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Ursachen für ... Verständnisprobleme des AT
#16
(08-08-2016, 14:48)Sinai schrieb:
(08-08-2016, 09:55)Kreutzberg schrieb: Der Auszug aus UR dürfte meines Wissens wegen Ressourcen-Mangels bedingt gewesen sein.

Eine schwache Vermutung.

Na ja. Da in der Geschichte kein Grund genannt ist, muss man wohl auf Vermutungen zurueckgreifen. Die erste Vermutung ist halt, dass das Ur der Chaldaeer tatsaechlich die beruehmte Stadt Ur im Sueden Mesopotamiens ist, die auch von den Chaldaeern (Neubabyloniern) regiert wurde. Nach seinem Untergang im spaeten 6. Jhdt. v. Chr. wurde Ur schnell vergessen, und die traditionelle juedische Identifizierung ist irgendein Kaff im noerdlichen Mesopotamien.

Ur selbst ging gewiss wegen Ressourcen-Mangels unter. Erst verschwand das Meer nach Sueden, aber auch der Fluss entfernte sich mit der Zeit. Die Stadt war aber von solcher geschichtlicher Bedeutung und hatte diesen mythischen Ruf, dass das Nanna-Heiligtum mit grossem Aufwand erhalten wurde. Noch der letzte babylonische Koenig hat Reparaturen am Ziqqurrat durchgefuehrt, bevor die Perser Babylon eroberten. Die Flusschleife verlegte sich dann aber komplett, es gab kein Wasser mehr, und die Perser haben den Ort der Wueste ueberlassen.

Dies alles spielte sich aber in der Zeit des Babylonischen Exils der Juden ab und nicht in alten Zeiten, und es ist im Prinzip sehr wahrscheinlich, dass sie diesen Vorfall mitbekommen haben. Krisen hatte die Stadt aber schon vorher, vor allem auch kriegerischer Art.
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#17
Zum von Kreutzberg behaupteten angeblichen Ressourcen-Mangel:
"Abraham stammte aus der chaldäischen Stadt Ur, einer blühenden Metropole im Lande Schinar (...)
In den Tagen Abrahams war die Stadt Ur dem babylonischen Götzendienst und dem Kult ihres Stadtgottes, des Mondgottes Sin, verfallen"

Das obige Zitat stammt aus den "Einsichten" der Zeugen Jehovas (jw.org) und denen kann man wohl schwer den Vorwurf des Antisemitismus machen

Die Sippe Abraham verließ eine blühende Stadt, und zwar nur deshalb weil sie dem falschen Kult angehörte !
Nicht aus Hunger liefen sie weg, sondern weil sie verjagt wurden.
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#18
Ich habe zuletzt mal Arche-TV gesehen. Die Exegese des Familien-Clans von Abraham dreht sich im Kern um die Frage Loyalität und blindes (unbedingtes) Vertrauen. Das sind Tugenden, die im Vatikan gerne gesehen werden.

Für mich wäre in diesem Zusammenhang noch interessant zu wissen: welche Position nimmt den die Evangelische Kirche zum AT ein ?!
Da gibt es doch gravierende Unterschiede zur Röm. Kath. Kirche nehme ich an ?!
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#19
(09-08-2016, 08:35)Sinai schrieb: Zum von Kreutzberg behaupteten angeblichen Ressourcen-Mangel:
"Abraham stammte aus der chaldäischen Stadt Ur, einer blühenden Metropole im Lande Schinar (...)
In den Tagen Abrahams war die Stadt Ur dem babylonischen Götzendienst und dem Kult ihres Stadtgottes, des Mondgottes Sin, verfallen"

Das obige Zitat stammt aus den "Einsichten" der Zeugen Jehovas (jw.org) und denen kann man wohl schwer den Vorwurf des Antisemitismus machen

Ich wuesste nicht, was die Zeugen Jehovas zu einer ernstzunehmenden Quelle fuer alte Geschichte machen wuerde. Wie auch immer, das entspricht in Prinzip dem, was ich oben genannt hatte, egal ob man den Mondgott jetzt Akkadisch Sin oder Sumerisch Nanna nennt. Nur mit dem Bluehen ist das immer so eine Sache. Dann, als Abraham angeblich lebte, war Ur gerade mal wieder zerstoert und groesstenteils entvoelkert worden. Da koennte man jetzt also genau so gut von einem Kriegsfluechtling fabulieren, aber die biblische Story gibt das schlicht nicht her.

(09-08-2016, 08:35)Sinai schrieb: Die Sippe Abraham verließ eine blühende Stadt, und zwar nur deshalb weil sie dem falschen Kult angehörte !
Nicht aus Hunger liefen sie weg, sondern weil sie verjagt wurden.

