24-08-2020, 10:37
(22-08-2020, 21:52)Ulan schrieb: @Sinai: Nein, das ist - ohne die Polemik - die in den Geschichtswissenschaften vertretene Version. Serbien trug an dem Attentat keine Schuld. Dass Oesterreich das als Kriegsgrund hernahm, war reine Willkuer.
Ja, das war reine Willkür, der österreiche Botschafter hatte Order, den Serben auf jeden Fall den Krieg anzukündigen und die Diplomatie abzubrechen.
Interessant ist aber auch ein Blick in die Originaldokumente inzwischen geöffneter Archive. Auch wenn man (ich) die Sütterlin-Schrift kaum lesen kann, offenbart sich zur Rolle Serbiens und der Attentäter (plural) folgendes:
Die Besichtigungsroute war publiziert worden, um möglichst viele "Jubler" an die Fahrtstrecke des Konvois in Sarajevo zu locken. So wußten auch die 10 potentiellen Attentäter genau Bescheid. Es waren Serben. Sie waren alle in Belgrad (!) ausgebildet und mit serbischen Waffen ausgestattet und über die Grenze geschmuggelt worden.
Morgens wurde bei langsamer Fahrt von einem anderen der Attentäter bereits eine Handgranate auf den Thronfolger-Wagen geworfen. Diese wurde von Franz Ferdinand noch mit dem Arm abgewehrt. Die üblicherweise begleitende Leibwache war am Bahnhof "vergessen" worden. Sie "bewachten" dort den Damenschmuck in Kisten statt den designierten Kaiser im Wagen. Thronfolger und sein "Sopherl" reisten also im Hexenkessel praktisch schutzlos. Die Bombe explodierte, der folgende Wagen wurde getroffen, ein Insasse verletzt. Der Attentäter nahm die allen Terroristen gegebene Zyankali-Flasche. Die wirkte aber nicht (mehr), weil das Verfallsdatum längst abgelaufen war. Er erbrach sich nur und wurde festgenommen.
Der Kronprinz, selbst offenbar kein Beispiel großer Weitsicht und Intelligenz, änderte die Nachmittagsroute, um den Verletzten im Krankenhaus (wieder schutzlos!) zu besuchen. Der offene Wagen kam gemütlich an dem Cafe vorbei, vor dem der Attentäter mit seiner Pistole aus serbischen Armeebeständen wartete. Weil sich der Wagen an der Kreuzung verfuhr, mußte er langsam wenden. Dies nutzte der, um in aller Gemütsruhe den ersten Schuß - angeblich versehentlich - auf seine Frau Sophie (die innerlich im Wagen verblutete) und auf den Kopf des Kronprinzen abzufeuern, dessen Halsschlagader verletzt wurde. Er verblutete ebenfalls.
Das Ganze ist angesichts der Balkankrise Dilletatantismus hoch drei gewesen. Die serbischen Sicherheitsvorkehrungen waren völlig unzureichend. Bewußt? Die eigenen k.u.k. Sicherheitsvorkehrungen im Begleittroß noch schlimmer - vergessen sogar ihre eigene Schutztruppe am Bahnhof. Das ist dassselbe, als würde man Trump heute ohne CIA/FBI nach Pjöngjang in Nordkorea schicken.
Eigentlich sollte nur eine Strafaktion gegen Serbien in einem lokalen Krieg folgen. Daraus wurde durch die bekannten Bündnisverpflichtungen dann der erste Weltkrieg, den wohl niemend, nicht mal die Militärs angesichts dere "modernen" Waffentechnik und großen Mobilität der Truppen absehen konnte. Eine neue Art der alles vernichtenden Kriegsführung war geboren.
Man war in diese Auseinandersetzung hinein getaumelt, und auch Deutschland in seiner überheblichen Art nahm durch das Überrollen des neutralen Belgiens eine Kriegslawine in Kauf. Schuld hatten sie, wenn man so will, alle. Die "schwarze Hand" Serbiens läßt sich dabei aber auch nicht weiß waschen. Es war ein Mord aus übergeordnetem regionalpolitischem Kalkül. Franz Ferdinand war das falsche Opfer, er gehörrte zu den Tauben in der k-u.k-Monarchie.
Alle volljährigen Attentäter wurden übrigens in einem Prozess im Herbst 1914 gehängt, der minderjährige Pistolenschütze starb am Knochen TBC im Gefängnis. Wenn man so will, gehen 10 Millionen Kriegstote auf ihr Konto.
MfG
