(24-06-2016, 22:30)Ekkard schrieb: In einer Union geht es um Teilhabe und Teilen, um Mitsprache und Mitarbeiten, kurz um allerlei Rechte und Pflichten. Wenn uns die EU "um die Ohren fliegt", dann deswegen, weil zu wenige Menschen Pflichten wollen. Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass der beschriebene Rechtsruck Ausdruck von grenzenloser Bequemlichkeit ist: Es geht uns doch gut, wozu "Brüssel" (also all die vielen Regeln und politischen Streitereien)?
Das stimmt zwar als Teilaspekt, und der grundsaetzlichen Idee stimme ich zu. Allerdings verkennt die Aussage meiner Ansicht nach vollkommen die Krise, in der die EU gerade steckt. Es geht eben nicht allen gut. Ganz im Gegenteil, immer mehr Menschen in Europa geht es ausgesprochen schlecht. Es sind zum guten Teil diese Leute, von denen die EU-Ablehnung kommt (natuerlich nicht nur). In Deutschland geht es noch, auch wenn dort im grossen Stil ein Proletariat herangezuechtet wird, das gerade so ueber die Runden kommt und wahrscheinlich nie eine ausreichende Rente sehen wird. In Spanien sind immer noch 20% arbeitslos, bei unter 25-jaehrigen gar 45%. Im ganzen Mittelmeer-Raum der EU waechst eine verlorene Generation heran.
Da kann man natuerlich damit argumentieren, dass Arbeitslosigkeit weniger schlimm ist als Lebensgefahr durch Krieg (wobei man allerdings nicht vergessen sollte, dass einige EU-Laender keine Sozialhilfe kennen und Langzeitsarbeitslose gar nichts bekommen). Wichtig ist hier aber dieser Aspekt: waehrend das Fluechtlingselend die Politik beherrscht, kuemmert die zunehmende, wirklich schlimme Armut in Europa, salopp gesagt, kein Schwein. Selbst linke Parteien scheinen diese Klientel vergessen zu haben. Und die Leute fuehlen sich vergessen.
Dieser Apparat aus 28 Staaten hat sich in eine Ecke manoevriert, in der er kaum noch handlungsfaehig ist. Irgendetwas muesste mit dem Euro passieren, also entweder Abwickeln oder eine gemeinschaftliche Wirtschafts- und Steuerpolitik. Fuer Letzteres haben die Politiker zu lange gewartet, so dass sich dafuer niemand mehr bereit finden wird. Da bleibt nur noch Abwickeln. Allerdings erlaubt das der EU-Vertrag nicht. Er muesste neu verhandelt werden, und alle 28 muessten zustimmen. Als Resultat passiert nichts, ausser Negativzinsen (wegen der Staatsverschuldungen), die den Banken die Lebensgrundlage entziehen. Mal sehen, wann wir die mal wieder retten muessen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Italien, das absolut null Chancen hat, aus seiner derzeitigen Wirtschafts- und Schuldenmisere herauszukommen, so lange es den Euro behaelt, hier sehr bald die Reissleine ziehen wird. Was uebrigens, laut EU-Vertrag, den automatischen EU-Austritt nach sich zieht. Die Chancen, dass so etwas passiert, bevor die Briten aus der EU raus sind, stehen gar nicht so schlecht. Das waere dann aber ein wirkliches Problem, gerade fuer Deutschland.