25-10-2011, 14:35
(25-10-2011, 11:33)Ekkard schrieb: Hinzu fügen möchte ich nur noch die Bemerkung, dass ja "die Regeln" nicht einfach Gottes Wort sind, sondern in ausgewählten Stellen gewissermaßen angekreuzte Sätze, die man losgelöst vom Kontext als "Regeln" missverstehen kann. Nicht Gott, sondern der Prediger gibt dort in einem bestimmten historischen Augenblick seine persönliche Meinung wieder.
Ich persönlich kreuze in den hl. Texten ganz andere Stellen an, die dem Gebot der Nächstenliebe sehr viel näher stehen. Sind die weniger "Gotteswort"?
Das läuft in der Praxis darauf hinaus, dass weder die Theologie noch die christliche Religion statisch ist. Beide wurden in den tausenden von Jahren stark weiterentwickelt, zumindest verändert, und zwar sowohl bewusst - mittels konkreter Theologen - als auch unbewusst - dadurch, dass man bestimmte Aussagen "ankreuzt" und diese für relevant erklärt, rein gefühlsmäßig. Dadurch entspricht man dann dem Zeitcharakter, ohne es vielleicht zu merken.
Mit anderen Worten:
Der Mensch selber verändert ständig die ihm überlieferte Religion, er ist nach wie vor in diesem Sinn schöpferisch tätig.
Das Gleiche gilt für das Gottesbild. Insofern würde ich die Threadfrage - "Was ist Gott?" - so umformulieren: "Wie erschaffen wir heute das Gottesbild?". Und zwar de facto, nicht als Vorschrift. Welche Gottesvorstellungen liegen de facto vor.
Mir ist aufgefallen, dass es eine - eventuell große - Gruppe von Christen gibt, die von den Evangelikalen heftig abgelehnt wird, aber auch nicht aus den Kirchen stammt. Sie sehen keinen so großen Unterschied zwischen Jesus und Buddha zum Beispiel, sehen beide als Brüder im Geiste an.
Sie lesen die Bibel so, wie Rudolf Bultmann im Prinzip schon begonnen hat: als existentielle Hilfen. Sie lesen sie als existentielle Literatur. Meister Eckhart wird da auch so gelesen. Mir scheint sogar, dass die katholische Kirche in ihren Großaktionen - zum Beispiel im sogenannten "Kreuzweg" am Kolosseum in Rom zu Karfreitag - vor allem existentielle Erfahrungen in den Anwesenden erzeugen will.
Das alles ist auf seine Art ein Versuch der Verschmelzung aller Religionen und auch aller Weisheitslehren miteinander. Die Kirchen kommen nicht einmal mit der Ökumene zu Potte, während das Fußvolk schon lange eine neue Kultur geschaffen hat, in der Menschen sich im religiösen Sinn weltweit untereinander verständigen können.
Die Verfechter der "reinen Lehre" sehen da natürlich rot - aber die Kirchen haben längst begonnen, auf diesen Zug aufzuspringen, jenseits der ökumenischen Bemühugen.
Ich halte es für möglich, dass eine wirkliche Umwälzung in Gange ist, die "Gott" nicht mehr aus dogmatischen Lehren ableitet.