemitleidet haette. Hindus, was er auch war, nehmen ja an, es seien die anderen Leben von Menschen. die jene als Tiere fortsetzen muessten. Also seine Gedanken stellen da keineswegs ein Tierleben hoeher als das von Menschen.

Meine Mutter, mein Bruder, die waren auch mal "glueckliche Prinzen" gewesen. wenn ich dankbar bin, dass unsere Religion es erlaubt, Fleisch zu essen, weiss ich auch, wovon ich rede, wenn ich das Wort Hunger erwaehne.
Mich wirst Du nicht ueberzeugen koennen, dass man alles Fleisch immer durch vegetarische Nahrung ersetzen kann.
Hast Du schonmal gesehn oder Dir ehrlich vorgestellt, wie es ist, wenn von 250'000 Menschen Deiner Stadt etwa 220'000 binnen zwei Jahren verhungern?

Wir haben das einmal ueberlebt.
Wir waren zivile Gefangene, nur wir durften auch nicht auf's Land zur Landwirtschaft, waren dem Roten Kreuz unterschlagen, und man zwang uns zu keiner Arbeit, daher gab es nichtmal zum Schein fuer uns Essenszuteilungen. Sie nannten es "Rache fuer Leningrad" - die NS-Regierung hatte diese russische Stadt umzingelt und verhungern lassen - das erfuhren wir aber erst Jahre spaeter. Wir hatten an sich selber nicht jemanden umzingelt und verhungern lassen.

Wir konnten aber gerne versuchen, 365 Tage in jedem dieser 2 Jahre von der Natur zu leben und sogar oft "vegan" zu essen. Zum Kochen braucht man sehr viel Brennmaterial, jeden Tag, und vegetarische Rohprodukte aus dem Stadtpark sind grad auch die, die man laenger garen muesste. Dir fallen gewiss gute Rohkost-Sachen ein, vollwertige, mit Fruechten und Nuessen, zarten Rohgemuesen aus der modernen Landwirtschaft. Man geht das doch ganz einfach kaufen.
Und beim Wort "Hunger" stellst Du Dir diesen niedlichen Werbetraeger fuer Milchreis vor, "Der kleine Hunger kommt so zwischendurch"?

Oh, wir haben damals - sagte meine Mutter, als wir bei der Schneekatastrophe um den Tisch hockten und mit Kerzen etwas Heisses fuer uns kochten - jeden Tag, auch bei minus 20 Grad und 40 cm Schnee, etwas zu essen gehabt, und das sei ihr heute noch ein Wunder.

Alle waren Sammler geworden. Es gab im mehr sommerlichen Zeitraum 1945 noch Melde, Brennessel, Loewenzahn, Queckengras-Wurzeln, die kleinen Wegmalven-Nuesschen, Vergissmeinnicht-Blaetter, Blueten vom Klee und von der Taubnessel, Rohrkolbenstaub vom Teich, geraspelte Unterrinde vom Baum - ich kann Dir eine ganze Liste zusammenstellen, was alles im Prinzip noch essbar waere. Es gab auch keine Milch, kein Ei.

- Aus immer weiter zusammenfallenden Ruinen holten sich Kindertrupps noch letzte Glaeser mit Eingemachtem fuer ihre Muetter und sich, letzte Erbsen, Linsen, Bohnen, Sauerkraut - als Brennmaterial riss man Tapeten runter und Moebel und Regale, doch Beile und Aexte hatte man uns genommen. Es war alles aus der Stadt geschafft worden bis herab zu Naehnadeln und Scheren. Nur wer Glueck hatte, fand noch sowas in den abgebrannten Resten von Hauesern. Auch Besteck, Geschirr und Toepfe und Herde - nicht sofort, aber so nach und nach.

