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Mein "religiöser Werdegang" - Druckversion

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Mein "religiöser Werdegang" - plofre - 18-11-2011

Ich will euch mal berichten, wie ich in religiöser Hinsicht das geworden bin, was ich jetzt bin.

Ich wurde römisch-katholisch getauft, bin aber in keiner religiösen Familie aufgewachsen. Mein Vater war Atheist, meine Mutter "Taufscheinkatholikin". Sie brauchte die Kirche für Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse, sonst für nichts. In der Schule besuchte ich den Religionsunterricht, das war damals (50er, 60er Jahre) gar nicht anders möglich. Die Religionslehrer gaben sich keine besondere Mühe, uns Verständnis für das Wort Gottes nahe zu bringen. Statt dessen ließen sie uns "Gottesdienstkalender" führen. Wir hatten Anfang der Woche zu vermerken, in welcher Kirche und um wieviel Uhr wir die Sonntagsmesse besucht haben. Da ich diese nie besucht habe, habe ich das Blaue vom Himmel herunter geschwindelt. Ich war einmal in dieser, einmal in jener Kirche, ab und zu auch in einem Dom, da "hatten wir eine Reise gemacht". Manchmal "war ich wegen Krankheit entschuldigt."

Dann kam die Zeit der Erstkommunion. Vorher musste natürlich gebeichtet werden. Wir hatten unsere "Sünden" auf einen Zettel zu schreiben und den bei der Beichte vorzulesen. Nur - was für Sünden begeht schon ein Volksschulkind? Auch hier habe ich gelogen, dass sich die Balken bogen. Wir gingen an einem trüben, düsteren Tag zur Beichte. In der Kirche war es zappenduster, die paar Kerzen machten die Dunkelheit nur noch undurchdringlicher. Eine Wand entlang schlurfte eine gebeugte, dunkle Gestalt in Richtung einiger schwarzer Kästen, der Beichtpriester, offenbar schon gehobenen Alters. Als ich endlich dran kam, sah ich nichts, konnte kaum den Zettel lesen. Da kam auch schon die barsche Aufforderung durch das Gitter vor meinem Gesicht: "Lies schon vor, was auf dem Zettel steht!" Das tat ich auch, bekam meine Absolution und sollte als Busse 5 Vaterunser beten. Dazu muss gesagt werden, dass ich in der Schule eine Koryphäe im Gedichtaufsagen war. Ich sagte Schillers "Glocke" mit richtiger Betonung in einem Schwung her. Die 5 Vaterunser hätte ich im Halbkoma runter gebetet. Die Diskrepanz zwischen dem, was eine Busse sein sollte und diesem Scherz erschütterte mich zutiefst.

Dann kam der Tag der Kommunion. Wir Kinder gingen in Reih und Glied, im Festgewand und mit der Kerze in der Hand auf die Kirche zu. Die Eltern standen Spalier. Ich sah meine Mutter in der Reihe der Erwachsenen und winkte ihr zu. Prompt zischte mich eine der Aufsicht führenden Personen an: "Nicht winken!" Ich erschrak und war entsetzt. Anstatt in kontemplativer Versenkung daran zu denken, dass ich demnächst den Leib des Herrn zu mir nehmen sollte, hatte ich mich erdreistet, die Frau zu grüßen, die mich 9 Monate unter dem Herzen getragen und danach unter Schmerzen geboren hatte.

Die Katholische Kirche war ab diesem Zeitpunkt für mich gestorben. Eine Zeitlang befand ich mich in einem religiösen Vakuum. Ich war allerdings schon sehr früh an allen Naturwissenschaften interessiert. Auch die romantische Vorstellung einer "Mutter Natur" faszinierte mich. Also begann ich mir eine Art pantheistisches Konzept zusammen zu basteln. Ich stellte mir vor, dass das Göttliche allen Dingen, der ganzen so genannten Schöpfung immanent sei. Diesen in jedem Sandkorn, in jedem Regentropfen in Splittern enthaltenen All-Geist nannte ich "Mutter Natur". Natürlich konnte dieses naive Konzept nicht von Dauer sein.

Mein Interesse für Naturwissenschaften setzte sich fort, wenngleich ich niemals eine diesbezügliche Ausbildung, geschweige denn ein Studium genossen habe. Ich las von Einsteins Relativitätstheorien, Plancks Quanten, Heisenbergs Unschärferelation, dem Teilchen/Welle-Dualismus und dergleichen mehr. Ich kam letztlich zur Erkenntnis, dass es dem Menschen versagt ist, das wirkliche Wesen der Dinge und ihren Ursprung, sofern es diesen überhaupt gibt, zu erkennen.
So wurde ich hum Agnostiker und bin es bis heute geblieben.

LG plofre


RE: Mein "religiöser Werdegang" - Ekkard - 18-11-2011

Hallo 'Plofre',
zuerste einmal: Herzlich willkommen hier im Religionsforum. Als dann: Danke für deinen Werdegang. Es ist schon fürchterlich, was kirchliche Vertreter alles falsch machen können! So werden Agnostiker und Atheisten erzogen. Ich behaupte, diese Leute sind ihrem Kinderglauben verhaftet und scheitern auf dem Weg zu einer abgeklärten Religiosität, welche den Symbolcharakter der Bilder und Geschichten erkennt.
So viel für jetzt, wir werden uns sicher im Forum noch begegnen ...


RE: Mein "religiöser Werdegang" - Bion - 19-11-2011

Auch von mir ein herzliches Willkommen!


