02-12-2012, 14:35
(02-12-2012, 11:32)schmalhans schrieb: Sorry, aber das hört sich an wie: Du hast alles falsch gemacht und wurdest deshalb mit einer Krankheit bestraft... Das ist die Lehre Jesu?
Das wird von streng-christlichen Kreise oft behauptet, ist aber falsch. Genau genommen sagt Jesus nur an einer einzigen Stelle im Johannes-Evangelium etwas, das man mit ein bisschen Mühe entsprechend hin-interpretieren kann. Dieselbe Stelle wird aber auch von manchen Leuten so ausgelegt, dass Jesus und seine Jünger an Seelenwanderung geglaubt hätten. Für den konkreten Fall in dieser Episode lehnt Jesus aber beide Erklärungen ab. Der Betroffene ist angeblich nur seit Jahrzehnten blind, damit er an ihm (durch Heilung) die Macht Gottes zeigen kann.
Das Johannes-Evangelium widerspricht an dieser Stelle, wie an vielen anderen auch, den übrigen drei Evangelien. Hier wirkt Jesus zum Beispiel nur wenige Wunder und die hauptsächlich zu Demonstrationszwecken. In den anderen Evangelien dagegen heilt er ständig irgendwelche Leute, wenn sie oder ihre Angehörigen ihn darum bitten, will aber nicht, dass es jemand mitbekommt.
Sonst ist in den Evangelien nirgendwo (auch nicht bei Johannes) von Seelenwanderung oder Krankheit als Strafe die Rede. Es sieht sogar so aus, als ob Jesus die Theorie, Unglück wäre Strafe für Sünde, ablehnt. Bei einer Heilung am Sabbat spricht er ausdrücklich davon, dass der Satan (also sein Feind) an der Krankheit schuld wäre. Die unzähligen bösen Geister, die viele Krankheiten verursachen sollen, gelten ebenfalls als Diener des Satans. Davon abgesehen behauptet Jesus mehrmals, dass Gott Glück und Unglück im Leben geschehen lässt, ohne dass man dadurch sagen könne, ob der Betroffene gut oder böse war. Genauer: wenn jemandem ein Unglück widerfährt, sollen die Leute nicht denken, dieser Jemand wäre schlechter als der Normalbürger. Wenn du möchtest, kann ich dir entsprechende Stellen heraussuchen.
(02-12-2012, 11:32)schmalhans schrieb: Was du mit dem zweiten Teil meinst, ist mir total schleierhaft. Was denn für eine positive Begegnung? Hatte man auch negative Begegnungen mit Jesus, die das Selbstvertrauen runterziehen?
Negative Begegnungen hatten sicher die Pharisäer und Schriftgelehrten, die ständig pauschal von Jesus beschimpft werden (ein paar Ausnahmen gibt es aber auch). Ansonsten wüsste ich von keinen negativen Begegnungen bis auf die merkwürdige "Tempelreinigung", bei der sich Jesus allerdings furchtbar daneben benimmt.
Ein Beispiel für positive Begegnungen: der Zöllner Zachäus (Luk 19, 10): Die Tatsache, dass der von allen so verehrte Jesus sich ausgerechnet ihn als Gastgeber aussucht, obwohl er weiß, dass Zachäus ein (von allen verachteter) Zolleinnehmer und damit Kollaborateur der Römer ist, bringt Zachäus so viel Selbstvertrauen, dass er seine Betrügereien wieder gutmacht und von sich aus auf die Leute, die ihn aufgrund seiner Tätigkeit verachten, zugeht.
Ähnlich ist die Geschichte mit der Samariterin am Brunnen (Joh 4, 5-29) zu verstehen, denn man kann davon ausgehen, dass eine Frau, die in wilder Ehe mit einem Mann zusammenlebte, sicher bei den Dorfbewohnern schief angesehen war. Trotzdem unterhielt Jesus sich ganz normal mit ihr, obwohl er ihr deutlich sagte, dass er über sie Bescheid wusste; und nach der Unterhaltung ging die Frau zu den Nachbarn, um auch ihnen die Möglichkeit zu geben, Jesus kennenzulernen.
Ob der Erfolg dieser positiven Begegnungen wirklich anhaltend war, ist natürlich eine andere Frage.

