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Bericht: Orthodoxe Vesper
#1
Hallo allerseits,
ich habe eine orthodoxe Vesper besucht und will euch hier mal darüber berichten.
Das Kloster liegt in der Nähe von Bodenwerder an der Weser bei Buchhagen.

Hier der Link:
http://www.orthodoxfrat.de/seite8.htm

Das Kloster liegt im Wald und ich musste das Auto im Ort stehen lassen und dann zu Fuß über einen Waldweg zum Kloster hinaufgehen. In völliger Stille lag dann das Kloster vor mir. An dem großen Tor in der Umfassungsmauer läutete ich und wurde von einem Mönch eingelassen. In einem Raum konnte ich meine Tasche zurücklassen, die Straßenschuhe gegen Puschen eintauschen, mich einkleiden und mich mit dem Gottesdienst-Knigge vertraut machen.
Die schriftliche Gottesdienstunterweisung war sehr ausführlich und für mich war es unmöglich alle Rituale im Kopf zu behalten. Ich hatte ganz schön Bammel, denn bis dahin war ich der einzige Vespergast. Musste ich mir auch für den ersten Kontakt mit der orthodoxen Liturgie ausgerechnet ein abgelegenes Kloster aussuchen.
Der Mönch der mich eingelassen hatte meinte aber, es wäre gut wenn ich noch keinen orthodoxen Gottesdienst besucht hätte. Na dann…

Es läutete mit eigentümlichen Klängen zum Gottesdienst.
Die Kirche war herrlich. Erleuchtet nur durch Kerzen entfaltete sich eine wunderbare Atmosphäre. In den orthodoxen Kirchen sind die Gotteshäuser noch in erster Linie ein Tempel Gottes, dem man Respekt entgegen bringt und Gottes Gegenwart spürbar macht.
Die Ikonen und Bilder werden besonders verehrt.
Zum Glück kamen noch andere Gäste und diese leiteten mich durch die Rituale. Wobei ich bemerken muss, dass ich nur ein Ritual ausführte.
Ich bekreuzigte und verneigte mich. Das ist auch das meistausgeführte Ritual.


Mit den Frauen stand ich hinten links in der Kirche. In orthodoxen Gottesdiensten steht man ausschließlich, was einen an die Grenze der physischen Belastbarkeit bringen kann. Auch weil die Gottesdienste für nichtorthodoxe Menschen sehr lang erscheinen.
Die Besucher und Mönche warfen sich beim Eintritt in und beim Verlassen des Kirchenraums nieder (ähnlich dem Niederwerfen in einer Moschee. Die Niederwerfung hat den gleichen Stellenwert wie der „Knicks“ katholischer Gläubiger beim Eintritt in die und beim Verlassen der Kirche), küssten den Türstock des Nartex und des Kirchenraumes, küssten die Bilder und Ikonen und verbeugten sich dabei so tief, dass sie mit dem Handrücken den Boden berührten.

Für die Bekreuzigung streckt man Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand, winkelt Ringfinger und kleinen Finger ein.
Man beginnt mit der Stirn, herunter zum Brustbein, rechte Schulter und linke Schulter (im katholischen Ritus ist es umgekehrt: erst links, dann rechts). Dann legt man die rechte Hand auf sein Herz und verbeugt sich.

Bekleidungsvorschrift für Frauen: Die Haare werden mit einem Tuch bedeckt, ein Kleid zu tragen ist Pflicht. Ferner trägt man in der Klosterkirche keine Straßenschuhe.

Die Vesper war ein echtes Erlebnis. Der Gesang der Mönche, Melodiestimme und oft durchgehender Basston hatte etwas Meditatives, unterstützt durch den Weihrauch und die schummerige Beleuchtung. Ferner taten die schmerzenden Füße und der langsam schlappmachende Kreislauf ein Übriges für den tranceartigen Zustand.
Die Vesper dauerte über zwei Stunden und ich musste mich dann doch im Nartex hinsetzten, um nicht per Kreislaufkollaps hingesetzt, bzw. hingeworfen zu werden.
Schmerzende Füße kann man ignorieren, Schweißausbrüche und Schwindelgefühle nicht.

Ich habe höchsten Respekt vor denen, die solche Gottesdienste im wahrsten Sinn des Wortes durchstehen können.

Trotz der Strapazen möchte ich diese Erfahrung nicht missen. Die in sich geschlossene Liturgie öffnet einem das Herz und dieses Kloster hat etwas, wie ich glaube, in Deutschland einmaliges zu bieten:
Die Liturgie wird zu 90 % auf Deutsch gehalten. So ist es auch unerfahrenen Menschen möglich, sich einzuhorchen und das Ritual zu erlernen. Irgendwann weiß man wann welches Ritual ausgeführt wird. Es ist schön, Parallelen zur katholischen und zur evangelischen Liturgie zu erkennen und die Bitt- und Lobgebete im Herzen nachvollziehen zu können.

Im Übrigen hat sich niemand beschwert oder mich auch nur schief angesehen, weil ich nicht alle Rituale kannte, oder mich hinsetzen musste.
Man muss aber das Bedürfnis der Mönche nach Kontemplation, Abgeschiedenheit und Ruhe respektieren. Es sollte in der Kirche nicht viel gesprochen werden, außer die Liturgie natürlich und man sollte nicht zu früh zum Gottesdienst erscheinen.

Man sollte sich eben dem Ort und Anlass entsprechend verhalten.


Ich würde sehr gern noch mal an einem solchen Gottesdienst dort teilnehmen, doch vorher muss ich wohl noch das Stehen üben.


Viele liebe Grüße
Lhiannon
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#2
Klasse Bericht! Danke!
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#3
Danke auch von mir für diesen tollen Bericht!

Besonders gut fand ich das hier:
Lhiannon schrieb:Ich habe höchsten Respekt vor denen, die solche Gottesdienste im wahrsten Sinn des Wortes durchstehen können.

:icon_cheesygrin:
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#4
Hallo Lhiannon,

schön, dass Du wieder da bist.

Deinen Bericht habe ich gelesen. Er hat mich daran erinnert, dass ich schon immer einmal ein paar Tage in einem Kloster verbringen wollte.

Vielleicht werde ich das demnächst tun.

Grüße E.
MfG B.
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#5
Hallo Epicharm,
da bist du in Buchhagen herzlich willkommen. Die nehmen Männer über 14 Jahren auf und ich vermute mal du gehörst in diese Kategorie. :icon_cheesygrin:

Bin gerade wieder mal im Forum und schon genervt. Liegt aber an den Persil-Islam-Texten mancher Forenkollegen. Eigentlich will ich nicht wieder voll einsteigen. Ich kann mich einfach nicht kurz fassen und ich will nicht eine Diskussion lostreten, die ich nicht weiterverfolgen kann und will.
Ich lebe mehr und intensiver in der manuellen Realität als in der digitalen.

Frei nach Georg Ringsgwandel: Die wichtigsten Dinge passieren immer noch manuell.

Viele liebe Grüße
Lhiannon
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#6
Hier im Forum ist der Bär los. Nach wie vor - das ist super!
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#7
9 Leute gleichzeitig im Forum - wow!
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#8
Und 20 Benutzter insgesamt - nicht schlecht!
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