08-07-2012, 14:17
den aspekt der "körperverletzung", inkl. vergleichen mit schrumpfköpfen und kindsmord, in der debatte um das urteil des landgerichts köln haben wir ja weitestgehend abgehandelt. somit können wir auf einen aspekt übergehen, der hier sehr deutlich anklang:
die als skandal empfundene tatsache, daß bzw. wie eltern über ihre kinder bestimmen. dieses "bestimmen" faßt man üblicherweise unter dem begriff der "erziehung" zusammen, und die beinhaltet die vermittlung sozialer und kultureller normen. mittels vorbildwirkung, verbaler anweisung, ja auch zwangsmaßnahmen und natürlich stellvertretender entscheidung
für mich stellen sich hier drei fragen:
- auf welche aspekte darf sich erziehung beziehen?
- wer darf erzieherisch wirken?
- wie weit darf dabei der zwang gehen?
die argumentation der antireligiösen beschneidungsgegner stellt sich mir so dar:
- religion hat in der erziehung völlig ausgeklammert zu werden
- im zweifel hat der staat das primat über die eltern
- es darf keinesfalls zwang als körperliche maßnahme ausgeübt werden, aber auch weltanschauliche zuordnung stellt bereits eine unzulässige zwangsmaßnahme dar
vorweg: jede dieser fragen ist differenziert zu betrachten und es kann keine ja/nein-antworten geben. das graufeld zwischen ja und nein ist immer eine sache des kulturellen verständnisses, damit natürlich auch neben (herkunfts)traditionen dem so oft gescholtenen "zeitgeist" unterworfen. auf die frage nach einem pluralistischen gesellschaftsverständnis werde ich noch gesondert eingehen
zur ersten frage auf welche aspekte darf sich erziehung beziehen?":
meine antwort ist klar: auf alle. es ist gar nicht möglich, und wäre schon gar nicht wünschenswert, irgendetwas auszuklammern und das kind als "tumben toren" aufwachsen zu lassen, der erst im mündigen alter mit bestimmten aspekten konfrontiert wird und sich dann als völlig unbeschriebenes blatt mit ihm unbekannten verhältnissen ab- und sich in diesen zurechtfinden muß
es ist schlicht nicht möglich, z.b. religion völlig außen vor zu lassen, hier keinerlei vorbild zu geben. nicht vergessen darf man dabei ja auch, daß kinder natürlich nicht nur durch ihre eltern beeinflußt werden, sondern eben auch (mit zunehmendem alter in zunehmendem maße und und selbst zunehmend kritischer) einflüssen von außerhalb unterliegen (umwelt, gesellschaft, medien, nicht zuletzt bildungseinrichtungen) - und das ist ja auch gut so und gewollt
wenn nun also ein kind qua taufe, beschneidung (die ich, wie gesagt, nicht unbedingt als körperverletzung sehe - bitte diesen aspekt hier nicht mehr zu diskutieren, sondern meine meinung einfach mal stehen zu lassen) oder sonst einem initiationsritus schon als unmündiges "einer religionsgemeinschaft zugeordnet wird" - meine güte, was ist dann schon groß passiert?
mir hat der religionsunterricht nicht geschadet (im gegenteil würde ich es als mangel empfinden, mit diesem teil unser kultur nicht vertraut gemacht worden zu sein), und ich habe mich dann selbst dazu entschlossen, ihn abzuwählen und später aus der kirche auszutreten. für das individuum (die jeweilige religionsgemeinschaft mag das anders sehen) ist so eine zuordnung schon im kleinkindalter ja nichts unwiderrufliches
(ich rede von unserer gesellschaft hier und jetzt, nicht von irgendwelchen stammesgesellschaften, wo die apostasie ggf. mit dem tod bedroht wird)
zur zweiten frage wer darf erzieherisch wirken?:
zwangsläufig tun das alle - durch mehr oder weniger direkten einfluß. die eltern, der staat, die nachbarn, das fernsehen - "die gesellschaft". letztendlich aber stehen die eltern in der verantwortung, und sie haben daher auch das letzte wort
wenn nun also sohnemann jeden sonntag früh geweckt und in die kirche geschickt wird, so mag das (vielleicht außer ihm selbst) auch manch anderem nicht passen - es ist aber ok. z.b. dem staat die letztverantwortung zu übertragen, ist keine lösung. hat man doch durchaus schon erlebt, daß dann vielleicht auch jeden sonntag früh aufgestanden werden muß, aber um in uniform irgendwelche exerzierübungen usw. zu machen
zum schluß die dritte frage - wie weit darf dabei der zwang gehen?