Weil es so viele Stunden taeglich dauerte, aus Naturfunden etwas Essen zu bereiten, hatten die Kinder das Sammeln fuer die jeweils naechste Mahlzeit zu tun - nun, ein paar unerleuchtete Kinder erschlugen dann auch Ratten, die ihnen das in den Kellern natuerlich streitig machten, weshalb wohl dann Ratten ihrerseits an schlafende Menschen gingen und diese anfrassen, die zu klein oder zu todmuede waren, sich zu wehren.
- Es tauchte dann da, wo wir halboffiziell wenigstens tauschhandeln durften, mal eine Suelze auf, aber niemand wollte diese Suelze. Jemand hatte damit die Ratten "verwerten" wollen. Man lehnte das ab, weil grad diese Ratten ja in Massen zum Menschenfressen eingereist waren. Das ist oft so bei Hungersnot.
Wir hielten uns ja ganz in Deinem Sinne zurueck und assen keine Ratten
- andere Tiere gab es aber schon lange nicht mehr in unserer Stadt - nur im Zoo ein schwer bewachtes altes Pferd, und bei dem ein Nilpferd, das hiess Hansi. Diese galten als "Kultur-Beweise", welche unsere Sieger in der Zeitung stolz erwaehnten, wie achtsam sie mit sowas seien. Die grossen Herden, die das Land noch 1944 besass waren teilweise Kriegs-Opfer, man hatte eine Region von Menschen evakuiert und deren Vieh zwischen den Fronten sich selbst ueberlassen. Ungemolken und hungrig sich selbst ueberlassen wanderten die armen Kuehe bruellend vor Schmerzen durch den tiefen Schnee und bruellten so schmerzlich - doch zwei seelenlose Regierungen verhinderten, dass man sie rette. So lagen sie schliesslich tot und geschwollen im Lande herum.
Uns andern verbot man die Evakuierung, wir mussten bleiben, bis die feindliche Armee im Ort ankam, damit es sie verlangsame, wenn sie uns fangen, vergewaltigen und verhoeren. Wo diese Armee gewesen war, lagen dann auch vielfach die toten Menschen in und unter dem Schnee teils bis zum Fruehling herum.
Zitat:sinnloses Töten=Sünde, unmoralisch, Ungerechtigkeit oder wie man es auch nennen will.
Der eine, der dieses so anordnete, war ja ein bekannter Vegetarier, seinen Schaeferhund liebte er sehr...

Also im ersten Jahr diese Ratten. Im Herbst hatten unsere Sieger noch massenhaft Rattengift geordert, die ja im Vorleben keine Buddhisten gewesen zu sein schienen, obwohl - es wird Dich wundern - nicht wenige Leute in unserer Stadt schon Buddhisten waren. Ausserdem gab es auch eine Reformbewegung aus der Jungborn-Zeit, auch Vegetarier. Kann sein, dass wir einige Tips, welche Unkraeuter man essen kann, von diesen erbten - verhungert sind sie nicht anders als wir.
Doch keine Sorge, das Gift kam nie an, denn das musste erst zentral ueber die Partei bewilligt und mehrfach unterschrieben werden. Bis zum Fruehling hatte sich das mit den Ratten erledigt: auch die waren verhungert oder abgewandert.

Der Naehrwert einer Essensportion Fleisch entspreche dem einer ganzen Wiese an Kraeutern und Gras, lernten wir. Doch diese ganze Flaeche an Wiese muesstest Du taeglich einmal essbar gekriegt haben. Kochen alleine genuegt nicht.
Es starben so viele kleine Kinder, weil die Muetter ohne Essen ihnen die Brust nicht geben konnten, und von dem, was kaum Erwachsene noch verkrafteten, was man zu essen fand, krepierten sie jaemmerlich schreiend. Tausende wanden sich in schmerzhaften Blaehungen, nach Versuchen, Gras oder Klee aus den Stadtparks zu essen, und dann waren sie tot.
Meiner Familie half ein mitgefangener Apotheker, der uns wenigstens sagen konnte, was wir gar nicht erst probieren sollten, ins Essen zu tun.
Der Winter von November 1945 bis Mai 1946 war natuerlich etwas knapp mit Gruenem, wohl eigenartig, dass damals um die 90'000 Leute unter uns starben. Jeden Morgen untersuchte man seine Umgebung, sammelte die Verhungerten an einen befahrbaren Restweg in den Truemmern, und die Sieger halfen uns mit Granaten, Loecher in die gefrorene Erde zu sprengen, wo sie sie dann einfach durch Umkippen der Leichenkarren reinwarfen, Kalk drueber, Zuschuetten, fertig.
Todmuede, hungrige, auch gefangene Geistliche kamen trotzdem unermuedlich hinzu und einige legten die Toten wenigstens etwas menschenwuerdiger hin, versuchten, deren Identitaeten herauszufinden und beteten ihr Geleit. Das amuesierte mitunter unsere Sieger, wenn sie betrunken genug waren, total. Doch irgendwer weiter oben gestand dann doch den Geistlichen eine Totengraeber-Brotkarte fuer 4-500g zu.

