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Rechtsgrundlage für Christenverfolgung
#2
Herzlich willkommen im Forum!

Na ja, zu all den Fragen haben wir ja nur die Briefe des Paulus und die Apostelgeschichte zur Grundlage.

Eins ist sicher: den juedischen Autoritaeten war nicht erlaubt, Todesstrafen zu vollstrecken; das durften im genannten Zeitraum nur die roemischen Autoritaeten. In dem einen Fall, als in einer Zeit gerade kein roemischer Statthalter in Judaea war, der Sanhedrin laut Josephus diese Regel uebertrat, kam es anschliessend zur Disziplinierung des Sanhedrins.

Ganz allgemein wuerde ich anmerken wollen, dass, obwohl der Apostelgeschichte in der neuesten Forschung wieder mal etwas mehr Historizitaet zugebilligt wird als noch vor ein paar Jahrzehnten, geht dies doch nicht soweit, dass ihr jetzt Richtigkeit im Detail zugebilligt wird. Der Autor verarbeitete Geschichten aus vielen Quellen, und manchmal zeigt sich halt deutlich seine eigene Sicht auf die Dinge.

Wenn wir auf die Paulus-Briefe schauen, so sagt Paulus zwar mehrfach von sich selbst, er haette die Kirche (von Individuen ist keine Rede) aufs Auesserste verfolgt, doch steht da nichts von Todesstrafen. Was er unter Verfolgung versteht, sieht man ja an anderen Stellen, wo er selbst der Verfolgte ist. Fuenfmal wurde er nach eigenen Angaben zu den 39 Schlaegen verurteilt; das war eine typische Synagogenstrafe, die eine juedische Gemeinschaft in Glaubensvergehen legal verhaengen konnte. Mehrmals landete er im Gefaengnis, was auch eine lokal verhaengbare Disziplinarmassnahme war in Dingen, die nicht durch juedisches Gesetz erfasst wurde, z.B. die Erregung oeffentlichen Aergernisses. Paulus fand sich aber auch hin und wieder als Opfer von Mob-Justiz, also Schlaegen durch aufgebrachte Leute, einmal sogar durch eine versuchte Steinigung. Da er davon weglaufen konnte, war das wohl kaum eine offizielle Angelegenheit.

Der Apostelgeschichte gegenueber waere ich wiederum sehr vorsichtig. Sie ist es, die Paulus das roemische Buergerrecht zubilligt, aber warum benutzt er es dann nie, ausser an der einen Stelle in der Apg, wo es um seinen finalen Prozess geht? In seinen Briefen erwaehnt er es jedenfalls nicht, und auch dort benutzt er dieses angebliche Buergerrecht nie, um sich diesen banalen Strafen zu entziehen, was fuer ihn eigentlich ein Leichtes gewesen sein muesste. Andererseits impliziert die Apostelgeschichte indirekt, dass Paulus Mitglied des Sanhedrins war, weil sie behauptet, dass er fuer die Todesstrafe von Christen gestimmt haette, was eine Sanhedrin-Entscheidung waere. Was war er nun? Roemischer Buerger? Sanhedrin-Mitglied? Mitglied des herodischen Haushalts war er anscheinend auch noch. Also, ich wuerde da von einer netten Sammlung von Geschichtchen sprechen wollen. Das Vorgehen des Paulus, der Christen durch Schlaege dazu bringen wollte, Blasphemie zu begehen, damit er sie zum Tode verurteilen konnte, wie die Apg es schildert, muss man durch die entsprechende Brille sehen. Hier werden eventuell seine Taten uebertrieben, um seine spaetere Wandlung umso glorreicher erscheinen zu lassen.

Die Stephanus-Rede wird allgemein als Erfindung des Autors der Apostelgeschichte gesehen (Lukas wird meist als dieser genannt). Der Prozess ist eine Kopie des Jesus-Prozesses und wohl in dieser Form unhistorisch. Es gibt durchaus Hypothesen, dass diese ganze Geschichte ein literarischer Kniff ist, zu erklaeren, wie sich das Christentum ueber die ganze Region verbreitete. Rein persoenlich finde ich uebrigens bemerkenswert, dass der Aufhaenger der Stephanus-Geschichte eigentlich eine innerchristliche Auseinandersetztung ist. Ich wuerde es nicht ausschliessen wollen, dass da die Schuld fuer den Ausgang einfach auf den Sanhedrin verschoben wurde, um die Kirche nicht ins schlechte Licht zu ruecken, falls da tatsaechlich ein historischer Kern in der Geschichte stecken wuerde.

Falls Englisch kein Hindernis ist, gibt es auf JSTOR einen Artikel, den man nach einfacher Anmeldung frei lesen kann (ich glaube, man kann 6 aeltere Artikel pro Halbjahr frei lesen): *https://www.jstor.org/stable/3265475?seq=1#page_scan_tab_contents
Die meisten Zitate sind von deutschen Autoren, aber da faellt mir gerade kein frei einsehbarer Text ein.
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Nachrichten in diesem Thema
Rechtsgrundlage für Christenverfolgung - von Kain - 07-09-2018, 23:55
RE: Rechtsgrundlage für Christenverfolgung - von Ulan - 08-09-2018, 14:18

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