Andererseits gibt die biblische Story auch diese Interpretation nicht her. Die Bibel ist in puncto Verfolgung als Thema ansonsten immer sehr offen, so dass ich auch solche Interpretationen in diesem Fall fuer komplett ueberzogen halte. Das Wichtige hier ist, wie Kreutzberg anmerkte, dass Gott rief und Abra(ha)m folgte.
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#20
(09-08-2016, 12:45)Kreutzberg schrieb: Für mich wäre in diesem Zusammenhang noch interessant zu wissen: welche Position nimmt den die Evangelische Kirche zum AT ein ?!
Da gibt es doch gravierende Unterschiede zur Röm. Kath. Kirche nehme ich an ?!

Fuer beide Konfessionen ist das AT das inspirierte Wort Gottes. Die Katholische Kirche macht dabei klar, dass der Wert in Hinsicht auf die Ankuendigung des Erloesers liegt. Ansonsten ist bei den Katholiken die Wertung der Schrift eher nachrangig, waehrend die Protestanten natuerlich dem "sola scriptura" Prinzip folgen.

Ansonsten gibt's natuerlich immer noch Unterschiede zwischen offizieller Position und tatsaechlicher Handhabung in den Gemeinden. Im Prinzip gab's bei beiden Konfessionen immer Bestrebungen, nur Einzelaspekte aus dem AT herauszupicken und den (oft problematischen) Rest schlicht zu ignorieren. Bei evangelikalen Protestanten geht das natuerlich nicht so einfach, und da gibt es die meisten Diskussionen diesbezueglich, da ja schliesslich die Bibel als Ganzes dort das Wort Gottes ist und oft genug auch woertlich genommen wird.

In den letzten Jahrzehnten gab's auch wieder Bestrebungen, das AT wieder aufzuwerten, wobei man sich da noch uneins ist, wie man das genau machen soll. Der Hintergrundgedanke dafuer ist, durch Anerkennung des juedischen Erbes des Christentums zur Ueberwindung des Antisemitismus beizutragen.
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#21
(09-08-2016, 14:02)Ulan schrieb: Das Wichtige hier ist, wie Kreutzberg anmerkte, dass Gott rief und Abra(ha)m folgte.

Höre ich hier einen Vorwurf in Richtung "Führer Befiehl wir folgen Dir" heraus ?
Dieses Gott (Allah) rief und er folgte, - ist auch das Muster des Islamischen Staats (IS)
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#22
(09-08-2016, 14:02)Ulan schrieb: Da koennte man jetzt also genau so gut von einem Kriegsfluechtling fabulieren


So mancher Kriegsflüchtling ist ein geflohener Kriegsverbrecher !

Das ist heute so und das war in der Antike nicht anders.
Folgendes Beispiel wird euch ja sicher schmecken: Adolf Eichmann flüchtete nach verlorenem Krieg nach Südamerika . . .
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#23
(09-08-2016, 14:02)Ulan schrieb: egal ob man den Mondgott jetzt Akkadisch Sin oder Sumerisch Nanna nennt.

Interessant. Bitte mehr !
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#24
(09-08-2016, 18:26)Sinai schrieb: Höre ich hier einen Vorwurf in Richtung "Führer Befiehl wir folgen Dir" heraus ? Dieses Gott (Allah) rief und er folgte, - ist auch das Muster des Islamischen Staats (IS)

Nun, eine solche Haltung ist ja kein Alleinstellungsmerkmal des IS. Die Forderung absoluten Gehorsams bis in Detail ist es ja, die das Christentum fuer den Roemischen Staat so interessant gemacht hat. Intoleranz und Gewaltexzesse seitens des Christentums hat es seit dem 4. Jhdt. zuhauf gegeben, wobei die Intoleranz schon im 2. Jhdt. zu spueren war. Fuer den Roemischen Staat war diese Religion ein probates Mittel, die Untertanen am Zuegel zu halten. Im Beispiel Abrahams war dieser Zug schon angelegt.

(09-08-2016, 18:28)Sinai schrieb: So mancher Kriegsflüchtling ist ein geflohener Kriegsverbrecher !

Das ist heute so und das war in der Antike nicht anders.

Das ist sicher richtig fuer einen kleinen Teil der Fluechtlinge zu allen Zeiten, hat aber im konkreten Fall Abrahams den Makel, dass der Text das nicht thematisiert, also alles in die Richtung pure Spekulation ist. Ein anderer, bisher nicht erwaehnter Aspekt ist, dass es natuerlich wieder darum geht, dass Kanaan den (damals noch nicht existierenden) Juden versprochen wurde, genau wie in Exodus.

(09-08-2016, 18:39)Sinai schrieb:
(09-08-2016, 14:02)Ulan schrieb: egal ob man den Mondgott jetzt Akkadisch Sin oder Sumerisch Nanna nennt.
Interessant. Bitte mehr !

