04-10-2012, 10:38
(04-10-2012, 00:22)Richard Bastian schrieb: Nur zum Vergleich, die Überlieferer der Ahadith sind alle namentlich bekannt, ihre Familien, Herkunft, Wohnort, alles einfach. Ob sie jetzt die Wahrheit sagten ist ein anderes Thema, aber darum geht es hier jetzt nicht. Man weiß aber wer was gesagt hat, und keiner ist anonym, bei der Bibel sind es aber alle, alles anonyme Schreiber denen man später einen Namen zugeteilt hat.
Was nützt das? Auch die Überlieferer der Ahadith sind seit vielen Jahrhunderten tot. Selbst wenn man ihre Nachkommen finden und befragen würde, könnte man nicht mehr als Legenden erwarten - so wie bei jeder Familie, wenn man nach Ereignissen fragt, die Mitglieder betreffen, die niemand mehr persönlich kennt. Wenn du einen Nachfahren von Karl dem Großen nach diesem befragen würdest, könntest du auch nicht mehr als einen (vielleicht auch noch geschönten) Bericht erwarten, den dir jeder neutrale (da nicht-verwandte) Historiker sachlich fundierter erzählen könnte. Das ist einfach so!
(04-10-2012, 00:22)Richard Bastian schrieb: Was würdest Du sagen wenn ein "Herr Anonymus" der Polizei einen Zettel ins Fenster wirft wo draufsteht "Frau Lelinda hat mir 1000€ gestohlen", später nennt man ihn "Herr Müller" und Du wirst deswegen angeklagt und ins Gefängnis gesteckt?
Dann hätte ich das Recht auf einen anständigen Prozess, bei dem Herr Anonymus oder Herr Müller mehr Beweise als seinen Zettel vorlegen müsste. Und ich könnte Strafanzeige gegen Herrn Müller oder gegen Unbekannt wegen Verleumdung stellen.
Aber mit wem vergleichst du mich hier? Mit Jesus? Dem wurden von den Evangelisten keine Verbrechen unterstellt. Mit Kaiphas, der laut Evangelien an Jesu Kreuzigung Schuld war? Der war, als die Evangelien geschrieben wurden (immerhin frühestens 40 Jahre nach der Kreuzigung) wahrscheinlich schon tot und konnte bestimmt nicht mehr belangt werden.
(04-10-2012, 00:22)Richard Bastian schrieb: er war aber nicht beim Prozess dabei, es ist kein Name bekannt von dem Schreiber.
Ich habe doch schon öfter geschrieben, dass ich nicht alles für wahr halte, was in den Evangelien steht. Vielleicht gab es den Prozess vor dem Hohen Rat nicht einmal. Ein wichtiges Motiv der Evangelisten war schließlich, das Wohlwollen der Römer zu gewinnen, wohingegen die Juden (als zur Zeit der Niederschrift machtloses Volk und wahrscheinlich als Konkurrenten bei der Mission) ruhig schlecht wegkommen konnten. Das sieht man ja schon daran, dass die jüdischen Gelehrten schon vor dem Prozess negativ geschildert werden; aus harmlosen, normalen jüdischen Diskussionen zwischen Jesus und Pharisäern wurden Fangfragen gemacht usw. Dass aber wohl eher die Römer Jesus als Bedrohung angesehen haben könnten, der immerhin Widerstandskämpfer in seiner Truppe hatte und den Römern anscheinend auch mindestens einen Zolleinnehmer abspenstig machte, musste in den Hintergrund gerückt werden. Und so wurde aus Pilatus (der zur Zeit der Niederschrift auch schon keinen politischen Einfluss mehr hatte), der nachweislich keine Skrupel beim Umgang mit jüdischen Widerständlern hatte, eine Marionette des bösen Hohen Rats, dem man die Schuld an Jesu Tod zuschieben konnte. Mit entsprechend negativen Folgen für die Juden in den nächsten 2000 Jahren.

