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g''tt , adonai
#18
Hier die angekündigte Geschichte - aus 'Mein Weg zur Mystik' von Fritz Hungerleider [Wien 1988]:
Zitat:1977 schlossen wir uns einer Pilgerreise ins Heilige Land an. Wir besuchten eine heilige Stätte nach der anderen. - Vor der Klagemauer wurden bereits Vorbereitungen für die Bar Mizwa-Feier getroffen. Für einige junge Burschen, die an diesem Tag ihr 13. Lebensjahr vollendet hatten und die aus allen möglichen Ländern stammten, war das wichtigste Fest ihres Lebens gekommen. Nach der religiösen Zeremonie, die mit dem Lesen der jungen Männer aus der Thora ihren Höhepunkt fand, ging es recht heiter zu. Die Burschen tanzten mit dem Rabbi um die Thora herum. Ich wurde von der Stimmung mitgerissen, begab mich eilends von der Zuschauertribüne hinunter und fügte mich in die tanzende Gruppe ein. Dann sollte etwas Seltsames geschehen.

Das Fest war zu Ende gegangen, und ich wandte mich an den Rabbi. Ich fragte ihn, ob er Englisch spreche. "Das nicht, aber ich sprech' e bissele deitsch". Ich fragte ihn, ob er mir nicht die Broche (Segensspruch) geben wolle. "Wie heißt ihr?" Ich sagte ihm, daß mein Vorname (nur um den ging es) Fritz sei. Mit wenig Begeisterung sprach er zwischen den Segenssprüchen meinen Namen aus. Dann fragte er, ob er nicht auch meiner Frau die Broche spenden solle. Ich war damit gern einverstanden. "Wie heißt euer Weib?" "Sie heißt Ingeborg". "Oi waj!" rief er aus und fügte still hinzu: "Schon wieder so e gojischer Nam!" - Mit womöglich noch weniger Begeisterung sprach er dann die Segenswünsche. "No, und euer Tate?" fragte er schließlich. - "Mein Vater ist schon gestorben." - "Macht nichts; ich geb' ihm auch die Broche. Wie hat euer Tate geheißen?" - "Er hieß Gabriel." Sogleich verklärte sich sein Gesicht, und freudig sagte er: "Was e scheener jüdischer Nam!" Und diesmal spendete er die Broche mit wahrer Begeisterung.

Diese Geschichte wäre kaum des Erzählens wert, wenn sich nicht wenige Tage danach - und das bereits wieder in Österreich - eine Art Fortsetzung ereignet hätte. Ich hielt in einem katholischen Kloster [Zwettl] ein strenges Meditationsseminar ab. Der mit mir befreundete Pater Prior befragte mich nach den Erlebnissen im Hl. Land. So ganz nebenbei erzählte ich von meiner Begegnung mit dem Rabbi. Zu meinem größten Erstaunen beschrieb er mir den guten Mann in allen Einzelheiten und schließlich sagte er: "Ah, unseren guten Marcus haben sie getroffen!" -

"Nein", sagte ich, "es war ein Rabbi, dessen Namen mir entfallen ist." - "Der Karl war's", sagte er mit einem Schmunzeln. - "Weder der Karl noch der Marcus; es war ein Rabbi soundso." - Da erzählte er mir eine sonderbare Geschichte. Im Weinviertel gab es eine bäuerliche Familie, die seit undenkbaren Zeiten dort angesiedelt war. Unter der Kinderschar ragte ein Junge hervor, der ungewöhnliche Begabungen besaß. Vor allem war er tief religiös. Eines Tages stand er vor der Pforte des Klosters und bat um Aufnahme. Karl, so hieß er, maturierte 1971 und erhielt noch im gleichen Jahr die Einkleidung als Novize. Rund ein Jahr danach legte er die sogenannte "Einfache Profeß" ab und wurde als "Kleriker" in das Jesuitenkolleg Canisianum nach Innsbruck geschickt, wo er Vorlesungen an der philosophisch-theologischen Fakultät besuchte. Bruder Marcus - so hieß er inzwischen - unternahm Studienreisen nach Frankfurt/Main und gelangte dort in engen Kontakt zu jüdischen Kreisen, die ihn aus verschiedenen Gründen faszinierten. Er behauptete, bereits als Knabe ein "Jahwe-Erlebnis" gehabt zu haben, und schwärmte davon, Gott in seiner ganzen Kreatur zu erfühlen. Seine Sprache begann sich zu verändern; sie nahm immer mehr eine jüdische Färbung an. Zuerst hielt man es für eine Marotte, für einen Studentenulk. Er jedoch meinte es hintergründiger und wurde immer schweigsamer. - Nach einem neuerlichen Jahwe-Erlebnis verließ er im Juli 1973 die Klostergemeinschaft. Kurz vorher hatte ihn seine Mutter bang gefragt, ob er gar Jude werden wolle. Damals schwieg er noch. - Nun übersiedelte er als Student nach Wien, wo er mit Hingabe Judaistik an der Universität studierte. Wovon sollte er aber leben, da er doch keinen praktischen Beruf erlernt hatte? In einem Kino wurde er Platzanweiser. Durch Zufall (?) wurde er von einem Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde entdeckt. Er konvertierte endgültig und nahm (als Erwachsener, man bedenke!) die rituelle Beschneidung auf sich. Man schickte ihn bald nach Israel, wo er eine ausgezeichnete Ausbildung erhielt. Und schließlich wurde er ultraorthodoxer Rabbi. Und er hat mir und den Meinen vor der Klagemauer die Broche erteilt!
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g''tt , adonai - von chris_ku - 05-01-2005, 22:03
[Kein Betreff] - von ExAdmin - 06-01-2005, 09:02
[Kein Betreff] - von chris_ku - 06-01-2005, 15:13
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[Kein Betreff] - von chris_ku - 09-01-2005, 21:38
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Die Geruth - das Juedisch-Werden - von Gast - 10-01-2005, 05:53
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