Man sah es mitunter schon wochenlang kommen: diese Mitbuerger wanderten schlurfend, wie im Traum, sie konnten die Beine nicht mehr anheben vor Schwaeche. Oder jemand sank ploetzlich tot um
- fast alle bekamen Geschwuere, Furunkel, Karbunkel, von den Mangel-Erscheinungen, die auch die bekamen, die sich ab und zu ein Brot besorgen konnten - es war aus ueberwiegend Maismehl, wo Licht auf die Haut kam, entzuendete sie sich.
Viele Menschen sahen dann ganz schrecklich aus und ekelten sich vor sich selber. Arzneien und Ersatz-Vitaminpillen hatte die Stadt ja auch nicht mehr fuer uns Gefangene.

Jemand fand fuer uns noch nassgewordenes Roggenmehl in Saecken, das klopften nun die mueden Kinder hoffnungsfroh mit Steinen wieder zu Mehl und wir bekamen mal Brot zustande, bis auch das alle war. Auch fand jemand fuer uns Rohkaffee, und unsere Reformkoestler haetten den ja abgelehnt, doch der enthielt die Vitamine die dem Normalbrot da fehlten. Aber das war vollwertig, uns blieben die Hautleiden erspart.

Aber um die Menschen tut es ja abgeklaerten Weisen auch nicht leid?
- so sahen das auch einige, die der Hunger wahsinnig gemacht hatte, sie fingen Kinder, "einen Passanten von der Strasse", ab und boten sie als Suelze an - zum Tausch gegen ein waermeres Kleidungsstueck, denn wer verhungert, friert immer so sehr. Doch wollte keiner diese Suelze essen.
Es war kein Tier mehr ausser den 2 im Zoo in der Stadt, aus dem jemand noch haette eine Suelze machen koennen, das wussten wir genau. Aber man konnte Kinder bald nur noch in wehrhaften Gruppen zum taeglichen Pflanzensuchen gehen lassen. Einzelne verschwanden immer wieder an bestimmten Orten.
- Warum schlachteten sie keine Erwachsenen? Es lagen doch genug schwach in den Notunterkuenften herum? Weil man sie vermutlich nicht gargekocht kriegte. Verhungernde werden sehr zaeh und trocken.
Die ganze Stadt half lieber, die Menschenfresser zu fangen, es gab mit unser aller Einverstaendnis einen Schauprozess gegen diese Moerder-Gruppe. Es war eine alte dt.Frau mit einer Gruppe verwahrloster russ. Jugendlicher. Auch davon streunten viele der Roten Armee hinterher.
Es waren ja "nur" Menschen - die Eltern oft des Nachts verhaftet und in Lagern, deren Kindern durfte niemand helfen, zeitweise, da stand im Pass vielleicht "Kulak", andere kamen aus dem Waisenhaus, entlaufen.
Ab dem 6.Lebensjahr kann so ein Kind es schaffen, das zu ueberleben. Sie bildeten damals dann ausserordentlich herzlose Rotten.

