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Fragen zur Erlösung durch Jesus
#80
(23-05-2017, 14:22)Jutta schrieb: Heute glaube ich, dass die Menschen einen Jesus als Erlöser brauchen, weil sie selbst nicht verstehen können, oder auch wollen, dass sie selbst Ursache und Wirkung zugleich sind, und kein höheres Wesen brauchen, außer vielleicht als eine Art "Vorbild".

Ein paar grundsätzliche Überlegungen zum Thema ´Schuld´

Religiöse Konstrukte und Rituale sind weitgehend die äußerliche Objektivierung der verdrängten kulturstiftenden Ur-Schuld.

(1)
Das systematische Töten von Tieren war die Basis der Entstehung sozialer Gemeinschaft im Paläolithikum.

(2)
Das systematische Töten von Menschen (bei Eroberungskriegen) war die Basis der Entstehung der patriarchalischen Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten.

Dass sich aus 1) ein Schuldgefühl entwickelt hat, das sich in steinzeitlichen Opfer-Ritualen niederschlug, ist die Theorie der Paläontologie. Dass sich aus 2) ein Schuldgefühl entwickelt hat, das sich in theologisch-dämonologischen Konstrukten in den Religionen der Hochkulturen niedergeschlagen hat; das ist meine eigene Theorie.

Man darf nicht vergessen, dass das Phänomen Krieg bzw. das systematische und ultrabrutale Abschlachten von Menschen erst in der vorderorientalischen Kupfersteinzeit aufkam (spätestens um 3.500 BCE), als das Königtum sich zu entwickeln begann, also die souveräne Macht eines Einzelnen (unter Mitarbeit seiner engsten Gefolgsleute) über ein Volk. Die immer bewusst grausam praktizierten Massenmorde an Exemplaren der eigenen Art (Mensch) mussten - meine ich - mindestens so viel Schuldgefühle auslösen wie die steinzeitliche Tötung von Tieren. Es ist nämlich nicht einzusehen, wieso der Mensch bei der Tiertötung ein erhebliches Maß an Schuld empfinden sollte und bei der Menschentötung nicht.

Wie bei den Paläolithikern wurde auch in den durch menschenmordende Kriege entstandenen Hochkulturen der Sumerer und Ägypter die Schuld verdrängt - sie objektivierte sich, wie gesagt, in Rituale und theologisch-dämonologische Konstrukte. Um der zunehmendenen Komplexität dieser Gesellschaften gerecht zu werden, mussten natürlich auch ihre Religionen ausdifferenziert werden. Die Grundthemen waren dabei 1) die Hierarchie in der Götterwelt im allgemeinen, 2) die Hierarchie zwischen Göttern und Göttinnen im besondern und 3) die Beziehung zwischen Götterwelt und den Menschen.

Die verdrängte Ur-Schuld des Menschenmordens wurde in diesen Systemen in eine Vielfalt von Einzelmotiven transformiert, die ihre Herkunft meistens nicht mehr erkennen lassen, die sich aber alle aus der der gemeinsamen "Schuld"-Quelle speisen (eben jene Ur-Schuld).

Nicht aber das Unbewusste des einzelnen Menschen ist Träger dieser Ur-Schuld bzw. des entsprechenden Schuldgefühls, der Träger sind vielmehr die Rituale und theol.-dämon. Konstrukte. Indem sie jeder Generation und damit jedem Einzelmenschen per Sozialisation vermittelt werden, gerät die Ur-Schuld / Ur-Schuldgefühl in das Unbewusste der Menschen, aber in ihrer kulturell transformierten Gestalt. Der ursprüngliche Kontext der Schuld bleibt unbewusst, d.h. der Mensch fühlt sich nicht "schuldig", weil er Mitglied einer Kultur ist, deren Existenz auf grausamen Massenmorden basiert, sondern weil er gegen irgendwelche vermeintlich "göttlichen" Gesetze verstößt, welche sich die priesterlichen Ideologen und Mythenschreiber ausgedacht haben, um die Herrschaftsansprüche ihrer Könige zu legitimieren.

Das Paradox besteht darin, dass die Könige, d.h. die kriegerischen Verursacher der Ur-Schuld, zugleich jene sind, die dem Volk gegenüber als Statthalter einer Gottheit auftreten, gegen deren Gesetze zu verstoßen im religiös sozialisierten Menschen Schuldgefühle auslöst. Der Spieß wird also umgekehrt: Der eigentliche Schuldige (der König) ist Statthalter jener Instanz, die über die Schuld der Menschen richtet. Auf diesem dialektischen Trick beruht die psychologische Macht der theistischen Religionen und die politische Macht der mit ihnen verbandelten Könige. In Ägypten z.B. galt der Pharao nicht nur als Verkörperung des Gottes Horus, sondern auch als Verwirklicher der kosmischen Ordnung (ma´at). Wer gegen diese ma´at verstößt, hat Schuld auf sich geladen. Ähnliche Konstrukte findet man im Judentum (das Gesetz) und im Christentum (Ordo bzw. Oeconomia salutis).

Interessant ist in diesem Zusammenhang das Phänomen des altorientalischen Königsopfers, ein Ritual, das in vor-schriftlicher Zeit zunächst die tatsächliche rituelle Opferung eines Königs beinhaltete und später, weil die mit immer mehr Macht ausgestatteten Könige dann doch zu sehr am Leben hingen, in der Opferung eines "Ersatz-Königs" bestand. Ich sehe in diesem Ritual eine Form der Wiederkehr des Verdrängten in dem Sinn, dass die verdrängte Ur-Schuld sich gegen ihren Verursacher wendet, statt gegen das durch Schuldgefühle manipulierte Volk.

Ein Beispiel:

(J.G. Frazer, The Golden Bough, 664)

Zitat:According to the historian Berosus, who as a Babylonian priest spoke with ample knowledge, there was annually celebrated in Babylon a festival called the Sacaea. It began on the sixteenth day of the month Lous, and lasted for five days, during which masters and servants changed places, the servants giving orders and the masters obeying them. A prisoner condemned to death was dressed in the king’s robes, seated on the king’s throne, allowed to issue whatever commands he pleased, to eat, drink, and enjoy himself, and to lie with the king’s concubines. But at the end of the five days he was stripped of his royal robes, scourged, and hanged or impaled (= gepfählt). During his brief term of office he bore the title of Zoganes.


Das war mehr als nur ein babylonischer Karnevalsscherz. Der Ersatzkönig (ein ´minderwertiger´ Häftling) bediente sich nämlich fünf Tage lang des königlichen Harems - normalerweise ein Mega-Tabu, das keiner brechen durfte.

Natürlich reiht sich die Jesus-Figur in die Tradition der geopferten Könige ein. Geopfert wurden Könige oder ihre symbolischen Vertreter, weil sie Verursacher der Ur-Schuld sind. Mit ihrem Opfer wird die oberste Gottheit "versöhnt". Ebenso "versöhnt" JC die Menschen mit dem Christengott. Allerdings ist er dabei nicht Träger einer Ur-Schuld, vielmehr "nimmt" er die Ur-Schuld in Form der Sündhaftigkeit aller Menschen "auf sich":

1 Joh 1,8:

Zitat:Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.

Das ist der Trick: Die Schuld der Untertanen gegenüber der höchsten Autorität (Gott) verdeckt die Ur-Schuld des menschlichen Königtums.


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