14-02-2012, 10:44
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 14-02-2012, 10:47 von Unschlagbarer.)
Ich zitiere mal den User Rotschild aus politikforen.net, der einen sehr umfangreichen Beitrag dazu geschrieben hat:
Eine bayrische Schulleiterin darf sich erlauben, den Schulkindern ihrer Schule ganz normale Grußworte wie "Hi, Hallo oder Tschüs" zu verbieten und zu verlangen, dass sie ausschließlich "Grüß Gott!" sagen.
Zitat:Die Vermengung von Staat und Kirche läßt sich grob in drei Bereiche unterteilen:Eine kleine Ergänzung aus jüngster Zeit:
1. Die in Gesetzen ausgeführte Bezugnahme auf religiöse Inhalte und Weltvorstellungen sowie sich daraus ergebene Vorschriften
2. Die Sonderrechte von Angehörigen einer Religion, insbesondere der Geistlichen
3. Die Sonderrechte der Institution, insb. der Kirche
1. Religiöse Inhalte in Gesetzestexten
Schon im Präambel des Grundgesetzes heißt es: "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott [...]".
Einige Schmankerl aus Landesverfassungen:
Rheinland-Pfalz: "Im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott, dem Urgrund des Rechts und Schöpfer aller menschlichen Gemeinschaft, [...]" (Recht und menschliche Gemeinschaft werden auf Gott zurückgeführt)
Bayern: "Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, [...] die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, [...]" (Hier wird sogar behauptet, der Nichtglaube an Gott habe- neben anderen Ursachen- das dritte Reich zur Folge gehabt)
Es gibt in der Verfassung Baden-Württembergs explizite Bezugnahme auf christlich-religiöse Inhalte:
Artikel 1 / Abs 1: Der Mensch ist berufen, [...] seine Gaben [...] in der Erfüllung des christlichen Sittengesetzes zu seinem und der anderen Wohl zu entfalten.
Artikel 3: "Die staatlich anerkannten Feiertage werden durch Gesetz bestimmt. Hierbei ist die christliche Überlieferung zu wahren."
Artikel 4: "(2) [Der Kirchen] Bedeutung für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens wird anerkannt."
Eidestattliche Formeln haben einen Gottesbezug: "So wahr mir Gott helfe" (die Eidesformel kann auch ohne religiöses Bekenntnis gesprochen werden).
In NRW heißt es bspw. bei der Vereidigung von Ministern:
"Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, [den Amstseid], so wahr mir Gott helfe."
Feiertage
- an kirchlichen Feiertagen dürfen Arbeitnehmer (entsprechender Konfession) zu Hause bleiben / den Gottesdienst besuchen
- Schüler (entsprechender Konfession) haben schulfrei
- an Sonn- und Feiertagen sind während des Hauptgottesdienstes verboten: Versammlungen, die den Gottesdienst stören und öffentlichen Veranstaltungen
- Messen und Märkte sind erst ab 11 Uhr erlaubt
- am Karfreitag / Totensonntag verboten: öffentliche Veranstaltungen in Schankbetrieben, Sportveranstaltungen
- Tanzunterhaltungen sind verboten (während ziemlich vieler Feiertage- 9 insgesamt)
- Verfassung NRW: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage werden als Tage der Gottesverehrung, [...] anerkannt und gesetzlich geschützt."
Sämtlichen dieser Gesetze liegen christliche Vorstellungen zugrunde, die anderen Menschen gesetzlich verordnet werden. Beispielsweise werden Tanz- und Sportveranstaltungen verboten, weil sie dem Anliegen des Feiertages nicht angemessen sein sollen, dieses Anliegen begründet sich aber rein religiös: man soll bspw. dem auferstandenen Jesus gedenken, oder seinem Opfer am Kreuz usw. Jemand, der dieser Mythologie nicht glaubt, wird dieses Anliegen aufoktroyiert, er darf den Feiertag nicht so begehen, wie er möchte, sondern nur in dem Rahmen, wie es eine bestimmte Religion aufgrund der Mythologie für angemessen hält.
Außerdem ruft ihn Ba-Wü dazu auf, dem christlichen Sittengesetz zu folgen und NRW verlangt von ihm, Beamten und Ministern zu trauen, die einen Eid auf eine allmächtige und allwissende Wahnvorstellung abgelegt haben.
2. Sonderrechte von Religionsanhängern
Feiertage: bereits erwähnt: wer einer bestimmten Religion angehört, darf an kirchlichen Feiertagen blau machen.
Kirchliche Seelsorger genießen Schweigeschutz / -pflicht (Straflosigkeit, wenn sie Straftaten (Kindesmißbrauch oder sowas) nicht anzeigen, die ihnen als Priester gebeichtet wurden)
Sonderrechte im Strafvollzug: Anstaltsseelsorger dürfen Gefangene ohne Erlaubnis aufsuchen
Kindergeldaufschlag für Missionare:
"Kindergeld nach diesem Gesetz für seine Kinder erhält, wer [...]
als Entwicklungshelfer Unterhaltsleistungen [...] erhält oder als Missionar der Missionswerke [...] tätig ist [...]" (Missionare werden hier also Entwicklungshelfern gleichgestellt. Missionstätigkeit = Entwicklungshilfe?).