zum glück hat sich das gesellschaftliche bewußtsein so weit entwickelt, daß heutzutage einigkeit darüber besteht, körperliche gewalt oder gar vorsätzliche mißhandlung sei als erziehungsmaßnahme nicht akzeptabel. das soll hier auch gar nicht erst zur diskussion gestellt werden
ohne zwang wirds aber nicht immer gehen - z.b. hausarrest oder fernsehverbot als sanktionsmaßnahme können imho durchaus angebracht sein, wie vielleicht auch die anmeldung in der musikschule, obwohl der sprößling lieber playstation als gitarre spielen würde. auch die schulpflicht ist ja letztlich eine riesige zwangsmaßnahme, der das kind unterworfen wird
ich persönlich sehe auch die eingliederung in eine religionsgemeinschaft (klar, daß ich keine gehirnwaschenden sekten meine) auf dieser ebene angeordnet und darin nichts verwerfliches oder das kind dauerhaft schädigendes
zusammengefaßt: wir alle müssen damit leben, daß verschiedene menschen verschiedene ansichten haben, verschiedene lebensentwürfe leben, und damit ihren kindern auch verschiedene werte vermitteln (wie erfolgreich sie dabei sind, steht wiederum auf einem ganz anderen blatt und ist vielen einflußfaktoren unterworfen). was nicht angeht, ist, von außen entscheiden zu wollen, welcher art diese werte im einzelnen sind - da hat es sich bewährt, dies den eltern zu überlassen und sie natürlich damit auch in die pflicht zu nehmen (siehe fdgo)
nachsatz zur "stellvertretenden entscheidung":
ein (klein)kind kann natürlich nicht selbst darüber entscheiden oder rechtsverbindlich einwilligen, ob es die mandeln herausgenommen, operativ die abstehenden ohren angelegt bekommen oder eben beschnitten werden soll. das müssen die eltern ebenso an seiner stelle tun wie auch in lebenserhaltende eingriffe einwilligen - oder am anderen ende der skala über waldkindergarten oder dreisprachige elite-kinderkrippe entscheiden
geht nicht anders - oder wollen wir diese entscheidungen den forumpostern übertragen?
die als skandal empfundene tatsache, daß bzw. wie eltern über ihre kinder bestimmen. dieses "bestimmen" faßt man üblicherweise unter dem begriff der "erziehung" zusammen, und die beinhaltet die vermittlung sozialer und kultureller normen. mittels vorbildwirkung, verbaler anweisung, ja auch zwangsmaßnahmen und natürlich stellvertretender entscheidung
für mich stellen sich hier drei fragen:
- auf welche aspekte darf sich erziehung beziehen?
- wer darf erzieherisch wirken?
- wie weit darf dabei der zwang gehen?
die argumentation der antireligiösen beschneidungsgegner stellt sich mir so dar:
- religion hat in der erziehung völlig ausgeklammert zu werden
- im zweifel hat der staat das primat über die eltern
- es darf keinesfalls zwang als körperliche maßnahme ausgeübt werden, aber auch weltanschauliche zuordnung stellt bereits eine unzulässige zwangsmaßnahme dar
vorweg: jede dieser fragen ist differenziert zu betrachten und es kann keine ja/nein-antworten geben. das graufeld zwischen ja und nein ist immer eine sache des kulturellen verständnisses, damit natürlich auch neben (herkunfts)traditionen dem so oft gescholtenen "zeitgeist" unterworfen. auf die frage nach einem pluralistischen gesellschaftsverständnis werde ich noch gesondert eingehen
zur ersten frage auf welche aspekte darf sich erziehung beziehen?":
meine antwort ist klar: auf alle. es ist gar nicht möglich, und wäre schon gar nicht wünschenswert, irgendetwas auszuklammern und das kind als "tumben toren" aufwachsen zu lassen, der erst im mündigen alter mit bestimmten aspekten konfrontiert wird und sich dann als völlig unbeschriebenes blatt mit ihm unbekannten verhältnissen ab- und sich in diesen zurechtfinden muß
es ist schlicht nicht möglich, z.b. religion völlig außen vor zu lassen, hier keinerlei vorbild zu geben. nicht vergessen darf man dabei ja auch, daß kinder natürlich nicht nur durch ihre eltern beeinflußt werden, sondern eben auch (mit zunehmendem alter in zunehmendem maße und und selbst zunehmend kritischer) einflüssen von außerhalb unterliegen (umwelt, gesellschaft, medien, nicht zuletzt bildungseinrichtungen) - und das ist ja auch gut so und gewollt
wenn nun also ein kind qua taufe, beschneidung (die ich, wie gesagt, nicht unbedingt als körperverletzung sehe - bitte diesen aspekt hier nicht mehr zu diskutieren, sondern meine meinung einfach mal stehen zu lassen) oder sonst einem initiationsritus schon als unmündiges "einer religionsgemeinschaft zugeordnet wird" - meine güte, was ist dann schon groß passiert?
