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beschneidungsverbot, die dritte - wieviel pluralismus ist es, bitte?
#13
Ich habe mir gestattet, einen "Antwortbrief" auf den Beitrag von Hilal Sezgin zu schreiben.

Sehr geehrte Frau Sezgin,
um es gleich vorweg zu nehmen: ich bin atheistisch geboren oder besser gesagt - areligiös. Meine heutige Weltanschauung habe ich mir hart gegen mein Umfeld, meine Erziehung, gegen den Staat in dem ich geboren wurde erkämpft. Daher weiß ich – nichts ist unveränderlich.
In Ihrem Artikel rechnen Sie den einen Brauch gegen den anderen auf. Also Beschneidung gegen „Essen des Leichnams“, Kopftuch gegen den Verzehr von „toten Schweinebabies“. Was verstehen Sie eigentlich unter einem Brauch oder gar unter einer Tradition? Ihrem Artikel kann ich es nicht entnehmen. Ich komme Ihnen da gerne entgegen. Wikipedia definiert Tradition als „Weitergabe von Handlungsmustern, Überzeugungen und Glaubensvorstellungen u. a. oder das Weitergegebene selbst (z. B. Gepflogenheiten, Konventionen, Bräuche oder Sitten). Tradition geschieht innerhalb einer Gruppe oder zwischen Generationen und kann mündlich oder schriftlich über Erziehung, Vorbild oder spielerisches Nachahmen erfolgen. Die soziale Gruppe wird dadurch zur Kultur.“ Man kann diese Tradition aufnehmen – oder ablehnen. Will sagen – als Kind deutscher areligiöser Schweinebabyfresser kann ich mich auch entscheiden, Vegetarier zu werden. Wenn ich verständnisvolle Eltern habe, sogar schon im Alter von drei Jahren. Meine waren leider nicht so verstädnisvoll. Was meine Eltern aber taten – sie ließen mir die Religionsfreiheit, also die Freiheit, eine Relgion zu wählen (oder eben nicht). Ich hatte sogar eine Bibel und habe mit Menschen darüber diskutiert. Ich hatte auch mythologische Texte des alten Ägyptens und andere, die ich auch faszinierend fand.
Aber ich schweife vom Thema ab.
Sie haben Recht – das Christentum nimmt sich in diesem Land ungeheuer viele Freiheiten und Privilegien heraus. Sie wollen diese beschneiden (Sie entschuldigen das Wortspiel)? Ich bin dabei!
Aber nein – es geht Ihnen um die Riten. Riten sind Riten, sagen Sie, Sie wollen gepflegt werden. Prima, bin ich auch dabei. Was ich aber nicht nachvollziehen kann, ist folgender Satz „Man verleiht ihnen Sinn, indem man sie wiederholt ausführt.“ Ach – die Riten erhalten ihren Sinn, weil man sie wiederholt ausführt? Sie haben sonst keinen? Mir scheint eher, dass etwas, dass nur sinnvoll ist, weil ich es wiederhole, eine Strafe ist – etwa wenn ich in der Schule den Satz „Ich darf den Lehrer nicht ärgern“ in Schönschrift in mein Hausaufgabenheft schreiben musste.
Wie dem auch sei: Bräuche kommen – und sie gehen auch wieder. Manche halten sich hartnäckig, andere verschwinden recht schnell wieder. Manche allerdings verstoßen gegen das Gesetz. Das Schöne an pluralistischen Gesellschaften ist, dass man darüber diskutieren kann und Argumente Für und Wider austauscht. Möglicherweise findet man einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, möglicherweise einen Kompromiss. Möglicherweise streitet man weiter. Welche Religion wäre so tolerant, das auch zuzulassen? Meiner Erfahrung nach gibt es keine solche Toleranz, wenn Religionen auch die politische Macht haben.
Überrascht hat mich allerdings Ihr Vergleich von in Europa ansässigen Religionsgemeinschaften mit unbekannten Ethnien. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das den Männern gefällt, die ihren Frauen hübsche schwarze Kopfbedeckungen als Brauch verordnen. Was sie alle übrigens sehr pluralistisch aussehen lässt.
Wie Sie so schön bemerkten – Riten sind Riten. Und weil es eben nicht wirklich sinnstiftende Belanglosigkeiten sind, gehören Sie immer dann abgeschafft, wenn Sie das Individuum einschränken. Nur so können wir Pluralität gestalten. Oder – um auf die Tradition zurückzukommen: wo die Tradition zum sozialen Zwang wird und man sie nicht problemlos aufgeben kann, ist sie nicht mehr Kultur, sondern kulturlos.
Es gibt weder gut noch böse in der Natur, es gibt keine moralische Entgegensetzung, sondern es gibt eine ethische Differenz. (Gilles Deleuze)


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RE: beschneidungsverbot, die dritte - wieviel pluralismus ist es, bitte? - von schmalhans - 10-07-2012, 18:26

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