(08-08-2012, 18:09)kaneís schrieb: Mich würde interessieren, wie man vorgeht, um überhaupt fähig zu sein, so einen Text zuordnen zu können (sprich: Wie genau kommt man eigentlich zu der Annahme, dass die Texte mit Sicherheit nicht von Augenzeugen stammen).
Die moderne kritische Theologie, wie sie an den meisten Universitäten - jedenfalls an den europäischen - gelehrt wird, bemüht sich anhand der vorliegenden Quellen, mittels moderner archäologischer, historischer und philologischer Methoden ein möglichst schlüssiges Bild der damals abgelaufenen Ereignisse zu zeichnen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen füllen ganze Bibliotheken. Was Autorenschaft und Datierung der meisten biblischen Texte betrifft, ist man sich weitgehend einig, es gibt aber auch gut begründete Minderheitsmeinung, die zum Teil erheblich von der Mehrheitsmeinung abweichen (zB Klaus Berger zum johanneischen Textbestand).
Die Texte, die in den Kanon aufgenommen wurden, geben einen Teil der Tradition wieder, wie sie damals im Umlauf gewesen war. Teilweise beanspruchen die Texte von einer angesehenen Person verfasst worden zu sein (zB die Petrusbriefe und die falschen Paulusbriefe) oder es wurden namenlose Texte später mit bekannten Namen versehen (zB Markus-, Matthäus- Lukasevangelium, etc.). Die Texte wurden durch die Tradition mit Namen versehen und durch "Zeugnisse" angesehener Personen bestärkt (zB wurde von Papias das Markusevangelium und durch Irenäus die Identität des Johannes mit dem im Evangelium vorgestellten "Jünger, den Jesus liebte", beglaubigt, beides ohne zu überzeugen).
Solche "Zeugnisse" wurden unkritisch weitertradiert. Erst im 19. Jh begannen Historiker und Theologen die Dinge zu hinterfragen.
Hier darzustellen, wie bei den verschiedenen Texten im Detail vorgegangen wurde und wird, um festzustellen, ob eine behauptete Autorenschaft plausibel ist, die Mehrheitsmeinungen vorzustellen und die Minderheitsmeinungen anzumerken, ginge, das gesamte NT betreffend, zu weit.
Solltest Du zu einzelnen Texten Fragen haben, beantworte ich sie gerne. Manche Fragen möglicherweise aber auch erst in guten drei Wochen. Ich bin derzeit nicht zuhause und habe dann erst wieder Zugriff auf meine Bibliothek.
Empfehlung:
Einen ausreichenden Überblick bietet eine gute Einleitung in das NT, zB jene von Udo Schnelle, ISBN 978-3-525-03246-6, Verl. Vandenhoeck & Ruprecht.
Sehr gute Auskunft zur gestellten Frage gibt auch Peter Pilhofer, Das NT und seine Welt, ISBN 978-3-16-150217-0, Verl. Mohr Siebeck.
MfG B.