RE: Mein "religiöser Werdegang" - d.n. - 19-11-2011

Ebenso willkommen!


RE: Mein "religiöser Werdegang" - humanist - 19-11-2011

(18-11-2011, 22:55)Ekkard schrieb: So werden Agnostiker und Atheisten erzogen.

Oh bitte. Du hast doch gelesen, er hat sich weiterentwickelt.


RE: Mein "religiöser Werdegang" - petronius - 19-11-2011

(18-11-2011, 22:55)Ekkard schrieb: Ich behaupte, diese Leute sind ihrem Kinderglauben verhaftet und scheitern auf dem Weg zu einer abgeklärten Religiosität, welche den Symbolcharakter der Bilder und Geschichten erkennt

gerade weil der abgeklärte mensch erkennt, daß das nur symbole, bilder und geschichten sind und real nichts, schon gar nicht ein "gott", dahintersteckt, mißt er dem ganzen keine besondere bedeutung bei

ich behaupte, wer trotzdem auf "gott" beharrt, ist "seinem Kinderglauben" an einen guten papa, ders schon richten wird, "verhaftet und scheitert auf dem Weg zu einer abgeklärten" sicht der dinge, wie sie nun mal sind


RE: Mein "religiöser Werdegang" - Gerhard - 19-11-2011

Hallo Plofre,

auch von mir ein herzliches Willkommen hier im Forum, auch wenn ich nicht mehr so oft und so aktiv hier im Forum bin, wie es einmal war.

Ich möchte desweiteren darauf hinweisen, dass sich auch religiöse oder gläubige Menschen weiterentwickeln, dass dann ich zumindest für mich bestätigen.

Möglicherweise ist diese Weiterentwicklung nicht immer so, wie dass andere für sinnvoll oder richtig halten, aber das ist ein anderes Thema.

Schöne Grüße
Gerhard


RE: Mein "religiöser Werdegang" - Romero - 19-11-2011

(18-11-2011, 22:55)Ekkard schrieb: So werden Agnostiker und Atheisten erzogen.

Wie meinst du das? Eusa_think


RE: Mein "religiöser Werdegang" - Gerhard - 19-11-2011

Zitat:Dann kam der Tag der Kommunion. Wir Kinder gingen in Reih und Glied, im Festgewand und mit der Kerze in der Hand auf die Kirche zu. Die Eltern standen Spalier. Ich sah meine Mutter in der Reihe der Erwachsenen und winkte ihr zu. Prompt zischte mich eine der Aufsicht führenden Personen an: "Nicht winken!"

Die Form, die Zeremonie wird hier wichtiger genommen als der Mensch, als das Ereignis, das nach christlichem Glauben Jesus zu einem kommt.

So eine "Kleinigkeit?" kann in einem Menschen so einiges bewirken.


RE: Mein "religiöser Werdegang" - Ekkard - 19-11-2011

(18-11-2011, 22:55)Ekkard schrieb: So werden Agnostiker und Atheisten erzogen.
(19-11-2011, 15:36)Romero schrieb: Wie meinst du das? Eusa_think
Ich meine das so, wie Gerhard dies andeutete: Wenn die Formalie im Vordergrund steht, und die Beziehung vernachlässigt wird, dann wird der Sinn aller Symbolik verdunkelt. Verfeierlichte Zeremonien verselbständigen sich weg von aller Fröhlichkeit und Liebe hin zu einer gefühllosen Öde.
Wer's erlebt hat, kann nur Agnostiker, Atheist oder Philosoph werden. Glücklicherweise habe ich persönlich auch die andere, fröhliche Seite der Religiosität erlebt.




RE: Mein "religiöser Werdegang" - humanist - 20-11-2011

Wäre das so schlimm?


RE: Mein "religiöser Werdegang" - Ekkard - 20-11-2011

Je nach Sichtweise! Aus Sicht der Kirchenleute doch bestimmt.


RE: Mein "religiöser Werdegang" - Gerhard - 20-11-2011

Hallo!

So lautet die aktuelle Frage in diesem Thema:

Wäre das schlimm, wenn ausschließlich Formalien in einer Kirche nur noch im Fordergrund stehen?

Sollte Religion nur noch aus Formalien bestehen, so wäre das meiner Meinung nach Sinnleere Handlung.

Mit Entsetzen beobachte ich, das es bei vielen "Nochmitgliedern" der großen Kirchen so ist.

Für diese Menschen ist es ein schönes Fest(hoffentlich) aber diese erfahren erst gar nicht mehr, was Christsein, was Glauben wirklich bedeutet.

Sie erfahren nicht, was es bedeutet, Glauben zu leben.

In den Köpfen vieler Menschen entsteht ein sinnleeres Abziehbild.

An Hand dieser Abziehbilder werden dann die Kirchen beurteilt.

Kein Wunder, das sich immer mehr Menschen abwenden.

Wenn also Taufe, Kommunion, Abendmahl und Konfirmation usw. zu reinen Formalien werden ist das zumindest für die großen Kirchen ein großes Problem.

Gruß
Gerhard


RE: Mein "religiöser Werdegang" - Ekkard - 20-11-2011

Wahr! - Leider!


RE: Mein "religiöser Werdegang" - sirin - 25-10-2014

ach funkt mit schnellantwort ! -leider sind alle meine worte verschwunden und alle zeit dazu auch eher....

nur schnell zu worten von Ekkard:" Weg zu einer abgeklärten Religiosität, welche den Symbolcharakter der Bilder und Geschichten erkennt."

gibt es da hier schon wo ein Thema drüber?