Befreiung von der Wehrpflicht: Geistliche sind von Wehr- und Zivildienst befreit
Ablehnung der Verpflichtung zur Wahrnehmung öffentlicher Ämter: Geistliche dürfen die Berufung zum Schöffen oder ehrenamtlichen Richter ablehnen (Normalbürger dürfen das nicht)
Geistliche sind Beamten gleichgestellt
Tierschutzgesetz: Tiere dürfen (mit Erlaubnis aus religiösen Gründen) geschächtet (bei vollem Bewußtsein geschlachtet) werden
3. Sonderrechte der Kirche
Religionsunterricht (paßt auch zu Punkt 1)
- wird "in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt" (GG)
- "Ehrfurcht vor Gott" (Bayern, Ba-Wü, Saarland), "christliche Nächstenliebe" (Ba-Wü, Saarland), "Gottesfurcht" (R-P) als Bildungs- und Erziehungsziele
- wird von Vertetern der jeweiligen Religionsgemeinschaften erteilt
- Saarland: "Die öffentlichen Schulen sind Gemeinsame Schulen. In ihnen werden Schüler[...]auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte unterrichtet und erzogen."
Einflußrecht auf Kindeserziehung:
- Bayerns Verfassung: Artikel 127 [Einfluß der Religionsgemeinschaften bei der Kindererziehung]
"Das eigene Recht der Religionsgemeinschaften [...] auf einen angemessenen Einfluß bei der Erziehung der Kinder ihres Bekenntnisses [...] wird [...] gewährleistet."
Besonderer Schutz gegen Kritik
- Bayern: Artikel 144 [Staatlicher Schutz der Religion und der Geistlichen]
(2) Jede öffentliche Verächtlichmachung der Religion, [ihrer Institutionen, ihrer Geistlichen] ist verboten und strafbar.
- §166 StGB (Gotteslästerungsparagraph)
Kirchen, Religionen und der Inhalt von weltanschaulichen und religiösen Bekenntnissen dürfen nicht beschimpft werden
Staatlicher Schutz kirchlicher Ämter:
- Amtbezeichnungen, Titel etc. der Kirchen dürfen nicht unbefugt getragen werden, das gleiche gilt für Uniformen
Gottesdienste dürfen nicht gestört werden (Strafe bis zu 3 Jahren Haft)
Einfluß auf staatliche Behörden:
- BPJM
- Fernsehrat: Bsp. ZDF: 77 Mitglieder, davon 2 Evangelen, 2 Katholiken, 1 Jude, 1 vom Diakonischen Werk, 1 von Caritas
- Filmförderungsanstalt: 2 (ev/kath) von 33 Mitgliedern
["Förderungshilfen dürfen nicht vergeben werden, wenn [der Film...] religiöse Gefühle verletzt".]
- Beirat für den Zivildienst
Anrecht auf Sendezeit
- "Den [...] Kirchen [...] sind auf Wunsch angemessene Sendezeiten zur Übertragung religiöser Sendungen einzuräumen." (gilt für private wie für ÖR)
- bei privaten: "die Veranstalter können die Erstattung ihrer Selbstkosten verlangen.", bei ÖR bezahlt der Steuerzahler
Von Geburt an Mitglied:
- "In die Geburtsurkunde werden aufgenommen: [...] 5. die rechtliche Zugehörigkeit des Kindes und seiner Eltern zu einer Religionsgemeinschaft [...]"
- Die Kirche ist also der einzige Verein, in den man von Geburt an Mitglied sein kann und erst austreten muß, wenn man das nicht möchte
Baurecht:
- die [kirchlichen] Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge müssen bei der Aufstellung von Bauleitplänen berücksichtigt werden
- Ausschluß des Vorkaufsrechtes:
Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist ausgeschlossen, wenn [...] das Grundstück [...] von Kirchen [...] für Zwecke des Gottesdienstes oder der Seelsorge gekauft wird
- Sonderrechte, bspw. können Kirchen Friedhöfe besitzen (die sonst nur der Staat besitzt)
Militärseelsorge (gilt auch für Bundesgrenzschutz und Polizei)
Militärseelsorge [...] wird im Auftrag und unter der Aufsicht der Kirche ausgeübt. Der Staat sorgt für den organisatorischen Aufbau der Militärseelsorge und trägt die Kosten.
Steuerliches
- Gemeinnützige Zwecke: [...] als Förderung der Allgemeinheit [sind] anzuerkennen [...] die Förderung der Religion [...]
die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zugunsten [...] kirchlicher Zwecke.
- kirchliche Leistungen: MWST-Satz von (begünstigten) 7% für alle steuerpflichtigen Leistungen
- Steuerbefreiung für: nebenberufliche Tätigkeit für Kirchen
- Spenden und Mitgliedschaftsbeiträge gelten als "steuerbegünstigter Zweck"
- Abziehbare Aufwendungen (vom Einkommen) sind Ausgaben zur Förderung kirchlicher, religiöser Zwecke
- steuerfrei sind Erbschaft oder Schenkungen an Kirchen
- Kirche ist befreit von Körperschaftssteuer (auch die Diakonie, Caritas usw)
- Kirche ist befreit von der Umsatzsteuer
- befreit von der Gewerbesteuer
- befreit von der Grundsteuer
-----------
Die Verflechtungen von Staat und Kirche drücken sich also bei weitem nicht nur in Steuer- bzw. Finanzvorteilen aus.
Eine bayrische Schulleiterin darf sich erlauben, den Schulkindern ihrer Schule ganz normale Grußworte wie "Hi, Hallo oder Tschüs" zu verbieten und zu verlangen, dass sie ausschließlich "Grüß Gott!" sagen.
„Die Kunst weise zu sein ist die Kunst zu wissen, was man übersehen hat.“ (William James)