Ur war eine sumerische Stadt, die Stadt des Mondgottes Nanna. Es ist nicht bekannt, welcher Sprachfamilie die sumerische Sprache angehoert, aber genau so, wie die Sumerer mit den sunnitischen Akkadern irgendwann fusionierten (um 2000 v.Chr. war das schon weit fortgeschritten), passierte das auch mit den Pantheons. Sin ist eigentlich eine semitische Gottheit, wurde dann aber weitgehend mit dem sumerischen Nanna gleichgesetzt. Das Sumerische blieb lange die Priestersprache in Mesopotamien, auch als das Volk es nicht mehr sprach, und ein letzter Text stammt aus dem 1. Jhdt. v. Chr. Um die Zeitenwende waren Sumerisch und die Existenz der Sumerer vergessen. Das Alt-Akkadische erbte uebrigens die Funktion des Sumerischen in der Religion, als der babylonische Dialekt des Akkadischen gesprochene Sprache wurde. Einige der grossen Mythen, die es ins AT geschafft haben, sind in Akkadisch erhalten.

Was Sin angeht: Er galt als Vater der Ischtar. Die Mutter des letzten babylonischen Koenigs, Nabonid (555-539 v.Chr., also waehrend des Babylonischen Exils), war Priesterin des Mondgottes Sin in Harran, der Stadt, in die der Vater des Abraham von Ur aus zog. Nabonid errichtete eine Ziqqurrat fuer Sin in Harran, genau so, wie er die Ziqqurrat in Ur renovieren liess. Sein Eintreten fuer den Mondgott auch im Marduk-Tempel zu Babylon verursachte ihm uebrigens Konflikte mit der babylonischen Priesterschaft und eine Revolte, die letztlich ursaechlich dafuer ist, dass die Juden zurueck nach Judaea gehen konnten. Es ist interessant, dass Abrahams Sippe sozusagen dem Mondgott folgte; was uebrigens mit der These der religioesen Verfolgung nicht zusammenpasst. Ebenso ist von Interesse, dass sich diese Vorgaenge in Ur und Harran unter den Augen der exilierten Juden abspielten.

Im Prinzip ist das alles eine Steilvorlage fuer die Abrahams-Geschichte, den Turmbau zu Babel, etc.
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#25
(10-08-2016, 09:12)Ulan schrieb: mit den sunnitischen Akkadern


Du meintest: semitischen

Im Übrigen ist Deine Geschichte interessant! Hochinteressant.
Aber daß die Abraham-Isaak-Geschichte erst im babylonischen Exil entstanden wäre, dürfte Deine Spekulation sein. Und das würde außerdem bedeuten, daß noch während des babylonischen Exils Menschenopfer für Jahwe selbstverständlich gewesen wären. Schon aus diesem Grund
dürfte die schaurige Abraham-Isaak-Geschichte 1400 Jahre älter sein.
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#26
(10-08-2016, 11:51)Sinai schrieb:
(10-08-2016, 09:12)Ulan schrieb: mit den sunnitischen Akkadern
Du meintest: semitischen

Ups, na das ist mal ein Verschreiber. Klar, das meinte ich.

(10-08-2016, 11:51)Sinai schrieb: Im Übrigen ist Deine Geschichte interessant! Hochinteressant.
Aber daß die Abraham-Isaak-Geschichte erst im babylonischen Exil entstanden wäre, dürfte Deine Spekulation sein. Und das würde außerdem bedeuten, daß noch während des babylonischen Exils Menschenopfer für Jahwe selbstverständlich gewesen wären. Schon aus diesem Grund dürfte die schaurige Abraham-Isaak-Geschichte 1400 Jahre älter sein.

Das ist keine "entweder/oder"-Angelegenheit. Man muss sich klar machen, dass gerade der Pentateuch anscheinend wieder und wieder umgeschrieben und editiert wurde. Genesis ist auch keineswegs das aelteste Buch im AT; die Buecher sind nicht in der Reihenfolge im AT, in der sie geschrieben wurden. Die christlichen Bibeln listen sie nur so, dass sie chronologisch Sinn machen.

Im Prinzip muss man davon ausgehen, dass das Judentum als Religion erst nach dem Babylonischen Exil zu existieren anfing, und die meisten redaktionellen Arbeiten am AT auch erst dann gemacht wurden. Dabei wurden natuerlich auch Geschichten aus dem Exil verarbeitet. Dass dabei auch alte Geschichten verarbeitet wurden, ist klar. Die Sintflutgeschichte ist schliesslich schon seit dem 2. Jahrtausend vor Christus in Mesopotamien schriftlich festgehalten.

Was Abraham angeht, muss man also verschiedenste Einfluesse annehmen. Die Parallelen einiger Erzaehlungen zu Geschichten aus der Zeit des Exils sind aber recht offensichtlich. Die Geschichte zur Opferung Isaaks gehoert ebenso offensichtlich aber nicht dazu.
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