(15-01-2014, 01:19)Harpya schrieb: Die Traktate der Mischna Zeit sind aber eigenständige Textsammlungen
einer mündlichen Tradition ab ca. 70 n.C.
So stimmt das nicht und wird auch nicht vom talmudischen Judentum so gesehen.
Laut Ansicht des talmudischen Judentums erhielt Moses am Berg zwei Gesetze: das geschriebene Gesetz und das mündliche Gesetz.
Doch auch dieses "mündliche Gesetz" wurde verschriftet !
Zur Zeit Jesu lag es bereits längst in Schriftform vor. Siehe auch die erwähnten "Schriftgelehrten".
Der ganze Streit zwischen Pharisäern und Sadduzäern zur Zeit Jesu beruhte darauf, daß die Sadduzäer nicht die (verschrifteten) "mündlichen" Lehren der Pharisäer anerkannten.
Zur Zeit Jesu waren das einfache teils uralte Niederschriften, in denen die pharisäischen Gelehrten die Auslegungen ihrer Lehrer festhielten und an nächste Generationen weitergaben. Ein nichtsystematisiertes Sammelsurium von teilweise sehr wertvollen theologischen Gedanken, zahllose Pergamentblätter und Rollen. Bereits damals gab es unterschiedliche Richtungen, siehe die unterschiedlichen "Schulen" von Hillel und Schammai.
Hillel und Schammai lehrten vor der Zeit Jesu, und von ihnen findet sich viel Material. Man weiß heute genau, was sie gesagt haben. Da muß es inoffizielle Niederschriften gegeben haben.
Als im Jahre 70 die Juden erkannten, daß es in absehbarer Zeit kein jüdisches Geistesleben in ihrer Hauptstadt Jerusalem geben wird, begannen die Gelehrten unter den Pharisäern, dieses längst verschriftete (ehemals) "mündliche Gesetz" wissenschaftlich zu sichten, zu ordnen, zu systematisieren, zu kanonisieren, in Auslegungsschulen zu klassifizieren. Der "Talmud" entstand.