(14-07-2018, 18:53)Sonnenblume schrieb: Hallo Ulan,
ich mache dir keinen Vorwurf über das, was Du alles über die Bibel sagst. Du hast hier ja auch gut erklärt, wie Du dazu gekommen bist. Bei all Deinem Interesse für Religion und theologische Fachliteratur musst Du doch in Erfahrung gebracht haben, dass die Bibel, aufgrund ihres Alters, ihrer Verbreitung, der Anzahl der Sprachen, in die sie übersetzt worden ist, ihres hohen Wertes als literarisches Meisterwerk und wegen ihrer überragenden Bedeutung für die ganze Menschheit, das großartigste Buch aller Zeiten ist. Auch zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie heftigere Kontroversen überdauert hat als jedes andere Buch.
Von den Superlativen abgesehen, findet sich in dem Buch sicherlich viel Material darueber, wie Menschen ueber die Zeiten sich selbst, ihre Gesellschaft und ihre Beziehung zu einem goettlichen Wesen sahen. Als solches schaetze ich dieses Buch halt auch. Auch wenn die Geschichten, die darin stehen, oft genug gar nichts mit Geschichte zu tun haben, sind sie auf alle Faelle ein einzigartiges Element der Kulturgeschichte.
(14-07-2018, 18:53)Sonnenblume schrieb: Kein anderes Buch beanspruchte soviel Zeit zu seiner Fertigstellung wie die Bibel. Im Jahre 1513 v. u. Z. begann Moses mit der Niederschrift. Bis einige Zeit nach dem Jahre 443 v. u. Z., als Nehemia und Maleachi ihre Bücher vollendeten, wurden den inspirierten Schriften andere heilige Schriften hinzugefügt. Dann folgte eine Kluft von fast 500 Jahren, bis der Apostel Matthäus seinen Geschichtsbericht niederschrieb.
Wie ich geschrieben habe, sieht die heutige Theologie das anders. Das 1. Buch Mose stammt also nicht von 1513 v.u.Z., sondern aus der Zeit, als Jerusalem ein kleiner Ort von etwa 1500 Einwohnern in der persischen Provinz Yehud Medinata war, also 6.-4. Jhdt. vor Christus. Es gibt nur einige wenige alte Textstuecke im Pentateuch, so z.B. das Lied am Schilfmeer (Exodus 15:1-8), das noch in kanaanitischer Schrift geschrieben wurde und eines der wenigen, kurzen vormonarchischen Zeugnisse im AT ist. Der juengste Text des Alten Testaments, der es in den juedischen Kanon geschafft hat , ist das Buch Daniel, und das wurde zwischen 167 und 164 v.Chr. geschrieben. Das Buch Jona und die Klagelieder Jeremias sind auch aus dem 2. Jhdt. v. Chr. Die Reihenfolge der Buecher im AT hat uebrigens nichts mit ihrem Alter zu tun. Ansonsten sind die aeltesten Textteile Hofliteratur aus der Koenigszeit, aber die meisten Buecher des AT wurden noch mindestens bis in die hellenistische Zeit umgeschrieben.
(14-07-2018, 18:53)Sonnenblume schrieb: Nahezu 60 Jahre später schrieb Johannes, der letzte der Apostel, sein Evangelium und drei Briefe und schloß damit den Bibelkanon ab.
Die juengsten Texte im Neuen Testament sind Briefe wie 2 Petrus, der wohl irgendwann zwischen 100-160 n.Chr. geschrieben wurde. Das Evangelium des Matthaeus wird meist zwischen 80-100 datiert. Als aeltester Text des NT gilt der 1. Brief an die Thessalonicher (50-60)
(14-07-2018, 18:53)Sonnenblume schrieb: Es vergingen somit rund 1 610 Jahre bis zur Vollendung der Bibel. Alle ihre Schreiber waren Hebräer und gehörten daher zu dem Volk, dem "die heiligen Aussprüche Gottes anvertraut" wurden (Rö 3:2).
Waren sie das? Woher wissen wir das? Zumal alle Buecher des Neuen Testaments im Original in Griechisch verfasst wurden.
(14-07-2018, 18:53)Sonnenblume schrieb: Das alles macht die Bibel zu einem besonderen Buch und in ihr lesen wir, in fast allen 66 Büchern, dass ihr Autor unser Schöpfer ist, der sich menschlicher "Sekretäre" bediente. Wieso sollte das nicht stimmen?
Da hast Du halt eine andere Auffassung von "Autor". Wenn Gott der Autor waere, dann hat er aber grosse Schwierigkeiten, seine Gedanken zu ordnen, so viele Widersprueche, wie die Texte sie enthalten. Ich denke, man sollte gedanklich erst gar nicht in solche Richtungen gehen. Ich weiss gar nicht, aber ich fand immer, dass, wenn es einen Gott gibt, er eigentlich beleidigt sein muesste, wenn jemand behauptet, er waere der Autor.
(14-07-2018, 18:53)Sonnenblume schrieb: Immerhin vermittelt die Bibel Einblicke in die Vergangenheit, erklärt die Gegenwart und sagt die Zukunft vorher. Dieser Aufschluß kann nur von demjenigen stammen, der von Anfang an das Ende kennt:
Zitat:"Noch bevor etwas seinen Anfang nimmt, weiß ich, wie es ausgeht; ich allein kündige an, was in der fernen Zukunft geschieht. Meine Pläne verwirkliche ich, und was mir gefällt, das führe ich aus." (Jes.46:10)
Oder es war halt ein Mensch mit viel Fantasie. Ich sage das nur, weil so eine Argumentation eine logische Falle ist. Der Text ist wahr, weil er wahr ist. Das ist kein Argument. Wo Du Recht hast, ist, dass die Bibel uns halt sehr viel ueber Menschen verraet. Deshalb ist sie ja so ein faszinierendes Buch.
(14-07-2018, 18:53)Sonnenblume schrieb: Welches Motiv sollten 40 Personen haben über ein und daselbe Thema zu schreiben?
Es ist der ewig menschliche Traum des Niedergetretenen, einmal selbst an die Macht zu kommen oder zumindest Gerechtigkeit zu finden. Die Zeit der Koenige David und Salomo werden in der Bibel als das goldene Zeitalter verherrlicht, und all diese Autoren traeumen davon, diesen Zustand wiederherzustellen. Zuerst wurde es ein politischer Traum, und als der Anfang des 2. Jahrhunderts endgueltig zerbrach, wurde die Idee ins Transzendente verschoben. Daran ist also gar nichts besonders Mystisches.
(14-07-2018, 18:53)Sonnenblume schrieb: Da die Bibel in einem Zeitraum von ca.1600 Jahren geschrieben wurde, ist klar, dass der erste Schreiber, Moses, den Apostel Johannes nicht persönlich kannte. Wie erkllärst Du Dir, dass es Johannes war, der uns die Bedeutung von Moses Prophezeiung aus 1.Mo3:15, darlegen konnte?
Den ersten Schreiber gab es nicht (jedenfalls nicht als Schreiber), und die politische Situation war in persischer Zeit, oder meinetwegen auch der Zeit der babylonischen Gefangenschaft (dem Zeitraum, als die Tora verfasst wurde) und zur Zeit der Verbannung auf die Insel Patmos, identisch: die der totalen politischen Demuetigung. In solchen Situationen geben Leute ihren Hoffnungen halt manchmal literarische Form, und da gibt es in aehnlichen Situationen halt auch aehnliche Themen.