mir hat der religionsunterricht nicht geschadet (im gegenteil würde ich es als mangel empfinden, mit diesem teil unser kultur nicht vertraut gemacht worden zu sein), und ich habe mich dann selbst dazu entschlossen, ihn abzuwählen und später aus der kirche auszutreten. für das individuum (die jeweilige religionsgemeinschaft mag das anders sehen) ist so eine zuordnung schon im kleinkindalter ja nichts unwiderrufliches
(ich rede von unserer gesellschaft hier und jetzt, nicht von irgendwelchen stammesgesellschaften, wo die apostasie ggf. mit dem tod bedroht wird)
zur zweiten frage wer darf erzieherisch wirken?:
zwangsläufig tun das alle - durch mehr oder weniger direkten einfluß. die eltern, der staat, die nachbarn, das fernsehen - "die gesellschaft". letztendlich aber stehen die eltern in der verantwortung, und sie haben daher auch das letzte wort
wenn nun also sohnemann jeden sonntag früh geweckt und in die kirche geschickt wird, so mag das (vielleicht außer ihm selbst) auch manch anderem nicht passen - es ist aber ok. z.b. dem staat die letztverantwortung zu übertragen, ist keine lösung. hat man doch durchaus schon erlebt, daß dann vielleicht auch jeden sonntag früh aufgestanden werden muß, aber um in uniform irgendwelche exerzierübungen usw. zu machen
zum schluß die dritte frage - wie weit darf dabei der zwang gehen?
zum glück hat sich das gesellschaftliche bewußtsein so weit entwickelt, daß heutzutage einigkeit darüber besteht, körperliche gewalt oder gar vorsätzliche mißhandlung sei als erziehungsmaßnahme nicht akzeptabel. das soll hier auch gar nicht erst zur diskussion gestellt werden
ohne zwang wirds aber nicht immer gehen - z.b. hausarrest oder fernsehverbot als sanktionsmaßnahme können imho durchaus angebracht sein, wie vielleicht auch die anmeldung in der musikschule, obwohl der sprößling lieber playstation als gitarre spielen würde. auch die schulpflicht ist ja letztlich eine riesige zwangsmaßnahme, der das kind unterworfen wird
ich persönlich sehe auch die eingliederung in eine religionsgemeinschaft (klar, daß ich keine gehirnwaschenden sekten meine) auf dieser ebene angeordnet und darin nichts verwerfliches oder das kind dauerhaft schädigendes
zusammengefaßt: wir alle müssen damit leben, daß verschiedene menschen verschiedene ansichten haben, verschiedene lebensentwürfe leben, und damit ihren kindern auch verschiedene werte vermitteln (wie erfolgreich sie dabei sind, steht wiederum auf einem ganz anderen blatt und ist vielen einflußfaktoren unterworfen). was nicht angeht, ist, von außen entscheiden zu wollen, welcher art diese werte im einzelnen sind - da hat es sich bewährt, dies den eltern zu überlassen und sie natürlich damit auch in die pflicht zu nehmen (siehe fdgo)
nachsatz zur "stellvertretenden entscheidung":
ein (klein)kind kann natürlich nicht selbst darüber entscheiden oder rechtsverbindlich einwilligen, ob es die mandeln herausgenommen, operativ die abstehenden ohren angelegt bekommen oder eben beschnitten werden soll. das müssen die eltern ebenso an seiner stelle tun wie auch in lebenserhaltende eingriffe einwilligen - oder am anderen ende der skala über waldkindergarten oder dreisprachige elite-kinderkrippe entscheiden
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einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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