12-04-2007, 00:20
Wombat schrieb:Allgemein betrachtet gewinnt die Kirche, wenn der Staat schwach ist.Ein Staat ist nur dann "stark", wenn es eine staatstragende Idee oder Utopie gibt. Eine liberale Demokratie bemisst sich daran, dass es viele Gruppen und Grüppchen gibt, die ganz unterschiedliche Interessen (auch kultische) vertreten. Es ist geradezu ein Qualitätsmerkmal der liberalen Demokratie, dass sich alle Gewalten im Staat und alle Interessengruppen gegenseitig neutralisieren. Im Sinne einer solchen Liberalität ist Kirche "stark", wenn sie schwach erscheint. Der Kirchenbesuch ist nicht allein maßgebend - es kommt auf die Zielvorstellung an.
Wombat schrieb:Es wird meines Erachtens in vielen Gemeinden versäumt, aktuelle Nöte und Probleme anzusprechen. Auch junge Menschen, die sich für Religion interessieren, werden von kirchlicher Dogmatik und Liturgien abgeschreckt.Dem stimme ich nur zum Teil zu. "Aktuelle Nöte" werden durchaus angesprochen. Es ist umgekehrt: Die Kirche zerfällt in Problemlösungszentren. Wer Problem-Beratung braucht, geht zur entsprechenden Beratungsstelle – nicht in den sonntäglichen Gottesdienst.
Junge Menschen kommen durchaus zu kirchlichen Events – jedoch nur einmal oder höchstens zweimal im Jahr (Welt-Jugendtag, Kirchentage, große Zeltmission oder dergleichen).
Es ist eher so, wie Presbyter dies feststellt und wie es bei Wombat anklingt: Es fehlt an einer "religiösen Gebrauchsanleitung" (an religiöser Sozialisation). Deshalb gibt es auch
Wombat schrieb:"intakte Gemeinden", in denen es einen regen Austausch gibt und die Kirchbänke immer voll sind- Dies ist, sei es zum Vor- oder Nachteil der Gemeinde, meist vom Pastor und Diakon abhängig.Dort treten charismatische Persönlichkeiten auf, die Utopien verbreiten, Hand auflegen und in einfachen Sätzen sprechen. Ich bin mir keineswegs sicher, dass ich dies zum Wohle meiner Kirchengemeinde wirklich will!
Ich denke auch, dass der Kirchenbesuch oder das Gemeinde-Engagement wenig mit dem Image der Landeskirchen zu tun haben, sondern damit, ob es charismatische Führung und Motivation gibt. In einer liberalen Demokratie gibt es keine lohnenden Feindbilder (wie z. B. Sklavenhalter, Ausbeuter oder sonstige Erbfeinde), bei deren Bekämpfung man die Schäfchen "hinter sich bringen" kann.
Presbyter schrieb:Liturgie ist doch wirklich keine Geisterbahn! (…) Daher ist das A und O für eine sinnvolle Verkündigung des Evangeliums und eine aktive Integrierung der Menschen in das Gemeindeleben die katechetische Bildung der Gläubigen und der Katechumenen.Gut gebrüllt, Löwe! Die so genannte "frohe Botschaft" war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts dermaßen überfrachtet mit theologischem Überbau, dass sie mit dem normalen Leben in Deutschland nichts mehr zu tun hatte. Daher haben fast zwei ganze Generationen im Osten durch den Sozialismus beschleunigt, diesen Überbau und schließlich die gesamte Lehre (bis auf Reste) über Bord geworfen. Es gibt kaum noch Eltern, die guten Gewissens ihren Kindern Glaube vermitteln (können). Es wird Zeit, zu verstehen, was Glaube ist. Und es nützt überhaupt nichts, alte Ideale, alte Mythen und die Kenntnis von Bibelstellen als Glaube zu verkaufen.
Presbyter schrieb:Was stellst du dir denn vor. Im Gottesdienst eine Podiumsdiskussion zum Thema Gott und die ökologische Krise? Das ist doch absurd.Eben: Mit einem Akt gähnender Langeweile wird ein Gott verehrt, der es nicht einmal schafft, die Vorgänge vor und während des 2. Weltkrieges zu verhindern, der es nicht schafft, die Bevölkerungsexplosion in den "unterentwickelten" Ländern zu bremsen, der uns eine Welt zur Verfügung stellt, die morgen von einem Meteoriten zerschmettert werden kann. M. E. muss diese Nettigkeit weg. Wir müssen (wieder einmal) dem Weltgetriebe in die Speichen greifen! (Frei nach Dietrich Bonhoeffer).
Nach meinem Verständnis ist Liturgie ein kultischer Akt der Gottesverehrung!
Presbyter schrieb:Was wäre denn eines dieser utopischen Gesellschaftsbilder? Die christliche Moral im Bezug auf gesellschaftliche Probleme? Die Überzeugung das Glaube notwendig gesellschaftliche Konsequenzen und Tätigkeiten nach sich ziehen muss und nicht nur Privatvergnügen ist? Die Ablehnung falscher Toleranz, die vom Geist des Relativismus genährt wird?Warum so hochtrabend? Könnte es nicht sein, dass wir keinen Müll mehr produzieren wollen, dass wir der ständigen Reklame, der Überproduktion, der Mobilität, der Wegwerfmentalität überdrüssig werden sollten? Liegt die Botschaft Jesu zu verschiedenen Zeiten bei verschiedenen Aspekten der Bergpredigt: Heut mal bei den "Armen im Geiste", die bewahren statt auszubeuten, die integrieren statt zu spalten, das Himmelreich aufschließen anstatt komplizierter Verkündigung?
Presbyter schrieb:Wirklich geschehen kann dies nur, wenn christliche Überzeugungen und ureigene Glaubensinhalte und -wahrheiten gewahrt und angemessen verkündet werden.Wenn ich das lese, wird mir reflexhaft schlecht, weil ich mit "ureigenen Glaubensinhalten" sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe.
Presbyter schrieb:Aber wie will das eine Gesellschaft verstehen, die Glauben für eine subjektive Empfindung hält?Woher willst Du wissen (nicht glauben i. S. "Ich gehe davon aus / halte es für notwendig, dass …"), dass es anders ist?
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Ekkard