Mit dem naechsten Sommer wendete man sich den Baeumen zu, kochte Blaetter, denn gruene Kraeuter waren sofort aufgegessen, so wie sie aus der Erde schauten, doch vertragen nicht mal Kuehe Laub-Suppe, es sei denn, man gibt Natron hinein, wussten die unter uns, die mal Bauern waren. Natron gab es aber nicht. Es waere mit Lindenblaettern vielleicht noch gegangen, aber wir kriegten nicht raus, wie man es machen muss, sie wurden glibberig und schleimig im Kochtopf. Man haette sie vorher trocken-roesten muessen, bis sie braun sind. Natuerlich blaehen sie dann auch noch sehr.
Gewuerze wie Kuemmel, die das lindern konnten, wuchsen ja nicht in unserer Stadt. Geschaefte gab es ja fuer uns Gefangene nicht, denn es gab ja sowieso kein Geld. Fuer einen Gelegenheitsjob gab es Brotkarten und eventuell auch Bezugscheine fuer sowas wie Obst und Gemuese, aber wenn, ueberhaupt, dann gab es nur das Brot.
Das erforderte mehrere gestempelte Bewilligungen, die Stempel holte man an ganz verschiedenen Enden der Stadt zusammen. Nach den letzten Stempel war es gefaehrlich, da wurde man am Bahndamm von Hungrigen abgefangen und erschlagen.

"Nur" weil wir Hunger hatten, haettest Du natuerlich nach dem wie Du redest, dich schwerstens empoert, als uns im Juli 1945 ein Pferdebein von einem ukrain.Koch geschenkt wurde. 19 Frauen und Kinder teilten es sich gut ein und assen 2 Wochen daran.
Es mag Dich ja beruhigen: Dies war bis Juli 1947 das letzte Fleisch, das wir bekamen.

Im zweiten Jahr war schon kaum noch was Brennbares zu finden. Die von Rinden abgeraspelten Baeume waren auch schon verheizt, als der Winter so kalt war, und wir waren zwar nur noch die Haelfte, die noch lebten, aber was da wuchs, war ja auch weniger. Eventuelle Fruechte waren schon unreif gegessen worden, also kamen immer mehr an dem erwartbaren Durchfall um. Irgendwie kamen wir auch da noch an etwas Essbares, hatten uns etwas auf dieser "Kulturstufe" eingerichtet, dann wurde ich krank und musste in Quarantaene, da verhungerte ich restlich, nur eine Blutspende und je 1 Klio geklautes Milch-und-Eipulver, Traubenzucker und Weizenmehl retteten mich, fingerhutweise gegeben.

Dann kam schon noch so ein Winter. Wir fanden eine holzgepflasterte Strasse, damit kochten und waermten wir uns
- man bewegte sich ganz vorsichtig, um sich nicht zu erschoepfen, vermied es, sich anzustrengen. Alle Frauen trugen "Turbans", weil den meisten die Haare ausgefallen waren. Auch die Zaehne fielen aus, und ohne Zaehne war das Vegetarische kaum noch kaubar. Glieder faulten ab mangels Vitamin C. Kalium fehlte, da konnnten manche nichts mehr bewegen. Nervenschmerzen kamen hinzu wegen Mangel an Vit.B.

Hunger, das ist etwas Wirkliches.
Ich jedenfalls begreife, dass es in unserer Religion deshalb erlaubt ist, auch Tiere zu essen. Sie gebietet zugleich, dass wir sie nicht verachten oder darueber hinaus plagen duerfen, weil wir ein Leben lang auch Lebewesen sind.

Man hat ja auch die andere Nahrung vermehrt und verbessert.
Doch man kann eine grosse Menge Menschen nicht so einfach vergan ernaehren. Wir gehen nicht davon aus, dass der erleuchtete Mensch in so einer Situation ja gefasst und cool dieses Leben dahingehen lassen kann, weil er ja gleich danach nochmal ein Leben woanders beginnen koennte.

In einer reichen Zeit mit allem Angebot, da kann ja jeder waehlen, was er isst. Unser Tag war aber muehsam und hart, schon allein wegen der staendig weiter noetigen Essensbeschaffung und -zubereitung.

Wir haetten hinterher nie gepriesen, dass es doch moeglich war, so zu ueberleben, ohne ein Lebewesen zu schlachten.
mG WiT
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Moderne Sklaven - von Mont_Blanc - 18-01-2007, 01:21
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